Kolumne Hosen runter: Keine Diagnose durch die Hose

Psychologen behaupten, Donald Trump sei ein Narzisst – ohne ihn je getroffen zu haben. Das ist nicht nur unethisch, sondern auch gefährlich.

Auf einem Löffel liegt eine grüne Pille, daneben eine Zange mit aufgeklebtem Auge, die augenscheinlich ihren Mund öffnet

Durchgeknallt, wegsperren. Um Trump loszuwerden, ist offenbar jedes Mittel recht Foto: photocase.de/margie

Obwohl ich noch nie in den USA war, kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, dass einige amerikanische Psychologen einen an der Klatsche haben. Sie leiden dermaßen an Selbstüberschätzung, dass sie ungebremst postfaktische Wahrheiten verbreiten.

Woher ich das weiß? Ferndiagnose. Eine psychologische Technik, die mit minimalem Aufwand zu großem Erfolg und Präsenz in allen wichtigen Zeitungen führt. Und ein Trend, an dem momentan keiner vorbeikommt. Auch ich nicht.

Wie, meine Referenzen? Ich bin ausgebildete Küchenpsychologin! Mein umfangreiches Wissen über Menschen, die ich kenne, und Menschen, die ich nicht kenne, habe ich mir über Jahre hinweg hart erarbeitet, indem ich mit Freunden in der Küche sitze. Ein, zwei Flaschen Crémant, und zack, hat man mit schwarzem Kuli auf weißer Serviette die Bestätigung, dass die Affäre von A. beziehungsunfähig ist und A. ihn niemals ändern wird. Aber Hauptsache, A. ist nicht schuld.

Besagte Psychologen jedenfalls behaupten, Donald Trump habe eine narzisstische Persönlichkeitsstörung – ohne je persönlich mit ihm gesprochen zu haben. Wenn das nicht verrückt ist, dann weiß ich auch nicht. Einer von ihnen analysierte im Magazin The Atlantic Trumps Persönlichkeit anhand von Texten, Interviews und Auftritten aus mehreren Jahrzehnten.

Kurzer Faktencheck bei mir selbst: Unter keinem meiner Texte aus den letzten acht Jahren findet sich ein Kommentar, in dem mir jemand unterstellt, dass ich eine Angst­störung hätte. Habe ich aber. Und was die Auftritte angeht: Nachdem ich mich geoutet hatte, sagten Kollegen, mit denen ich seit Jahren zusammenarbeite: „Das hätte ich niemals von dir gedacht. Du bist immer so fröhlich.“ Tja. So aussagekräftig ist die öffentliche Wahrnehmung.

Es gibt eine Regel im Ethik-Handbuch der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie (APA), die besagt, dass Fern­diagno­sen ohne Einverständnis der betroffenen Person und ohne eingehende Gespräche mit ihr unethisch und unseriös sind. Oder wie es meine Nachbarin ausdrückt, die selbst Psychologin ist: „Keine Diagnose durch die Hose. Ehrenkodex.“ Und trotzdem setzen sich Psychologen und Journalisten, die über diese Spekulationen schreiben, reihenweise darüber hinweg.

Es ist ein hilfloser Versuch, jemanden zu durchschauen, der uns Rätsel aufgibt und Angst macht. Die Hoffnung, Trump endlich einschätzen und seine nächsten Schritte vorhersehen zu können. Ich kenne das von mir selber, aber wenn ich mich nicht verstehe, lese ich halt mein Horoskop. Das ist wenigstens nicht so gefährlich.

Denn in letzter Konsequenz – machen wir uns nichts vor – geht es darum, dass Trump aus dem Verkehr gezogen werden soll. Dabei ist offenbar jedes Mittel recht. Was das für alle anderen Menschen mit psychischen Störungen bedeutet, mag man sich gar nicht vorstellen.

Übrigens: Dass man umgangssprachlich schnell mal jemanden als Narzisst bezeichnet, obwohl er keine entsprechende Diagnose hat, ist keine Entschuldigung. Dann ist es nämlich auch in Ordnung, „behindert“ als Schimpfwort zu benutzen.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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