Naturjournalistin übers Gärtnern: „Pflanzen dürfen sich nie irren“

Auch Gemüse wünscht eine artgerechte Haltung. Ein Gespräch über die zehn Jahreszeiten, den Hype um alte Sorten und den Trainingseffekt von Kompostdüngung.

Eine Hand mit Plastikhandschuh setzt mit einer Pinzette einen Sprößling in Erde

Wer mit Liebe pflanzt, bekommt mehr zurück Foto: dpa

taz.am wochenende: Frau Dudda, Sie sagen, im Garten gibt es nicht vier, sondern zehn Jahreszeiten. In Berlin blüht eben der Krokus, für welche Saison steht das?

Eveline Dudda: Ich muss Sie enttäuschen, an Zwiebelpflanzen lässt sich das nicht ablesen. Wenn Krokus oder Tulpen, die typischen Frühjahrsblumen, aus dem Boden kommen, dann ist das hormonell oder lichtbedingt. Für den Gärtner ist aber viel wichtiger, welche Temperatur der Boden hat. Wir befinden uns noch im Vorfrühling. Der fängt mit den Schneeglöckchen an und hört mit der Forsythienblüte auf. Darauf folgt im phänologischen Kalender der Erstfrühling. Dann kann man die Rosen schneiden.

Was sind das, phänologische Jahreszeiten?

Sie werden nach der Entwicklung der Natur eingeteilt. Sie folgen keinem festen Datum und sind je nach klimatischen Bedingungen überall und jedes Jahr anders. Leider wird das nicht in allen gärtnerischen Bereichen beachtet. Gerade beim Gemüse.

Das ist mein Thema. Ich will als Koch meine Zutaten selbst anbauen. Ich habe hier eine Packung Kohlrabisamen. Da steht: „Aussaat im März“. Ist es dafür nicht schon zu spät?

Es schadet nie, im Frühling länger zu warten. Ich komme aus der Schweiz. Was will man da säen, wenn die Bergregionen noch in Schnee versinken? Kohlrabi wächst dort auch. Aber man braucht den Erstfrühling, um die ersten Salate oder Kohlrabi auszupflanzen. Der beginnt erst, wenn die Forsythien blühen.

Welche Pflanze sagt dem Gemüsegärtner noch „Jetzt ist Pflanzzeit“?

Der Huflattich ist gut. Er kommt fast überall vor. Wenn er blüht, hat der Boden sechs Grad oder mehr, und die Temperatur ist ideal, um Steckzwiebeln zu pflanzen, Zuckererbsen oder Puffbohnen zu säen. Das sind sehr kältetolerante Pflanzen.

Sie haben ein Buch geschrieben, der Titel ist „Spriessbürger“. Darin plädieren Sie generell, als Gärtner mehr die Natur zu beobachten. Machen Gärtner das denn nicht?

Ich habe da einige Fragezeichen. Es wird zurzeit mit vielen Mythen Geschäft gemacht. Angefangen von den Mondkalendern bis hin zu Mischkulturentabellen. Ihr Nutzen ist mehr als zweifelhaft. Übrigens sind auch die Eisheiligen ein solcher Mythos.

Sie finden jedes Jahr vom 11. bis 15. Mai statt. Erst danach, so die Empfehlung, soll man Tomaten und anderes frostempfindliche Gemüse ins Freie stellen.

Laut der Legende soll an diesen Tagen der letzte Frost in Mitteleuropa auftreten. Viele Leute halten sich sklavisch an dieses Datum, anstatt sich die Natur in ihrem Garten und der Umgebung anzusehen.

57, ist eine der profiliertesten Agrar- und Gartenjournalistinnen der Schweiz. Ihr Buch „Spriessbürger“ ist ein Handbuch für den Anbau von Gemüse und Salat. Die Deutsche Gartenbaugesellschaft hat es in die „Top 5 der besten Gartenbücher 2016“ aufgenommen.

Das ist zuverlässiger?

Aber natürlich. Pflanzen dürfen sich nicht irren, sonst werden sie brutal bestraft: Wenn sie in der Blüte noch einmal in die Kälte reinkommen, dann schlaucht sie das so sehr, dass sie früher oder später daran zugrunde gehen. Im Gegensatz zu den Meteorologen im Fernsehen riskieren Pflanzen mit einer falschen Prognose Kopf und Kragen.

Gemüsegärtnern liegt gerade stark im Trend. Da gibt es auch viele Instantangebote: Kartoffelsäcke für den Balkon oder Anbau-Sets für den Küchentresen. Verkauft werden sie mit der Botschaft: „Wasser rein, fertig.“

Ich finde das nicht unproblematisch. Mir geht es darum, dass Pflanzen artgerecht angebaut werden, so ähnlich wie wir uns das auch bei der Tierhaltung wünschen. Dafür ist der Gärtner verantwortlich. Was Sie ansprechen, ist oft kontraproduktiv. Das beginnt schon mit den Kräutern in den viel zu kleinen Töpfchen aus dem Supermarkt. Die sehen am Anfang noch schön aus, aber wenn sie nicht verpflanzt werden, gehen die Pflanzen nach einigen Wochen ein, wenn Sie Glück haben, vielleicht erst nach ein paar Monaten. Ich finde, hier werden Pflanzen vielfach vergewaltigt.

Ich komme eher zu dem Schluss, mir fehlt der grüne Daumen, wenn ich wieder einen Kräutertopf wegwerfen muss.

So geht es wahrscheinlich vielen. Genau dieses Frusterlebnis ist in solchen Angeboten schon angelegt, genau wie in manchen Gärtnermythen.

Auch alte Sorten sind gerade sehr in Mode, zum Beispiel alte Apfelsorten.

Alte Sorten werden für meinen Geschmack zu sehr glorifiziert. Sie gelten als robust, schmackhaft und ertragreich. Aber das ist meist nicht der Fall. Sie werden ja häufig nur deshalb nicht mehr angebaut, weil sie zu krankheitsanfällig waren oder geschmacklich nicht im Trend. In der Tendenz sind alte Sorten schwieriger im Anbau als neue Sorten – und auch nicht so ertragreich. Ich habe durchaus alte Sorten im Garten, aber nicht nur. Die Freude am Gärtnern hängt auch davon ab, ob und was man ernten kann.

Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen?

Ich war mit achtzehn alleinerziehende Mutter und hatte nicht viel Geld. Also habe ich versucht, viel aus dem Garten zu holen. Und das hat mich nie mehr losgelassen.

In Ihrem Buch geht es auf vielen Seiten um Kompost. Die Vorstellung, für Pflanzen Nahrung zuzubereiten, hat den Koch in mir angesprochen.

Letztendlich kommt zurück, was wir den Pflanzen geben. Organismen, die biologisch gedüngt werden, müssen mehr arbeiten, um zu den Nährstoffen zu kommen. Sie müssen den Kompost erst aufschließen, um den Stickstoff rausziehen können – anders als bei synthetischem Dünger. Der ist für sie wie für uns weißer Zucker. Pflanzen, die sich ein wenig anstrengen müssen, werden kräftiger. Und gesunder Stress bedeutet auch, dass sie besser schmecken. Man kann inzwischen nachweisen, dass sie mehr geschmacksgebende Inhaltsstoffe haben. Bei Tomaten beispielsweise verändert sich die Zucker-Säure-Balance, wenn die Pflanze ein bisschen gefordert wird, aber nicht zu sehr.

Kocht man denn anders, wenn man eigenes Gemüse verwendet?

Das Gemüse aus dem eigenen Garten hat mehr Charakter. Und das gibt auch dem Gericht mehr Charakter. Ich beobachte, dass ich deswegen viel weniger Zutaten und Gewürze verwende, wenn ich koche. Ich kann das Gemüse Gemüse sein lassen. Und es fordert die Kreativität. Ich liebe es, wenn ich mir einen Kopf machen muss, wie ich mit der Zucchinischwemme zurechtkomme. Oder was ich mit einer Handvoll Erbsen anfange, weil der Garten im Moment nicht mehr hergegeben hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.