Kolumne Helden der Bewegung: Timo Werner, Sozialjubler mit Inbus

Sechser im Sturm, flinker Kontermann, Wandstürmer: Es ist etwas zutiefst Prosaisches in der Art, wie Timo Werner Fußball vorführt.

Ein Fußballer jubelt, es ist Timo Werner

Timo Werner: Schwabe, Bulle, Torjäger Foto: reuters

„Du brauchst immer eine Drecksau in der Mannschaft“, pflegte mein alter Trainer zu sagen, „und auf Hartplatz mindestens drei.“ Unwahrscheinlich, dass er bei diesem Satz an einen Spieler wie Timo Werner gedacht haben mag; und doch erinnere ich mich regelmäßig an seine Worte, wenn ich Timo Werner spielen sehe.

Das liegt natürlich an seiner saumäßigen Schwalbe gegen Schalke, als er mit einer Selbstverständlichkeit zu Boden sank, als wäre ihm just in diesem Moment das Hüftgelenk gebrochen. Hinterher sagte er unverblümt, dass der Elfmeter berechtigt sei, bloß wegen eines ganz anderen Fouls, das der Schiri halt eben nicht gesehen habe. Es klang fast so, als empfinde er sich als Sprachrohr eines ­gerechten Fußballgottes, der einen Irrtum des Schicksals korrigiert.

Das liegt aber auch an seinem First-ever-Bundesligadoppelgoal, 2013 gegen den SC Freiburg, als er bei einem Konter den deutlich besser postierten Ibisevic ansah, um im Endeffekt dann doch selbst abzuschließen. Ein Tor wie ein Schulterzucken: Schau her, alter Mann, das schaff ich jetzt auch schon alleine. Ibisevic hat anschließend nicht mehr viele warme Worte über Werner verloren.

Es ist auch gleichzeitig überhaupt nicht wahr, dass er eine Drecksau ist, weder im negativen noch im positiven Sinn. Timo Werner beispielsweise ist ein sagenhaft sozialer Jubler, der im Moment des Triumphes nie vergisst, seinen Mannschaftskameraden zu danken (außer damals Ibisevic, der angesäuert am Freiburger Strafraum stehen blieb). Und sowohl Ralf Fährmann als auch Naldo haben hinterher in Mikrofone gesagt, dass Werner ein Foulspiel des Torhüters dem Schiedsrichter gegenüber verneinte (was jener allerdings bestritt, ganz offenbar war er noch nicht recht im Spiel).

Ein zielorientierter Spieler

Dies alles, ebenso wie seine Interviews nach den Spielen, vollführte Timo Werner mit einer konzentrierten Beiläufigkeit, die bisweilen seltsam unangreifbar wirkt. Es liegt eine ungetrübte Selbstgewissheit in seinem Wesen, die zu natürlich ist, um Arroganz zu sein; die ohne Koketterie auskommt, ohne doppelten Boden; und gerade deswegen – wenn auch nur vorübergehend – störanfällig ist, wie VfB-Fans aus der letzten Saison wissen.

Man sagt über Spieler, die gegensätzliche Eigenschaften in sich vereinen, sie seien komplett. Werner freilich ist noch viel zu jung und inkonstant, um komplett zu sein; nichtsdestotrotz kann er – je nach Situation – die Wucht einer Abrissbirne entwickeln, eine Schnelligkeit weit über Bundesliganiveau und den Trickreichtum eines Taschenspielers.

In dieser Saison zum Beispiel macht er den Sechser im Sturm, den flinken Kontermann und sogar als Wandstürmer hat er schon überzeugt. Dies ist wahrscheinlich das Geheimnis von Timo Werner, der mir die Widersprüchlichkeit einer Flaubert’schen Figur in sich zu vereinen scheint: Er schillert, er ist nicht festgelegt, er ist ein Multifunktionsschneider.

Eines allerdings ist er nicht: prätentiös. Mit schwäbischer Gründlichkeit versucht er das, was notwendig ist, um zum Ergebnis zu kommen. Er ist ein zielorientierter Spieler, dem das verspielte, zauberhafte Moment abgeht, wenn er abgeht. Das Vergnügen, ihm bei guten Spielen zuzusehen, ähnelt mehr dem Staunen, einer komplizierten Maschine zuzusehen, als der Ehrfurcht, die einen Kunstliebhaber angesichts eines Meisterwerks überkommt.

Es ist etwas zutiefst Prosaisches in der Art, wie Timo Werner Fußball – eben gerade nicht spielt, sondern vorführt. Der Geist von Stuttgart, dieser Stadt der Autobauer und Ingenieure, umweht ihn, eine Stadt, in der man häufiger Inbus sagt als Nimbus.

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