Verkehr macht Stadt

Mobilität Eine Tagung der Henselmann-Stiftung zu "100 Jahre Groß-Berlin" beschwört die Geschichte der Verkehrsmetropole und sucht Antworten: Wie kann die autogerechte Stadt überwunden werden?

1872 bis 1878 wurde die Ringbahn, der frühere „Verbinder“ ausgebaut, sie verband die Berliner Kopfbahnhöfe. 1881 rumpelte die erste elektrische Trambahn, vormals Pferdebahn, durch Berlin. 1902 wurde die U-Bahn eröffnet. 1905 wurden die Busstrecken eingeführt. 1923 eröffnete der Flughafen Tempelhof als ziviler Flughafen, 1926 wurde die Lufthansa in Berlin gegründet. 1928 Gründung der BVG. 1928 elektrischer Betrieb der S-Bahn auf 115 Kilometer.

Die Henselmann-Kolloquium-Reihe wird 2018 mit dem Thema „Die Grünfrage“ fortgesetzt, Infos: www.Hermann-Henselmann-Stiftung.de. (rola)

Wer viel Beton und Stahl in seine Verkehrswege verbaut, hat im Guten wie im Schlechten lange daran zu „kauen“. Die Spuren zum Ausbau Berlins – sowohl im West- als auch im Ostteil in den 1960/70er Jahren – zu einer „autogerechten“ Stadt zeugen bis dato von Bausünden, die sich tief in die Stadtstruktur eingegraben haben und schwer zu überwinden sind.

„Berlins Stadtgrundriss ist beschädigt durch seine großen Haupt- und Schnellstraßen“, konstatierte Harald Bodenschatz, Professor für Stadtplanung an der TU, auf einem Kolloquium der Hermann-Henselmann-Stiftung am Wochenende. Die Bundesallee, die Grunerstraße, die Leipziger Straße sowie die Stadtautobahnen seien Beispiele für diese breiten, die „Stadt zerstörenden“ Schneisen. Die wurden durch die Quartiere gefräst und malträtierten sie bis heute.

Für Bodenschatz bedeutet dies keineswegs zu resignieren. Vielmehr gelte es, nach Strategien und Kooperationen mit Planern, Politik, Zivilgesellschaft und Verkehrsteilnehmern zu suchen. So könne ein Rückbau der „autogerechten“ Stadtstrukturen – wie etwa bei der Verengung der Steglitzer Schlossstraße – gelingen und „für mehr Verkehrsgerechtigkeit“ insgesamt gesorgt werden.

Bevor auf dem Kolloquium über diese „neue Balance“ zwischen Fußgängern, Radlern, Auto- und ÖPNV-Nutzern, wie es Stiftungsvorstand und Exsenator Thomas Flierl (Linke) ausdrückte, debattiert wurde, stiegen die über 100 Teilnehmer – darunter Bausenatorin Katrin Lompscher, BVG-Chefin Sigrid Nikutta, Planerin Johanna Schlaack (Think Berlin) oder Heinrich Strößenreuther (Fahrrad-Volksentscheid) – in die Verkehrsgeschichte ein. Fand doch die Veranstaltung mit dem Titel „Die Verkehrsfrage“ im Rahmen der Henselmann-Reihe „100 Jahre Groß-Berlin 2020“ statt, welche in einer Folge die „Entwicklungsfaktoren der Großstadtregion“ und deren Auswirkungen ins Visier nimmt.

Groß-Berlin, erinnerte Markus Tubbesing von der EHT Zürich, war ein „Produkt der Großstadt-Verkehrsplanungen“. Bevor die Stadt 1920 aus den 20 eigenständigen Gemeinden zusammenwuchs, hatten Eisenbahn, U-Bahn, Tram, Busstrecken und Autostraßen ein dichtes Netz über die Stadtfläche bis in die Region hinaus gestrickt. Der Hobrecht-Plan (1862) und dann 1910 der Jansen-Plan machten einmal mehr deutlich, wie in Berlin „die Verkehrsplanung die Stadtentwicklung vorantrieb“.

Hinzu kamen nach 1918 die Flughafen- und ab 1933 die NS-Autobahnplanungen. Nach 1945 übernahm der Autoverkehr ganz das Zepter. „Die Stadtentwicklung wurde durch diese Faktoren gelenkt“, so Tubbesing. Bis heute stellt die betonierte Automobilität (siehe der Bau der A 100) ein schwieriges Kapitel – einen „Irrtum“ wie Strößenreuther sagte – in der Berliner Verkehrspolitik dar.

Gleichzeitig bestehen große Chancen aus der Geschichte des Schienenverkehrs heraus für die Zukunft der Stadt und des Umlandes. Der große Eisenbahnring um Berlin, die Radialen sowie neue S-Bahn-Strecken (Potsdamer Stammbahn) seien ein Pfund für die Zukunft, sagte Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe. Wegen des Wachstums der Großstadtregion besonders in Richtung Süden seien Lösungen mit einem nachhaltigen Verkehr und durch die Erweiterung dieses Schienennetzes besonders wichtig. „Dies muss in der Leistungsfähigkeit erhöht und ausgebaut werden.“

Während die Innenstadt durch den Ausbau des ÖPNV und neue Tramstrecken sowie Radwege wieder mehr Reurbanisierung erlangen könnte, so hoffte Bodenschatz, müsse der „Schienenverkehr als Motor der Regionalentwicklung“ eine weitere Schlüsselfunktion übernehmen. Damit Berlin mobil bleibt. Rolf Lautenschläger