Waffen gegen diffuse Ängste: Trügerische Sicherheit

Die Zahl der Schreckschusswaffen ist im letzten Jahr sprunghaft gestiegen. Schuld daran soll ein verbreitetes Gefühl der Unsicherheit sein, sagen Kriminologen

Viele Revolver

Seit den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln bewaffnen sich immer mehr Deutsche Foto: dpa

HAMBURG taz | Sein Verhältnis zu Waffen beschrieb der australische Komiker John Safran einmal so: „Ich mag Waffen nicht – ich liebe sie: Sie sind hell, glänzend und machen nette Klick-Geräusche.“ Ein Scherz mit ernstem Kern, der die Obsession vieler Waffenliebhaber insofern auf den Punkt bringt, als dass die Konsequenz des Ernstfalles immer ausgeblendet werden muss. Waffen, zumal die scharfen, stehen für Potenz, Selbstbehauptung und den Wiedergewinn der Kontrolle, die dem bürgerlichen Subjekt in kapitalistischer Totalität abhanden gekommen ist. Sie sollen Wunden heilen.

Tatsächlich kann Bewaffnung für Waffengleichheit sorgen: des Einzelnen gegenüber dem Staat, oder einem ansonsten überlegenen Gegner. Nicht immer muss etwas Schlechtes dabei herauskommen.

Doch der Kampf gegen die Ohnmacht tendiert in dieser Gesellschaft zum Endsieg: Der Wunsch, sich „nichts mehr gefallen zu lassen“, geht mit der Drohung zum Amoklauf einher.

Kollektive Hysterie

Dass in Deutschland die Zahl der Anträge auf den kleinen Waffenschein, der zum Führen sogenannter Schreckschusswaffen berechtigt, sprunghaft angestiegen ist, just im Nachgang zur Diskussion um die Übergriffen in der Kölner Silvesternacht, ist Zeichen kollektiver Hysterie: Denn nie war es hierzulande friedlicher, das belegen Verurteilten-Statistiken und Studien unter anderem des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen.

Indes sind auch Schreckschusswaffen – und wenig anderes bleibt dem kleinen Mann ob der Gesetzeslage in Deutschland – bei weitem kein Spielzeug, kann doch ein Schuss aus nächster Nähe wegen des hohen Drucks zu tödlichen Verletzungen führen. Andererseits bieten auch sie eine nur trügerische Sicherheit: Selbstverteidigungs-Experten raten gerade nicht zu Gaspistolen, da der Umgang in Notsituationen mit ihnen geübt sein will und sie auch in die Hände des Angreifers fallen können. Sicherer sei passiver Schutz, etwa die Alarmpfeife.

Dass eine Zunahme der Bewaffnung in Unsicherheit umschwenkt, zeigt das Beispiel der USA: Dort hantiert die Polizei umso nervöser am Abzug, je mehr sie mit einer Bedrohung durch das Gegenüber rechnen muss.

Der Impuls zur Bewaffnung ist Ausdruck eines übersteigerten Drangs nach Sicherheit, den zu befriedigen mehr Opfer kostet, als vernünftigen Menschen lieb sein kann

Gefahr erhöht sich

Schreckschusswaffen aber sind optisch nicht von scharfen Waffen zu unterscheiden – auch nicht für Polizisten. Kriminologen wie Rafael Behr von der Hamburger Polizeiakademie warnen daher vor einer Gefahr, die sich durch eine Zunahme an Schreckschusswaffen erhöht – und zwar auch für deren Besitzer.

Das zeigte zuletzt ein Fall in Bremen, der auf Anhieb schwer nachzuvollziehen ist: Ein Polizist hatte bei einem Einsatz in einem Mehrparteienhaus von außen auf die geschlossene Eingangstür einer Wohnung geschossen. Eine junge Frau, die dahinter stand, wurde dabei schwer verletzt. Die Ermittlungen gegen den Polizisten aber wurden eingestellt, verantwortlich sein soll nun der Wohnungsmieter.

Er hatte zuvor im falschen Verdacht, es handele sich um Angreifer, die Tür einen Spalt weit geöffnet und auf die Polizisten mit einer Schreckschusswaffe gefeuert. Der Polizist reagierte. Er habe nicht erkennen können, dass es keine scharfe Waffe war, sagt nun die Staatsanwaltschaft. Der Mieter hingegen habe mit seiner Gaspistole die ganze Situation erst angestoßen.

Tendenz zur Domestizierung

Auch Polizeigewerkschafter warnen darum vor Schreckschusswaffen. Allerdings tragen eben auch diejenigen, die das Geschäft des Ängsteschürens betreiben, zum Gefühl der Unsicherheit bei und damit dazu, dass Menschen glauben, mit einem Colt in der Tasche unangreifbar zu sein.

Dazu gehört es, wie der angezählte Boss der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, im Sinne eines Law-and-Order-Lobbyismus ohne stichhaltige Belege ständig von einer Zunahme der Gewalt zu sprechen, einer Verrohung, mit der man es täglich zu tun habe. Wendt und andere fordern schärfer Gesetze, wo sie nur können – ein Katalysator für die Angst vor dem Terrorismus, die ja nicht komplett unbegründet ist.

Dabei geht die gesellschaftliche Tendenz eher hin zur Domestizierung. In Kneipen oder Stadien ist die Prügelei längst nicht mehr so en vogue, wie sie es vor eine paar Jahren noch war. Der Impuls zur Bewaffnung ist, so paradox das klingt, Teil dieser Entwicklung: Er ist Ausdruck eines übersteigerten Drangs nach Sicherheit, den zu befriedigen mehr Opfer kostet, als vernünftigen Menschen lieb sein kann.

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