Terror in den Siebzigern, Terror heute: Die Evolution des Terrors

In den 70ern stießen die Antiterrorgesetze der BRD auf Kritik in der Bevölkerung. Heute wird der Präventionsstaat weitgehend geduldet.

Ein Tatort: vorne links liegt ein mit einem weißen Tuch bedeckter Mensch, weiter hinten ein weiterer, vorne rechts im Bild ein Auto

Der RAF zielte auf die Mächtigen, zum Beispiel auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback, vorne links im Bild. Im Hintergrund sein Fahrer. Tatort vom 7. April 1977 Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Der heutige Generalbundesanwalt Peter Frank muss wohl keine Angst um sein Leben haben. Dass der sogenannte Islamische Staat versucht, ihn zu töten, ist mehr als unwahrscheinlich. Ist der IS also ungefährlicher als die RAF? Sicher nicht. Im Gegenteil.

Die RAF zielte auf die Mächtigen. Die Opfer des Terrorjahrs 1977 zeigen das deutlich: Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Bankier Jürgen Ponto und Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Die RAF tötete 1977 zwar auch insgesamt sechs Fahrer und Leibwächter, aber eben nicht wahllose Opfer in der Bevölkerung.

Der Terror der Islamisten greift dagegen alle Gesellschaften an, die sich ihm nicht beugen. Opfer sind auch Muslime, sowohl im Westen als auch in mehrheitlich muslimischen Ländern. Islamistische Terroristen müssen für ihre Anschläge deshalb weit weniger Aufwand betreiben als die RAF. Sie finden ihre Opfer überall, in der Bahn, auf dem Weihnachtsmarkt, im Konzertsaal.

Dabei ist der islamistische Terrorismus durchaus zu komplexen Operationen imstande. Die Al-Qaida-Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington, die mit entführten Passagierflugzeugen durchgeführt wurden, stellen die Taten der RAF sowohl von der Opferzahl als auch logistisch in den Schatten. Und der IS hat auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Macht weite Teile Syriens und des Iraks kontrolliert. Im Juni 2014 nahm er sogar die irakische Millionenstadt Mossul ein, die erst jetzt langsam wieder befreit wird.

Dass IS-Terroristen im Westen heute vor allem zu Alltagswaffen wie Messern, Äxten und Autos greifen, hat zwar auch mit guter Arbeit der Sicherheitsbehörden zu tun. Es ist kaum noch möglich, heimlich an größere Mengen Sprengstoff zu gelangen. Islamistische Terrorgruppen wie die Düsseldorfer Zelle oder die Sauerland-Gruppe mussten deshalb Sprengstoff selbst herstellen und konnten dabei festgenommen werden.

Wenn jeder in kürzester Zeit zum Täter werden kann, kann sich auch niemand richtig sicher fühlen

Allerdings macht gerade die neue Niedrigschwelligkeit der Anschläge auch ihre besondere Gefährlichkeit und damit ihren Reiz für den IS aus. Eine Axt ist schnell besorgt, ein Auto schnell gestohlen. Eine Organisation oder feste Gruppe ist hierfür nicht erforderlich. Wenn jeder binnen kürzester Zeit zum Täter werden kann, kann sich in der Gesellschaft auch niemand richtig sicher fühlen – vor allem, wenn die Täter auch ihren eigenen Tod in Kauf nehmen. Nicht zuletzt ist die Form der Rekrutierung diffuser geworden: Über soziale Medien wie Facebook lassen sich heute auch 15-jährige Einzelgänger für den Dschihad begeistern. Damals stießen Flugblätter, Bücher und Broschüren auf einschlägigen Veranstaltungen auf ohnehin kritische Kreise.

In den 70ern undenkbar, heute vertretbar

Diese neue Dimension des Terrors hat auch die Mittel der Strafverfolgung verändert. Seit 1976 war schon die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung strafbar. Zu RAF-Zeiten genügte das als Prävention. Die Strafverfolgung der RAF-Mitglieder diente zugleich der Abwehr neuer Anschläge.

Al-Qaida war im Westen dagegen keine feste Organisation, sondern eher ein Label, wie heute auch der IS. Die Anschläge begehen Einzeltäter oder lockere Cliquen. Seit 2009 ist daher die Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten auch ohne Terrorgruppe strafbar. Allerdings fordert der Bundesgerichtshof als Voraussetzung für ein Strafurteil, dass die Täter bereits einen konkreten Plan und eine konkrete Absicht haben. Das ist im Vorfeld aber oft noch nicht der Fall, jedenfalls schwer beweisbar.

Weil das Strafrecht als präventives Mittel weitgehend ausfällt, ist inzwischen die reine Gefahrenabwehr in den Fokus gerückt. Die Polizei definiert Personen, die sie im Auge behalten will, als Gefährder. In Bayern soll unbefristete Präventivhaft erlaubt werden. Im Bund wird die elektronische Fußfessel als vorsorgliche Maßnahme eingeführt. Und das Bundesverwaltungsgericht erlaubte jüngst die Abschiebung von hier aufgewachsenen Ausländern, sobald ein „beachtliches Risiko“ besteht, dass sie einen Anschlag begehen könnten. Was in den 70er Jahren völlig undenkbar gewesen wäre, gilt heute als durchaus vertretbar.

Der Widerstand gegen den neuen Präventionsstaat ist bisher aber viel geringer als die Proteste gegen die Antiterror­gesetze der 70er Jahre. Das dürfte auch daran liegen, dass sich die RAF aus der linken 68er Bewegung heraus entwickelte und staatliche Vorfeldmaßnahmen daher schnell auch legale linke Strukturen erfassten. Dagegen wächst der islamistische Terror vor allem aus salafistischen Gruppen, die auch bei Linken und Bürgerrechtlern keine Sympathien haben.

Im Sinne des IS wäre es, wenn Muslime heute allgemein unter Verdacht gerieten, wie etwa von der AfD propagiert. Dies würden die Islamisten als Beleg verstehen, dass Muslime im Westen nicht sicher leben können. So schließt sich dann auch der Kreis zur RAF: Auch diese wollte mit ihren Anschlägen das innenpolitische Klima so zuspitzen, dass der bürgerliche Staat seine „faschistische Fratze“ zeigt und die Akzeptanz der Bevölkerung verliert. Die RAF ist daran gescheitert und hat sich zwei Jahrzehnte später aufgelöst.

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