Neue Partei „Demokratie in Bewegung“: Podemos auf Deutsch

Vor dem Projekt der Parteigründung steht eine Petition. Es geht um Demokratie und Sozialstaat. Genau verorten lassen wollen sich die Initiatoren aber nicht.

Bundesadler im Reichstagsgebäude

Hoch hinaus will die neue Bewegung – vielleicht sogar in den Bundestag Foto: dpa

BERLIN taz | Jeannette Gusko weiß, wie sie Projekte verkaufen kann. Die 32-jährige Berlinerin verantwortet die Öffentlichkeitsarbeit der Petitionsplattform change.org. Bereits seit zehn Jahren arbeitet sie für Nichtregierungsorganisationen daran, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ihr neuester Job ist ein ehrenamtlicher; einer, der sich nicht nur verrückt anhört, sondern auch herausfordernder sein wird, als alle bisherigen. Doch Gusko gibt sich überzeugt: „Wir haben gute Ideen, glaubwürdige Personen, die Zeit ist reif.“

Zusammen mit ihren Mitstreitern, überwiegend Künstlern, Aktivisten, Autoren und Wissenschaftlern, will Gusko nichts weniger als die Demokratie retten. Als Bewegung von unten, aber auch: als neue Partei. Der öffentliche Startschuss für das Projekt, das sich „Demokratie in Bewegung“ nennt, fällt an diesem Dienstag mit einer Aktion auf dem Berliner Alexanderplatz. Passanten sollen auf einer Wand ihre Wünsche an die Politik formulieren, Initiatoren des Projektes Reden halten.

Im Netz sind die Glücksritter schon seit einigen Wochen zu finden. Mithilfe einer Petition suchen sie unter dem Titel „2017: Ein Neuanfang für Demokratie und Gerechtigkeit“ 100.000 Unterstützer. Sind sie gefunden, heißt das Ziel: Bundestagswahl.

Mit dabei ist auch der Unternehmer Alexander Plitsch, der erst im Januar mit „Momentum“ seine eigene Partei gegründet hat. Nun hat er sich „Demokratie in Bewegung“ angeschlossen. Es sei „sehr sinnvoll, gemeinsam zu arbeiten“, so Plitsch. Die Gründungsmotivation sei mit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps dieselbe gewesen.

Bisher 40 Aktive

„Wir wollen testen, ob der Wunsch da ist, dass wir die Ziele unserer Bewegung als Partei umsetzen“, sagt Plitsch über das Vorgehen. Etwa 25.000 Menschen haben bislang unterschrieben. Der ursprüngliche Stichtag 15. März wurde auf Anfang April verschoben – ganz so einfach lassen sich die Massen nicht von einem Parteigründungsprojekt begeistern.

Doch Gusko zweifelt nicht daran, es zu schaffen. Die Gruppe der inzwischen 40 Aktiven habe bisher ausschließlich intern gearbeitet, in wöchentlichen Treffen und in Arbeitsgruppen an ihren Strukturen, ihrem Demokratieverständnis und politischen Leitlinien gefeilt – erst jetzt beginnt das offensive Werben um Mitstreiter.

Den Kreis der Gründer nennt Gusko „Bürgerinnern und Bürger“; politische Vorerfahrungen oder Ideologien sollen keine Rolle spielen. Der Idee vorausgegangen ist der Blog „Demokratie Plus“, der dazu ermutigen will sich einzumischen. Gegründet haben ihn Gregor Hackmack, Chef von change.org und Ex-Geschäftsführer von abgeordnetenwatch.de sowie der Autor Nicol Ljubić, der seine Erfahrungen über die Hinterzimmer-Politik der SPD in einem Buch verarbeitete.

Über ihre Netzwerke trommelten die beiden im November Mitstreiter zusammen, wie den Inklusions-Aktivisten Raul Krauthausen oder die Journalistin Natalie Bleuel. Für Gusko sind sie Teil einer Bewegung. Keiner gesellschaftlich übergreifenden, wie es Arbeiter- oder Ökologiebewegung waren, die auch ihre Parteien hervorbrachten – aber von Menschen, die sich engagieren.

Parteiprogramm, später

Darüber, was alles falsch läuft im gegenwärtigen System, kann Gusko einen langen Monolog halten: „Die zentralen Versprechen dieser Gesellschaft ‚Wenn Du Dich anstrengst, erreichst Du etwas‘ und ‚Der nächsten Generation wird es besser gehen‘ stehen auf der Kippe“, sagt sie. Gusko spricht einer „Zuschauer-Demokratie“, „erschüttertem Vertrauen“ und „Interessen, die mehr dem einen als den 99 Prozent dienen“.

Ein Programm soll erst noch entstehen, doch die Grundsätze von „Demokratie in Bewegung“ stehen fest: Gerechtigkeit, transparente Demokratie, die offene Gesellschaft. Von der AfD distanziert man sich deutlich.

Eine neue linke Partei also? Gusko weiß, dass sie diese Frage noch oft beantworten muss – und mag sich dennoch nicht darauf einlassen. „Diese Positionierung ist eine Frage, die im Moment nicht relevant ist“, sagt sie. Der Verdacht einer Strategie, sich nicht von vornherein einordnen zu lassen und damit nur noch zu einem Teil der Gesellschaft sprechen zu können, liegt nahe. Gusko weist ihn von sich. Lieber spricht sie von einer Politik, die „von unten nach oben“ wirken soll – durch die „neue, echt demokratische Struktur“, wie es auf der Website vollmundig heißt.

Kontinuierlicher Parteitag

Wie diese aussieht, steht auf einem Blatt Papier, dass Gusko aus der Tasche zieht. Es ist das Funktionsmodell von „Demokratie in Bewegung“, an dessen technischer Umsetzung noch gearbeitet wird. Am Anfang steht der „Marktplatz der Ideen“, ein Forum für den politischen Austausch der Mitglieder und Sympathisanten. Daraus folgen sollen konkrete Initiativen, ausgearbeitet von allen Interessierten, darunter auch Experten, die gezielt angeworben werden sollen.

Die Vorschläge werden dann 14 Tage zur Diskussion gestellt, bei Bedarf folgt eine Abstimmung. Online und per Telefon wird darüber entschieden, ob ein Punkt ins Parteiprogramm aufgenommen wird. Alexander Plitsch nennt das einen „kontinuierlichen Parteitag“. Ob die Initiativen zu den Grundsätzen der Partei passen, soll ein Ethik-Gremium überwachen, das auch sein Veto einlegen darf.

Ein konkretes Vorbild gebe es nicht, sagt Gusko, aber man habe sich genau angeschaut, wie die spanische Partei Podemos oder die italienische Fünf-Sterne-Partei vorgegangen seien. Der Trend zu neuen Parteien existiert europaweit. Und fast alle profitieren sie von einer verbreiteten Enttäuschung über die parlamentarische Demokratie. Während Rechtspopulisten die Wut weiter verstärken, ist das Ziel von „Demokratie in Bewegung“ ein anderes: Sie wollen motivieren, sich einzubringen. Vorerst reicht aber eine Unterschrift.

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