Kongress zum nachhaltigen Konsum: Nur warme Worte

Die Bundesregierung muss harsche Kritik einstecken: Das Publikum bemängelt die Tatenlosigkeit. Gefordert wird Handeln statt Reden.

In Kunststoffbehältern, die nebeneinander aufgereiht sind, sind verschiedene Nudelsorten

Acht verschiedene Sorten Nudeln in einem verpackungslosen Supermarkt in Berlin Foto: reuters

BERLIN taz | Sofort ist Leben in der Bude. Gerd Billen, Staatssekretär im Verbraucherministerium, hat noch keine fünf Sätze geredet, als er aus dem Publikum lautstark unterbrochen wird. Eine „Unverschämheit“ sei die Äußerung des Staatssekretärs.

Der Zwischenrufer heißt Ulf Schrader. Als Professor für Nachhaltigen Konsum an der Technischen Universität Berlin hat er einen offenen Brief an die Bundesregierung verfasst, den mittlerweile 170 Wissenschaftler unterzeichnet haben. Sie fordern Gesetze und Geld statt warmer Worte. Dieses Plädoyer fasst Billen in seiner Eingangsrede zur Konferenz über „Nachhaltigen Konsum in Deutschland“ so zusammen: Wissenschaftler wollten mehr Mittel für ihre Forschung. Diese Verdrehung und Entkräftung seiner Initiative will Schrader sich nicht bieten lassen.

Bei der Konferenz am Donnerstag in Berlin war der wesentliche Konflikt damit benannt. Die Bundesregierung hat vor einem Jahr ein Programm für nachhaltigen Konsum beschlossen. Ziel: Die Bundesbürger sollen ihre Konsumgewohnheiten langfristig so ändern, dass die Belastbarkeit der Umwelt nicht überschritten wird. Um das zu erreichen werden viele Ideen, Projekte, Netzwerke, Dialoge und Bildungsmaßnahmen benannt. Was weitgehend fehlt, sind staatliche Regulierungen und finanzielle Mittel. Dieser Mangel an Konsequenz geht den Wissenschaftlern auf die Nerven.

Auch viele der rund 400 Konferenzteilnehmer waren weiter als die Politik. Applaus gab es immer dann, wenn jemand forderte, Reden durch Handeln zu ersetzen. Wie bei Johannes Doms vom Babynahrungserhersteller Hipp. Er sagte, die Produkte müssten endlich die „wahren Preise“ tragen, also auch die Kosten für Umweltschäden beinhalten, die bei ihrer Herstellung verursacht würden. Wie ließe sich das umsetzen?

Tatsächlich fällt das böse V-Wort: Verzicht

Die Bundesregierung und die EU-Kommission müssten beispielsweise die Steuersubventionen für Landwirte streichen, die zu viele Pestizide benutzen und das Grundwasser schädigen. „Nehmen wir die Markt­wirtschaft ernst“, verlangte Doms. Wenn unökologische Produkte teurer seien als umweltfreundliche, würden die Verbraucher sie nicht mehr kaufen. Aber auch das Hindernis nannte er: Eine solche Politik verstieße gegen „bestimmte Interessen“.

Teilen: 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland pro Jahr im Müll, wie eine WWF-Studie aus dem Jahr 2015 zeigt. Das sei fast ein Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs. Der Verein foodsharing engagiert sich gegen diese Verschwendung. Er arbeitet mit Supermärkten zusammen, richtet sich aber hauptsächlich an Privatpersonen, die sich gratis Essen abholen können, bevor es in der Tonne endet. Seit der Gründung 2012 hat der Verein fast 8000 Tonnen Essen gerettet.

Leihen: Kein Geheimnis, leihen statt kaufen ist nachhaltiger. Denn viele Gegenstände braucht man auch nur zu ganz bestimmten Gelegenheiten. Laut dem Verbraucherservice Bayern befinden sich durchschnittlich in jedem Haushalt ungenutzte Gegenstände im Wert von rund 1.000 Euro. Abhilfe schaffen Portale wie pumpipumpe.ch oder fairleihen.de, über die man online so ziemlich alles vom Gameboy über Kettensägen bis hin zur Gugelhupfform ausleihen kann. Für weniger onlineaffine Leute gibt es auch in größeren Städten Läden, die Waren ausleihen.

Reparieren: Eigene Besitztümer sollte man möglichst lange verwenden, um Ressourcen zu schonen. Also kaputte Gegenstände reparieren lassen, anstatt sie zu entsorgen. Das Netzwerk reparatur-initiativen.de zeigt, wo in der Nähe es Reparaturstätten für Kleider, Smartphones, Fahrräder und mehr gibt. Das Netzwerk organisiert nach eigener Aussage auch „Veranstaltungen, bei denen defekte Alltagsgegenstände in angenehmer Atmosphäre gemeinschaftlich repariert werden“ und ermutigt zur Gründung eigener Reparatur-Initiativen. (smu)

Das ist das Problem: Mit den Interessen der Auto-, Agrar-, Lebensmittel- und Chemieindustrie will sich die Bundesregierung nicht anlegen, die Unionsminister noch weniger als die sozialdemokratischen. So ist das Programm für nachhaltigen Konsum ein lieber Wunschzettel geworden für eine bessere Welt. Entworfen hat ihn Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), damit Deutschland nachweisen kann, dass man an der Einhaltung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) arbeitet. Tatsächlich passiert beispielsweise beim Klimaschutz viel zu wenig: Heute verursacht der tägliche Konsum der Bundesbürger eine ähnliche Klima­belastung wie im Jahr 2000 – obwohl sie eigentlich sinken müsste.

Eine, die sich ab und zu mal was traut, ist Maria Krautzberger. Die Präsidentin des Umweltbundesamts verwendete tatsächlich das V-Wort. Mitunter sei „Verzicht“ angebracht, sagte sie. In diesem Sinne bedeutet nachhaltiger Konsum: Weniger kaufen, weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen. Dies allerdings ist in vieler Hinsicht eine schwierige Botschaft. Welcher Politiker möchte den Bürgern und Firmen in seinem Wahlkreis Genügsamkeit und Stagnation empfehlen?

Da ist es besser, positive Nachrichten zu verbreiten. So trugen sie beim Kongress einen großen grünen Startknopf auf die Bühne. Billen, Krautzberger und ihre Ministeriumskollegen drückten ihn gemeinsam und eröffneten damit symbolisch das Kompetenzzentrum Nachhaltiger Konsum. Dieses ist angesiedelt beim Umweltbundesamt. Als Koordinierungsstelle soll es das Thema künftig bundesweit voranbringen. 1,5 Personalstellen stehen dafür jetzt bereits zur Verfügung. Weitere sind beantragt.

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