Banksy-Hotel in Bethlehem: Besatzung als Touristenattraktion

Der britische Streetart-Künstler Banksy hat direkt neben der Mauer in Bethlehem ein Hotel eröffnet. Nicht alle dort sind davon begeistert.

Ein vermummter palästinensischer Aktivist und ein israelischer Soldat kämpfen mit Kissen, die Federn stieben

Banksy meinte sein Kissenschlachtbild als Anstoß zum Nachdenken, viele Palästinenser aber fühlen sich provoziert Foto: ap

BETHLEHEM taz | Direkt neben Israels gut acht Meter hoher und mit Stacheldraht gekrönter Trennmauer steht die neue Touristenattraktion von Bethlehem: „The Walled Off Hotel“ – das jüngste Projekt des britischen Graffiti-Künstlers Banksy. Wer von Jerusalem aus nach Bethlehem fährt, kommt daran vorbei, sobald er den militärischen Straßenkontrollpunkt passiert hat.

„Es waren sicher zehn Leute“, die über Monate an dem Hotel gearbeitet hätten, sagt Nachbar Yamen al-Abed. Welcher von ihnen der Banksy gewesen ist, könne er nicht sagen. Der britische Straßenkünstler ist sehr darauf bedacht, seine Identität geheim zu halten. Banksy arbeitet im Schatten der Öffentlichkeit: Auf die Mauer, die Israelis und Palästinenser trennt, hat er immer wieder seine politischen Graffitis gesprüht.

Zum Empfang des von ihm gestalteten Walled Off Hotel geht es vorbei an einem lebensgroßen Plastikaffen im roten Pagen­anzug, der mit dem Inhalt eines geplatzten Koffers kämpft. Freundlich hält ein Palästinenser mit Zylinder die Tür auf – zu einem Ort, der so eindeutig mit der Erinnerung an das Reich längst vergangener britischer Kolonialzeiten spielt. Genau 100 Jahre nach der Balfour-Deklaration, mit der Großbritannien 1917 den Zionisten das Einverständnis gab, eine jüdische Heimstätte in Palästina zu errichten, feierte das Hotel Eröffnung. Allein das Datum und die gewollte Verbindung zu dem so folgenschweren historischen Ereignis sollte ausreichen, um die lokale palästinensische Bevölkerung zu provozieren. Seit drei Wochen sind Touristen aus dem In- und Ausland, auch aus Israel, eingeladen, eins der zehn Zimmer zu reservieren.

Keineswegs Provokation, sondern „Erinnerung“ soll das Hotel sein – daran, „dass ein einziger Mann (Großbritanniens früherer Premierminister Arthur James Balfour) in der Lage war, die Politik des Nahen Ostens zu beeinflussen“, sagt Wisam Salaam, Geschäftsführer des Hotels. „Fast alles in diesem Hotel ist ironisch. Das ist Banksys Stil.“ Die Besucher sollen „sich wundern und Fragen stellen“. Eine Pressemitteilung preist das Hotel an als „dreistöckiges Heilmittel gegen den Fanatismus – beschränkte Parkmöglichkeiten“.

Viele Besucher kommen, um zu übernachten, einen Kaffee zu trinken oder nur um mal zu gucken. Das Walled Off Hotel ist schon jetzt Touristenattraktion. „Wir sind auf Wochen ausgebucht.“

Allein das Datum und die gewollte Verbindung zu dem so folgenschweren historischen Ereignis sollte ausreichen, um die lokale palästinensische Bevölkerung zu provozieren

Lokale Tourguides machen mit ihren Gruppen am Hotel Zwischenstopps. Die Leute zücken ihre Handys und drücken auf die Auslöser. „Wir haben wieder Leben in diese Region gebracht“, sagt der frühere Touristenführer und Reiseagent Salaam zufrieden, als wieder ein Bus vor der Tür hält. „Ich wollte schon immer etwas Eigenes in Bethlehem aufbauen.“ Das Walled Off Hotel ist nun sein Unternehmen. Banksy steckt finanziell nicht mehr in dem Projekt.

Nachbar al-Abed profitiert schon jetzt von der neuen Attraktion in seiner Straße. Vor sieben Jahren räumte er die Regale seines Lebensmittelgeschäfts leer und handelte fortan mit Graffiti-Kunst auf T-Shirts, Postern und Postkarten statt mit Milch, Mehl und Zucker. „Es sind immer wieder Leute in meinen Laden gekommen, die wissen wollten, wo die Bilder von Banksy sind“, sagt der 65-Jährige. Denn der britische Graffiti-Künstler hatte sich immer wieder nach Bethlehem geschlichen und an die Mauer gesprüht, die Israel baute, um sich vor Terror zu schützen. Bilder, die weltberühmt wurden: ein Palästinenser, der statt Steine einen Blumenstrauß wirft; eine Taube mit Olivenzweig und kugelsicherer Weste und ein Mädchen, das einen Soldaten nach Waffen abtastet – an die Mauer, die Israel baute.

Für die Palästinenser waren die Trennanlagen eine Katastrophe: Immer mehr Leute zogen weg. „Als wir das Haus mieteten, stand es praktisch leer“, sagt Salaam über das Hotel. Auch der Fleischer im Erdgeschoss „hatte schon vor Jahren seinen Laden zugemacht, weil die Kundschaft wegblieb“.

Das Bild einer Kissenschlacht erbost viele Palästinenser

Dicke Teppiche liegen im Foyer des Hotels, Palmen, Kronleuchter, eine Ledercouch und ein blitzblankpolierter schwarzer Flügel. Das Personal trägt schwarze Uniformen mit roten Westen, die Männer zusätzlich eine Fliege. Auf den Tischchen stehen Zuckerdosen aus Porzellan und Kerzenständer.

Nur die Werke des britischen Künstlers brechen mit dem Ambiente: Banksy drückt mit einem Arrangement von Überwachungskameras und Steinschleudern dem kolonialistischen Flair einen schelmischen Stempel auf. Über den Flügel hat er einen Engel mit einer Sauerstoffmaske platziert. Wie im Krimi bewegt sich die Bücherwand und entpuppt sich als Tür zu den Gästezimmern. Und der elektrische Flügel spielt jeden Abend Konzerte, ohne dass jemand die Tasten bedient.

Banksys Humor kommt nicht bei allen Palästinensern gut an. Ein älteres Bild von einem israelischen Soldaten, der einen Esel auffordert, sich auszuweisen, erboste viele. Dem Kunstdozenten Naser Jawabra von der Polytechnischen Hochschule in Hebron stößt auf, dass Banksy Besatzer und Palästinenser auf eine Stufe stellt – so jedenfalls empfindet er es bei dem im Hotel hängenden Bild, das einen Soldaten und einen Palästinenser in einer Kissenschlacht miteinander zeigt. „Wir dürfen dieses alltägliche Leid nicht als einen Konflikt unter Gleichgestellten betrachten“, sagt Jawabra. Die Vorstellung, im Walled Off Hotel israelische Künstler zu treffen, wie es Banksy offenbar vorschwebt, findet er absurd. „Ich bin palästinensischer Künstler und lehne jede Normalisierung mit Israelis ab.“

Zwischen 60 Dollar für eine Pritsche im Mehrbettzimmer und knapp 1.000 Dollar für die „Präsidentensuite“ inklusive Whirlpool und Heimkino kostet die Übernachtung. Das Walled Off Hotel lockt internationales Publikum: Auf der Speisekarte stehen Latte und Cappuccino statt türkischem Kaffee mit Kardamom; Sandwiches und Scones anstelle von Falafel und Baklawa. Hier spricht man Englisch.

Und hier wird Besatzung zur Touristenattraktion. „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmern“, gibt Salaam zu, wobei die Profite vorläufig überschaubar seien. „Wir können kaum unsere Rechnungen bezahlen.“ Immerhin beschäftige das Hotel knapp 50 Angestellte, allesamt Palästinenser aus der Region. Und im oberen Stockwerk zeigt eine Dauerausstellung Werke palästinensischer Künstler. Der Unterschied zu anderen Hotels ist, „dass es hier die Möglichkeit für die Gäste gibt, sich über die politische Lage zu informieren“.

„Fast alles in diesem Hotel ist ironisch. Das ist Banksys Stil“, sagt Geschäftsführer Wisam Salaam. Die Besucher sollen „sich wundern und Fragen stellen“.

Hotelgäste dürfen das kleine Museum im Keller umsonst sehen, alle anderen zahlen umgerechnet 4 Euro Eintritt für den Schnellkurs in Vertreibung und Flüchtlingsschicksal der Palästinenser, Besatzung und Mauerbau. Darin zu sehen: ein alter Koffer mit ein paar Kleidungsstücken; der Schlüssel zu einem Haus, das längst nicht mehr steht; Bilder vom Checkpoint, von Soldaten und Kontrollen, von einer Sonnenbrille, die auf den Trümmern eines zerstörten Hauses liegt; ein Video, das Gaza nach dem Krieg im Sommer 2014 zeigt.

Auch damals war Banksy in Gaza und malte eine weiße Katze mit rosa Halsband auf die Trümmer eines zerstörten Hauses. „Diese Katze ist ja ganz niedlich“, meint Kunstdozent Jawabra, „aber sie sagt nichts über unsere Situation aus, nichts über unser Leid und die Folter“. Banksy verharmlose die Situation, „er spricht von einer Sicherheitsmauer, aber es ist eine Apartheidsmauer“, sagt Jawabra. Dennoch begrüßt er, dass das Walled Off Hotel „bei den Touristen ein Bewusstsein“ für die Lage der Palästinenser schaffe. „Ein Bild von Banksy sagt mehr als tausend Zeitungsartikel.“ Trotzdem würde Jawabra es vorziehen, wenn „Banksy die Realität malen würde – und nicht nur seine Traumwelt“.

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