Bedrohtes Projekt Friedel54 in Berlin: Rot-rot-grünes Gefahrengebiet

Ab Samstag kann die Friedel54 in Neukölln geräumt werden. Dem Senat droht der Konflikt mit MieterInnenbewegung und autonomer Szene.

Transpi an hausfassade: Freiräume statt Investorenträume

Transpi in Berlin-Friedrichshain Foto: dpa

BERLIN taz Die Rollläden im Erdgeschoss der Friedelstraße 54 im Neuköllner Reuterkiez sind hochgezogen. Stimmen dringen aus dem Ladengeschäft mit der graffitibesprühten Fassade. „Küche für alle“ steht heute auf dem Plan und die ersten BesucherInnen schneiden Gemüse. Punkrock läuft und gegen eine kleine Spende werden Getränke und ein warmes Abendbrot angeboten. Doch so wohlig, wie es scheint, ist es hier nicht mehr. „Ihr bietet doch Mietrechtsberatung an?“, fragt ein Hereineilender. Er ist schon der Dritte, der heute nach Hilfe fragt.

Die MieterInnen der Friedel54 helfen gerne – solange sie noch können. In wenigen Tagen läuft der Mietvertrag des links-alternativen Ladenkollektivs aus. Ihnen droht die Räumung.

Die Friedel54 ist seit 13 Jahren Veranstaltungsraum, Küche, Umsonstladen und Druckwerkstatt. Hier treffen sich die sozial Abgehängten mit Studierenden, Backpacker mit alteingesessenen AnwohnerInnen der Straße.

Die Diskussionen am Tresen sind genau die gleichen wie draußen auf der Straße. Die Gentrifizierung und „Aufwertung“ des Viertels lässt Mieten steigen und fördert die Verdrängung der bisherigen BewohnerInnen.

Im März läuft die Duldung des Ladenmieters, dem Verein „Akazie Berlin“, aus. Pinehill S.á.r.l., eine Firma aus Luxemburg, ist seit September vergangenen Jahres Eigentümerin des Hauses. Über die Firma und die dahinter handelnden Personen ist nicht viel bekannt. Pine­hill kaufte das Haus von der ehemaligen Besitzerin, der Citec GmbH, die das Haus ursprünglich selbst umfassend aufwerten wollte.

Jahrelange Konflikte

Bereits zum Jahresende 2014 formierte sich Widerstand. Durch den Konflikt mit dem damaligen Vermieter hatten sich LadenmieterInnen und Hausgemeinschaft zusammengefunden. Matthias Sander, Sprecher für die verschiedenen Initiativen, die im Laden Veranstaltungen organisieren, war damals mit dabei: „Wir haben kritisiert, dass die geplanten Sanierungsmaßnahmen, wie etwa eine Wärmedämmung, sowie die daraus resultierenden finanziellen Belastungen nicht notwendig sind.“

Auch juristisch gingen die MieterInnen gegen die Sanierungsmaßnahmen an. Trotzdem wurden Gerüste für Arbeiten an der Fassade aufgestellt und dem Ladenkollektiv im Erdgeschoss gekündigt.

Mit Petitionen, Demonstrationen und einem Besuch der Firmenzentrale in Wien machten die Betroffenen auf sich aufmerksam. Die Citec GmbH ließ sich im April 2016 auf einen Runden Tisch mit den MieterInnen und der Bezirksverwaltung ein. Im Juni, kurz vor dem vielversprechenden Deal, der eine Übernahme des Hauses durch die MieterInnen vorsah, verkaufte Citec dann unerwartet an Pinehill nach Luxemburg. Die Kündigung des Ladens hat unter dem neuen Besitzer weiter Bestand.

Machtlose Politik

Die Berliner Abgeordnete Anja Kofbinger (Grüne) hat ihr Stadtteilbüro nur wenige Häuser von der Friedel54 entfernt und bemühte sich noch im vergangenen Jahr mit einem Schrei­ben an die Firma Pinehill um eine beidseitige Lösung. Der Brief blieb unbeantwortet. Kofbinger scheint nun ratlos: „Eigentum verpflichtet, doch wir können dem Besitzer nicht einfach sein Eigentum wegnehmen. Auf politischer Ebene ist nicht mehr viel gegen die bevorstehende Räumung auszurichten.“

Kofbinger sieht die Bezirksverwaltung in der Pflicht. Ihr Parteikollege ist Jochen Biedermann, seit 2016 Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung: „Wir haben auf Bezirksebene das getan, was wir tun konnten, um ein Desaster zu verhindern. Die Sache nun zu lösen, ist eine zu hohe Erwartung an den Bezirk.“

Im Gerangel um die Zuständigkeiten zwischen Bezirks- und Landesebene läuft den MieterInnen die Zeit davon. Juristisch sind sie gescheitert. Und auch der Milieuschutz, der vergangenes Jahr für ihren Kiez erlassen wurde, hilft nicht. Er gilt nicht für gewerbliche Immobilien.

Franziska Giffey (SPD)

„Ich sehe den sozialen Frieden in Neukölln gefährdet“

„Wir wollen so lange wie möglich bleiben“ sagt Matthias Sander. Wann Gerichtsvollzieher und Polizei anrücken werden, steht aber noch nicht fest. Das Ladenkollektiv ist eng vernetzt mit ebenfalls von Verdrängung betroffenen Projekten wie der Potse, dem M99 oder der Rigaer94. Sander sagt: „Wir verstehen es nicht, dass alteingesessene Mietparteien einfach so von Briefkastenfirmen verdrängt werden können.“

Neuköllns SPD-Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey sorgt sich derweil vor der Gegenwehr der LadenmieterInnen: „Ich sehe den sozialen Frieden in Neukölln gefährdet, sollte sich die Lage in der ­Friedelstraße 54 zuspitzen. Hier gibt es Parallelen zu den besetzten Häusern in der Rigaer Straße.“ Die Teilräumung der Rigaer im vergangenen Juni und die nachfolgenden Proteste stehen als Drohkulisse im Raum. Biedermann sagt: „Ich hoffe, dass der neue Senat da anders agiert als zuvor bei der Rigaer Straße.“

Hoffnung Aufkauffonds

Sander macht diese Diskussion fassungslos: „Wir erfahren jede Woche so viel Unterstützung aus dem Viertel. Eigentlich ist sich der ganze Kiez zusammen mit den PolitikerInnen einig, dass der Laden bleiben soll. Doch warum werden dafür nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt?“

Sander spricht damit einen letzten Versuch an, die Friedel54 zu schützen. Zusammen mit der Hausgemeinschaft fordert er die Stadt dazu auf, das Haus durch ein kommunales Wohnungsunternehmen zu kaufen. Einen speziell für solche Häuser eingerichteten Aufkauffonds gäbe es dafür bereits, nur müssten Land und Bezirk mit einem gut durchdachten Angebot an Pinehill herantreten. Eine schriftliche Anfrage hierzu an die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Linke), überreichte Sander zur Sicherheit höchstpersönlich.

Klaus Strowig, Wohnungsmieter in der Friedelstraße 54, hat noch Hoffnung: „Über die Monate des sozialen Kampfes für das Ladengeschäft sind wir als Gemeinschaft eng zusammengewachsen und wollen das Haus als Eigentümer selbst verwalten.“ Bei einer Räumung des Ladens fürchtet Strowig den Beginn von Luxussanierungen: „Wenn der Widerstand einmal gebrochen wird, resignieren viele. Aber wir hoffen, dass alles ganz anders kommt.“

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