„Ich will niemandem gehören“

STREITSCHRIFT In ihrem „Antiromantischen Manifest“ plädiert Marie Rotkopf für das Fremdsein als einzige Möglichkeit, frei zu leben. Und für die Poesie als einen spottenden Akt des Widerstands gegen die Romantik

Marie Rotkopf

Foto: Dirk Fellenberg

1975 in Paris geboren, ist Autorin, Künstlerin und Kulturkritikerin und lebt heute in Hamburg.

Interview Robert Matthies

taz: Frau Rotkopf, was bedeutet es, antiromantisch zu sein?

Marie Rotkopf: Es bedeutet, keine Zugehörigkeit zu wollen und niemandem gehören zu wollen: keinem Mann, keiner Frau, keiner Gesellschaft und natürlich keiner Nation. Antiromantisch sein ist: endlich diese Eigenschaften aus dem 19. Jahrhundert zu dekonstruieren. Es bedeutet auch, die ökonomische Frage nicht zu vergessen. Es bedeutet, klar sehen zu wollen, die Ursachen zu entschleiern. Die Verbundenheit mit dem Realen. Die Sachen auf den Punkt bringen.

Sie schreiben, frei könne man nur sein, wenn man fremd bleibt.

Ich möchte nicht zu einem „Wir“ gehören. Ich will mich nicht integrieren. Das ist die Tür zur Freiheit, das erlaubt mir die Freiheit. Um frei zu sein, muss man fremd sein. In Frankreich sagt man: Wenn man Frankreich nicht mag, soll man es verlassen, Madame. Aber ich bin überall zu Hause, das Problem sind die Einheimischen.

Sie sind als Französin vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen, in „das grauenhafteste Land der Welt“, schreiben Sie, „um meine Freiheit zu spüren“. Wie meinen Sie das?

Das ist natürlich Humor, ein ernster Humor, wenn man es so sagen kann. Wo ich herkomme: Ich bin eine Tochter des französischen Philosophen Vladimir Jankēlēvitch. Wenn wir eine Lösung finden wollen, und jetzt werde ich positiv: Wenn wir in einer besseren Welt leben wollen, dann bedeutet es, dass wir uns vermischen sollen – auch mit Deutschen.

Sie schreiben, dass heute ganz Europa romantisch ist, Europa selbst eine romantische Idee geworden ist, von „allen neoliberalen Ökogrünen“ bis zur „allergefährlichsten AfD“.

In unserer Gesellschaft gelten diese Werte aus dem 19. Jahrhundert immer noch in allen Bereichen: Hang zur Innerlichkeit, Rückzug ins Private, Polizei- und Spitzelstaat, die konservativen Werte Familie, Kirche, Staat. Das müssen wir infrage stellen. Heute ist Europa durch das protestantische Deutschland zerstört – Joachim Gauck und die Pastorentochter Angela Merkel sind nur ein Beispiel. Die Deutschen werden es ohne Diktatur nicht schaffen, die Südländer zu beugen.

Die Romantik ist urdeutsch, protofaschistisch und antisemitisch. Im „Tagebuch Worpsweder Frühling“ beschreiben Sie das deutlich. Und stellen fest: Es gibt kein schönes Braun.

Den Satz von Paula Modersohn-Becker habe ich verneint, denn sie schreibt über ein „köstliches Braun“ und ein „Wunderland, ein „Götterland“. Worpswede sollte man sich angucken, dort lernt man viel über Deutschland. Dass etwa niemand darüber spricht, dass Rainer Maria Rilke ein Faschist war, ein Mussolini-Anhänger, sagt viel über unsere Gesellschaft.

Romantisch ist, zu verleugnen und zu verdrängen.

Die Persilscheine, die ausgebliebene Entnazifizierung sind mir sehr wichtig. Das steht in meinem Text über Luther, „Die taube Gewalt des Christentums“: Man kann nicht über Islamismus, über Luther oder über Gott diskutieren, ohne ständig im Blick zu haben, dass Verbrecher unsere Nachbarn sind. Wie der SS-Offizier Gerhard Sommer, der am Massaker im italienischen Dorf Sant’Anna di Stazzema beteiligt war und heute im Seniorenheim in Volksdorf Latte macchiato trinkt. Man muss zuerst sagen, dass es keine Gerechtigkeit und keine Entnazifizierung gab und gibt.

Sie schreiben auch gegen eine romantische Form des Feminismus an.

Wenn man ein sensibler Mensch ist, ist man für Gerechtigkeit, für dich, für sie. Feministin zu sein, ist das Minimum. Aber man kann auch nicht feministisch sein, wenn man nicht auch über die Ursachen, über unser ökonomisches System und den Rassismus spricht. Für mich ist Angela Davis sehr wichtig. Sie hat mich aufgeklärt, als ich jung war, mit ihrem Buch „Women, Race & Class“. Eine Feministin redet über Geschlecht, Rasse und Klasse. Das gehört zusammen.

Kann man antiromantisch lieben?

Als ich klein war, hat mich die Schauspielerin Solveig Dommartin, die zur Zeit von „Der Himmel über Berlin“ Wim Wenders Partnerin war, sehr beeindruckt. Ich fand sie stark und schön, aber auch sehr fragil. Ich glaube, sie ist an der Liebe gestorben. Sie ist die romantische Figur der fragilen Frau. Ich fand sie anziehend, aber sie ist an der Liebe zugrunde gegangen. Wie Paula Modersohn-Becker. Beide sind Figuren extrem romantischer Erwartungen. Man soll nicht zu viele romantische Erwartungen haben, nicht sterben für die Liebe, sondern leben und frei sein.

Ihr „Antiromantisches Manifest“ ist für sie eine „poetische Waffe“.

Die einzige Möglichkeit, weil ich manchmal verzweifelt bin, ist Poesie zu schreiben, um über das Unsagbare zu schreiben. Es geht um das Freisein in der Sprache. Ich schreibe auch Poesie als Warnung. Man kann nicht „gegen den Hass“ sein, und ihn parallel liefern.

Marie Rotkopf: „Antiromantisches Manifest. Eine poetische Lösung“, Nautilus 2017, 144 S., 14,90 Euro

Lesung: Fr, 17. 3., 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14