Türkischer Wahlkampf in Deutschland: „Türken sind extrem politisch“

Wie Türken in Deutschland derzeit debattieren und warum Erdogan hierzulande viele Anhänger hat: drei Erfahrungsberichte.

Türkische Fahnen werden von Erdogan-Anhängern geschwenkt

Frenetischer Jubel für den türkischen Ministerpräsidenten Yildirim in Oberhausen Foto: dpa

BERLIN taz | Schon seit vielen Jahren schauen türkische Politiker nach Deutschland, wenn sie um Wählerstimmen kämpfen: Immerhin leben hier 1,2 Millionen Menschen, die in der Türkei wahlberechtigt sind, weil sie die türkische oder die doppelte Staatsangehörigkeit besitzen.

Und wie in der Türkei ist auch hierzulande die türkische Bevölkerung politisch gespalten. Eine Ahnung davon, wie tief dieser Riss reicht, geben drei Berichte deutscher Türken über ihre Erfahrungen – und die Schlussfolgerungen, die sie daraus gezogen haben.

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Tugrul Selmanoglu, Internetaktivist aus Heilbronn und glühender Anhänger der regierenden AKP, erinnert sich noch gut an den Sommer des Jahres 2014: Da wurde Recep Tayyip Erdogan bereits im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt. Der 38-jährige Selmanoglu half in Stuttgart beim Auszählen der Stimmen. Als er und die anderen Helfer das Wahllokal verließen, hatten Unbekannte die Reifen ihrer Autos zerstochen und die Scheiben eingeschlagen.

Das ist jetzt drei Jahre her. Selmanoglu engagiert sich heute in der UETD, der Union europäisch-türkischer Demokraten. Der Heilbronner Aktivist macht Wahlkampf für ein „Ja“ bei dem am 16. April anstehenden Referendum zur Verfassungsänderung. Trotz aller politischen Differenzen sei man unter Türken diplomatisch, sagt Selmanoglu. „Wir sind ja trotzdem Freunde.“ Anders sei das aber mit Sympathisanten der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die er „Terroristen“ nennt.

Angst vor dem türkischen Staat

Auch die HDP, die prokurdische demokratische Partei, gehöre zu den „Terroristen“, die die Türkei spalten wollten, sagt er. Dabei sei die Türkei „ein Vielvölkerstaat und es gab nie ein Problem,“ sagt er, und dass es „nie ethnische Säuberungen“ gegeben habe. Der Bundesregierung und „den Medien“ in Deutschland wirft er vor, Angst vor dem türkischen Staat zu verbreiten. Bis vor kurzem folgten seiner Facebook-Seite noch 45.000 Menschen. Dann aber habe Facebook die Seite gelöscht, weil er sie unter einem Pseudonym angemeldet hatte.

Manche seiner Follower hätten sich nicht mehr getraut, mit ihm zu diskutieren, sagt er, weil sie glaubten, hinter ihm stünde der türkische Geheimdienst. Selmanoglu: „Das stimmt nicht. Ich habe nie jemanden gemeldet.“ Anfeindungen erfahre er von Kurden in Deutschland, sagt er. Bei Facebook hätten ihm Aktivisten ein Foto seiner Haustür und seines Autos geschickt, samt einer Todesdrohung.

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Cüneyt Celkin, Unternehmensberater aus Köln, sieht die Situation nuancierter: Die Kurden hätten derzeit einen schweren Stand, sagt er. Viele unterstellten ihnen pauschal, den Terror zu unterstützen. „Es findet keine Differenzierung statt, zwischen kurdischen Demokraten und Leuten, die mit der PKK sympathisieren,“ meint Celkin, der türkischer Abstammung ist.

Als er sich vor einiger Zeit bei einer prokurdischen Kundgebung am Ebertplatz in Köln dazugestellt habe, bei der Demonstranten Bilder des PKK-Führers Abdullah Öcalan in die Luft hielten, wurde er allerdings selbst angefeindet: Einer der Aktivisten sei sofort auf ihn losgegangen, habe ihn wüst beschimpft und ihm mit erhobener Faust gedroht.

Zurückweisung und Frustration

Celkin identifiziert sich mit dem deutsch-türkischen Wirtschaftsverband ATIAD. Dieser überparteiliche Zusammenschluss deutsch-türkischer Unternehmen und Banken ist kemalistisch geprägt und unterstützt die Integration der in Deutschland lebenden Türken. Celkin sagt, der Ton werde schärfer: „Kritisch wird es, wenn die Befürworter der Verfassungsänderung keine Mehrheit bekommen,“ sagt Celkin voraus. Man unterstelle den Türken in Deutschland häufig, sie seien unpolitisch, „dabei sind sie extrem politisch.“

Als Grund dafür, dass Erdogan bei so vielen Türken in Deutschland populär ist, sieht er ein verbreitetes Gefühl der Frustration. Viele sähen sich von der Gesellschaft zurückgewiesen. „Und mit dieser Frustration mobilisiert Erdogan jetzt die Massen für sich,“ sagt Celkin. Es gehe auch gar nicht mehr um die Verfassung, sondern nur noch um „den einen islamisch-konservativen Führer.“ Er selbst besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Er will in Deutschland wählen.

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Kerem Schamberger gehört zu jenen, die sich die sich gegen eine Verfassungsänderung stellen. Als der Sohn einer türkischen Mutter und eines deutschen Vaters vergangene Woche im Münchner Hauptbahnhofsviertel, wo es viele türkische Geschäfte gibt, mit Flugblättern für ein “Nein“ beim Referendum warb, wird der 30-Jährige verbal angegangen: „Alle die mit ‚Nein‘ stimmen, unterstützen die PKK und sind Terroristen“, rief ein Ladenbesitzer ihm hinterher.

Schamberger, der an der Münchener Ludwig-Maximilian-Universität seine Doktorarbeit über kurdische Medien schreibt, reagierte nicht darauf. Es sei die typische AKP-Propaganda, “dass alle Anhänger der PKK Terroristen sind“, sagt er.

„Es gibt Türken und Nicht-Türken“

Nach Ansicht Schambergers seien in Deutschland „4.000 Geheimdienstmitarbeiter für die türkische Regierung“ aktiv. Auf der anderen Seite gebe es ein paar kurdische Jugendliche, die mit der PKK sympathisierten. Er selbst sei bereit, mit jedem zu sprechen, der für ein ‚Ja‘ stimmen will. „Aber die wollen gar nicht über die Verfassung diskutieren.“

Schamberger, der in Deutschland geboren ist, hält die Türkei nicht für einen „Vielvölkerstaat“. Das Problem: Präsident Erdogan akzeptiere die Kurden nur dann, wenn sie sich als Kurden durch ihre Sprache und Kultur nicht identifizierten. Schamberger: „Dann gelten sie als separatistische Terroristen“, die zu bekämpfen seien.

Schamberger hat Bilder von toten PKK-Kämpfern zugeschickt bekommen, mit den Worten: „Dir wird es auch so gehen.“ Er hält Vorträge zur Situation der Kurden an Universitäten in ganz Europa. Als er in Luxemburg vergangene Woche über die aktuelle Lage in Syrien und in der Türkei sprach, wurden Schamberger auf Anweisung des Innenministeriums drei bewaffnete Beamte als Schutz zugewiesen.

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