Fahrradkuriere in Berlin: „Weltbester Job, nur schlecht bezahlt“

Sandra Thiel fährt als Kurierin zweimal pro Woche durch Berlin. Dass sie schlecht bezahlt wird, stimmt. Aber da ist dieses Gefühl von Freiheit. Ein Protokoll

Radfahrer vor der Siegessaeule auf der Strasse des 17. Juni während einer Fahrraddemonstration in Berlin am Sonntag, 25. Mai 2003. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hatte zu der Demonstration mit dem Motto "Berlin fährt Rad - Respekt fuer Rad

Husch, schnell zum nächsten Kunden Foto: ap

„Viele Leute sind überrascht, wenn sie erfahren, dass ich als Fahrradkurierin arbeite. Sie fragen dann: „Echt, du als Frau? Ist das nicht voll anstrengend?“ Ja, ist es. Deshalb fahre ich nur zwei Tage die Woche. Mehr geht nicht. Wenn ich sieben oder acht Stunden durch die Stadt gefahren bin, bin ich ziemlich platt. Danach geh ich noch mit meinem Hund Johnny durch die Rehberge spazieren, weil da wenige Menschen – und keine Autos sind. Da will ich meine Ruhe.

Genau wie in der Früh. Ich bin Langschläferin. Ich starte frühestens um elf mit meinen Touren. Da von unserer „Kurierbude“ immer nur so fünf oder sechs auf der Straße sind, teilen wir uns über die Stadt auf. Ich starte im Wedding, wo ich wohne. Im Prinzip läuft es immer ähnlich ab. Wir haben vor allem im Westen Stammkunden. Ein Ingenieursbüro in Charlottenburg, einen Zahnmodellhersteller im Westend. Oder das Robert-Koch-Institut am Nordufer.

Ich versuche also, die Aufträge immer so zu kombinieren, dass ich so wenig „leer“ wie möglich hin und her fahre. Optimalerweise kann ich bei einem Zahnarzt um die Ecke einen Abdruck abholen, fahre über Moabit in die Otto-Suhr-Allee, hole dort irgendwelche Umschläge mit Unterlagen ab und liefere dann beides aus. Wenn ich dann wieder zurück in Charlottenburg oder Mitte bin und mich über das Funkgerät bei meiner Zentrale „frei“ melde, ist die erste Stunde rum. So vergeht der Tag.

Was ich an dem Job liebe, ist die Geschwindigkeit, die Kon­trol­le über das Rad. Dazu braucht man Technik. Ich fahre auch seit Jahren Radrennen. So fünfzehn im Jahr. Auf dem Rad fühle ich mich sicher. Ja, sogar überlegen, wenn ich die Autos im verstopften Stadtverkehr sehe. Ich schlängele mich einfach an ihnen vorbei, während sie stehen und warten. Das gibt mir ein Gefühl der Freiheit. Ich bin draußen, ich bin unabhängig. Und wenn die anderen Radfahrer bei Regen ’ne Schnute ziehen, denke ich mir: Geil, du wirst für das schlechte Wetter bezahlt.

Klar, es gibt auch die andere Seite. Unsere Kurier­zen­tra­le zahlt zwar einen Stundenlohn, was in der Branche nicht üblich ist, aber da ich als Soloselbstständige arbeite, muss ich Steuer und Versicherung selbst zahlen. Und natürlich muss ich meiner Bude eine Pauschale zahlen, weil sie mir ja die Aufträge vermittelt. In meinem Fall sind das 220 Euro im Monat. Wer an mehr Tagen arbeitet, muss auch mehr abtreten. Viel bleibt dann nicht mehr zum Leben.

Was vor allem ein Problem ist: Wenn du mal ’ne Grippe hast und nicht fahren kannst, musst du trotzdem die Pauschale berappen. Viele finden komisch, dass wir Fahrradkuriere das mitmachen. Ich mach das Ganze jetzt seit vier Jahren und kann nur sagen: Für mich ist es beste Job der Welt – nur nicht gut bezahlt. Und als Frau finde es eigentlich ganz cool, dass er nicht so typisch Klischee ist. Ich repariere mein Rad selbst. Die schmutzigen Hände stören mich genauso wenig wie meine zerstörte Frisur. Im Gegenteil. Meinen Helm trage ich so gern, dass ich manchmal auch beim Feierabendbier nicht abnehme. Ohne ihn fühle ich mich irgendwie nackt.“

Sandra Thiel, 34, arbeitet seit vier Jahren als Fahrradkurierin

Da saß sie: meine Schalterbeamtin. Ein Dinosaurier des kodderigen, zischenden, quakenden, sprich: des guten alten Berlin

Mehr zum Thema Prekariat der Fahrradkuriere gibt es in der gedruckten taz.am Wochenende vom 11. und 12. März 2017 im Berlin-Teil.

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