Feministischer Sport: Die Show, die Punk wurde

Die Riot Rocketz sind der erste Leipziger Roller Derby Klub. Mit dem klassischen deutschen Vereinssport hat das nicht allzu viel zu tun.

Sportlerinnen der Riot Rocketz fahren in einer Turnhalle mit Rollschuhen

Das Ziel ist Standfestigkeit: Training bei den Riot Rocketz Foto: Thomas Pätz/Riot Rocketz

LEIPZIG taz | Zehn Frauen auf Rollschuhen schießen in der Turnhalle im Kreis hintereinander her. Sie drängeln, schubsen sich von der ovalen Bahn und stehen blitzschnell wieder auf. Die Riot Rocketz sind der erste Roller-Derby-Verein Leipzigs. Mit einem Inserat am schwarzen Brett suchten die ersten Skaterinnen 2013 nach einem Team. Inzwischen hat der Verein 38 aktive Spielerinnen und so viele Interessentinnen, dass Anfänger-Workshops ausgerichtet werden.

Roller Derby, ein Vollkontaktsport auf Rollschuhen, der hauptsächlich von Frauen betrieben wird, hat einfache Grundregeln: Auf einer ovalen Bahn, dem „Track“, versuchen zehn Skaterinnen, innerhalb kurzer Rennintervalle Punkte zu erzielen. Pro Team kann immer nur eine Spielerin, die Jammerin, durch Überrunden der Gegner punkten. Die anderen sind damit beschäftigt, die gegnerische Jammerin zu blockieren und die eigene bei ihrer Aufgabe zu unterstützen.

Für ungeübte Zuschauer*­innen sieht das Ganze nach einem rollenden Gerangel aus – dabei ist das Spiel komplex und sehr taktisch, erklärt die Skaterin mit dem Kampfnamen Kitten of Baskerville. Schon lange wollte sie Roller Derby spielen, der kraftvolle Sport faszinierte sie. Als sich die Riot Rocketz gründeten, trat sie dem Verein kurz darauf bei. Seitdem ist Roller Derby ein wichtiger Teil ihres Lebens.

Dreimal in der Woche treffen die Spielerinnen sich zum Training in den Turnhallen der August-Bebel-Grundschule und der 66. Schule. In ihrer Freizeit sollen sie zusätzlich ihre Kraft und Ausdauer trainieren. Denn das Derby verlangt ihnen einiges ab: „Es ist ein unglaublich wilder Sport“, findet Kitten of Baskerville, die sich abseits vom Spielfeld als eher schüchtern beschreiben würde, „man kann einfach mal kontrolliert die Sau rauslassen“.

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Ungefährlich ist das Spiel nicht. Immer wieder stürzen die Spielerinnen, wenn sie versuchen, sich gegenseitig vom Track zu drängen. „Man sollte keine Angst vor blauen Flecken haben“, bestätigt Kitten of Baskerville. Helm und speziell gepolsterte Schoner sind Pflicht. Alle neuen Spielerinnen lernen zuerst, wie man richtig fällt. Vor ihrem ersten Einsatz müssen Anfängerinnen einen Mindestanforderungstest ablegen, um zu zeigen, dass sie sich auf den vierrädrigen Rollschuhen mit der großen Gummibremse an der Spitze sicher bewegen können. Der Test richtet sich nach den Vorgaben des amerikanischen Dachverbands, der Women’s Flat Track Derby Association, der sich 2004 gegründet hat. Der Verband stellt auch die einheitlichen Spielregeln.

Von der Wirtschaftskrise zum Punk

In der Geschichte des Roller Derbys sind diese strengen Spielregeln eine Neuheit. Als in den 1920er Jahren in den USA erste Derby-Events veranstaltet wurden, war das Spiel noch ein Rollschuhmarathon mit einer einzigen Regel: Wer zuletzt auf der Bahn steht, hat gewonnen. Die Rennen konnten mehrere Tage dauern, wobei die Teams aus zwei Skater*Innen bestanden, die sich abwechseln durften. Zur Zeit der Great Depression waren die Derbys ein beliebter und kostengünstiger Zeitvertreib.

Kitten of Baskerville – einer jener selbst gewählten Kampf­namen, für die der Sport bekannt ist

Im Laufe der Jahrzehnte veränderte sich der Sport immer wieder grundlegend. Der Marathon wurde zum Kontaktsport, in dem durch Überholen der Gegner*innen Punkte erzielt werden konnten.Nach und nach entwickelte sich das Roller Derby zu einer inszenierten Showsportart, die dem Wrestling nicht unähnlich war. Eingeübte, spektakuläre Kämpfe auf Rollschuhen zogen in den 1940er Jahren jährlich mehr als fünf Millionen Zuschauer*innen in die amerikanischen Stadien.

Spätestens in den 1960er Jahren verlor der Rollschuhsport allerdings an Beliebtheit. Derby-Fernsehsendungen wurden abgesetzt, und auch die Hallen blieben leer. Doch in den 1990er Jahren wurde das Roller-Derby von der Punkbewegung adoptiert und als neue Sportart wiederbelebt. Fortan wurde ohne jegliche Absprache gerollt, gestürzt und gedrängelt.

Es folgte die Punkzeit des Sports. Der veränderte sich ­abseits des Tracks. Der ­Großteil der Roller-Derby-Vereine ist heute selbstverwaltet. Auch die Leipziger Riot Rocketz, die seit 2013 zum linken Sportverband Roter Stern Leipzig gehören, ­organisieren alles selbst. Was für die Spielerinnen bedeutet, sich neben dem Training in Arbeitsgruppen zu treffen, um etwa über Finanzierungsmodelle zu sprechen oder das nächste Auswärtsspiel zu planen. Trainerinnen werden in ein Komitee gewählt und wechseln sich ab, sind aber gleichzeitig auch immer noch Spielerinnen.

Heute ist Roller Derby ein Powersport für Frauen, der seine Wurzeln in der feministischen Punkbewegung der Riot Grrrls sieht. Männer dürfen in den meisten Vereinen nur als Schiedsrichter mitwirken oder die Spielerinnen abseits vom Track unterstützen. Zwar gibt es bereits wenige Vereine, bei denen Männer und Frauen zusammenspielen, und sogar „Merby“-Vereine nur für Männer. Doch das Roller Derby bleibt ein weiblich dominierter Sport.

Viele der Vereine setzen sich zudem für LGBTQ-Rechte ein. Im Selbstverständnis auf der Homepage der Riot Rocketz beschreiben die Skaterinnen, dass Diskriminierung im Verein nicht toleriert wird. Transspielerinnen können problemlos am Sport teilnehmen und in Wettbewerben antreten.

Sport und Show

Obwohl sich das Roller Derby immer weiter professionalisiert, bleiben gewisse verspielte Relikte der Punkzeit erhalten. Neue Spielerinnen suchen sich für gewöhnlich einen individuellen Kampfnamen aus, mit dem sie sich auch außerhalb des Spiels identifizieren. Kitten of Baskerville erzählt, dass sie die echten Namen mancher Skaterinnen gar nicht kennt. Oft sind die Kampfnamen popkulturelle Wortspiele – so auch ihr eigener, der auf eine Sherlock-Holmes-Geschichte verweist.

Zwar trainieren die Riot Rocketz in üblicher Sportkleidung mit einfachen Trikots, doch grelle Schminke oder Kriegsbemalung sind ein Teil des Sports. Wenn ein Spiel ansteht, skaten die Spielerinnen häufig in Outfits mit Netzstrümpfen und Hotpants. Derweil gibt es durchaus auch Skaterinnen, die sich von dieser Tradition distanzieren. Auch wenn die oft knappen Outfits zur Selbstermächtigung der Spielerinnen gedacht sind, werden die Sportlerinnen von außen gerne sexualisiert.

Als eine Art „Schlammcatchen auf Rollschuhen“ würden manche das Derby ansehen, meint Kitten of Baskerville. Für sie gehören die optischen Punkwurzeln des modernen Roller Derbys ebenso zum Sport wie Frauen, die Kostüme und Kampfnamen ablehnen. Die Kleidung der Skaterinnen beruhe auf individuellen Entscheidungen, sagt Kitten of Baskerville und betont: „Wir wollen auch als Athletinnen ernst genommen werden.“

Roller Derby ist mittlerweile weit verbreitet. Über 4.000 Teams weltweit zählt die Roller-Derby-Statistikseite flattrackstats.com. Der Großteil der Teams ist noch immer in den USA zu finden, doch mittlerweile hat sich der Sport fast auf der ganzen Welt verbreitet. Seit sich im Jahr 2006 mit den Stuttgart Valley Rollergirlz der erste deutsche Verein gegründet hat, haben sich auch in zahlreichen anderen Städten Skaterinnen zusammengefunden. Inzwischen gibt es sogar eine von Spielerinnen verwaltete Bundesliga, in der insgesamt 19 Teams gegeneinander antreten.

Beim ersten Freundschaftsspiel der Riot Rocketz im vergangenen Jahr waren schon etwa 300 Zuschauer*innen dabei, erzählt Kitten of Baskerville. Jetzt, da der Verein in der dritten Bundesliga spielt, werden es kaum weniger werden. Vier Spiele müssen die Riot Rocketz in diesem Jahr absolvieren, um ihren Platz in der Liga zu finden.

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