In Erinnerung an Rosa Parks: Ein Zuhause, das kein Zuhause hat

Das Wohnhaus der Bürgerrechtlerin stand vor dem Abriss. Nun hat es ein US-Künstler in Berlin mit Originalmaterialien wieder aufgebaut.

Ein Haus, das unten hell und oben dunkel ist

Quer über den Atlantik nach Deutschland: das wiedererrichtete Haus von Rosa Parks in Berlin-Wedding Foto: Fabia Mendoza

Es geschah im Winter 1955 in Montgomery, im amerikanischen Bundesstaat Alabama. Rassentrennung war Alltag: Es gab Schulen, Parkbänke und Aufzüge für „Whites only“ und „Coloreds only“. Auch in den Bussen konnte nicht jeder sitzen, wie er wollte, und als eines Tages ein weißer Fahrgast die 42-jährige schwarze Näherin Rosa Parks aufforderte, für ihn aufzustehen, blieb sie einfach sitzen – ob aus purer Müdigkeit nach einem langen Arbeitstag oder mit klarem Hintergedanken, das ist bis heute ungeklärt.

So oder so: Der Busfahrer James Blake rief die Polizei, und Rosa Parks wurde wegen Störung der öffentlichen Ruhe verhaftet. Sie ging in die Geschichte als einfache Frau ein, die die schwarze Bürgerrechtsbewegung losgetreten hat.

61 Jahre und drei Monate später steht der US-amerikanische Künstler Ryan Mendoza im Hof zwischen seinem Wohn- und seinem Atelierhaus in einer Seitenstraße des Berliner Arbeiterviertels Wedding und macht ein Gesicht, als könne er es immer noch nicht glauben. Die blaue Stunde hat gerade begonnen. Eine Amsel versucht, den Frühling herbeizusingen. Mendoza hat das Licht im Haus von Rosa Parks angeknipst. Es ist tatsächlich das Haus von Rosa Parks, dass hier mitten im Wedding steht. Es ist ein Haus, das in Amerika abgerissen werden sollte, das keiner dort wollte. Es ist das Haus, das Rosa Parks nach ihrer Flucht aus dem Süden 1957 zwei Jahre lang in De­troit bewohnte.

Die Gardinen flattern leicht im Wind. Das kleine Holzhaus mit dem spitzen Giebel wirkt durchsichtig und zerbrechlich, wie durch Zauberhand ist es genauso hoch wie die Häuser Mendozas, zwischen denen es jetzt steht. Und doch scheint es eher eine Art Ufo zu sein. Es wirkt wie ein lange vergessener Gegenstand, der zum Leben erweckt wurde, der sich ein wenig verwundert und traurig die Augen reibt. Denn es musste hier in Berlin ins Exil. So, wie vor vielen Jahren Rosa Parks nach De­troit ins Exil ging. „Es ist wie ein Zuhause, das kein Zuhause hat“, sagt Mendoza.

Künstler befassen sich seit je mit menschlichen Behausungen, schrieben „Verschimmelungsmanifeste“, bauten Favelas nach, Häuser für Obdachlose, ihre Elternhäuser in schmaler Version. Aber ein solches sprechendes Haus hat es in der Geschichte der Kunst selten gegeben. Die Geschichte, die Ryan Mendoza zu „seinem Haus“ erzählt, das er nie „sein Haus“ nennen würde: sie ist groß.

Mendoza konnte die Schwarze Community überzeugen

Es begann im Jahr 2016. Ryan Mendoza, der seit zwanzig Jahren in Europa lebt, hatte gerade ein ähnliches Projekt beendet: Er hatte ein anderes Haus von der Abrissliste der Stadt Detroit gerettet, verschifft, weiß angestrichen, es „White House“ genannt und auf der Art Rotterdam ausgestellt. Er hatte zeigen wollen, wie die Mächtigen in jenem Land, in dem er aufgewachsen ist, ihre Interessen auf Kosten der Armen durchdrücken. „Erst verkaufen die Banken Kredite an einfache Leute, die sie überhaupt nicht abbezahlen können“, sagt der Mann mit den sanften Augen, dem bekleckerten Overall und den Händen eines Bauarbeiters. „Und am Ende verdienen die Abrissfirmen. Alle verdienen bei jedem Kapitel dieser Geschichte“, sagt er, „nur nicht die Armen.“

Es wurde Winter, Trump wurde Prä­sident, das Holz lud sich immer weiter mit Bedeutung auf

Viel Ärger hatte Ryan Mendoza in Detroit, dieser Mann mit seinem feinen Sensorium für Macht, Machtmissbrauch und Ausbeutung. Er wurde von der Presse als Weißer beschimpft, der sich das Haus eines Schwarzen für seinen Ruhm unter den Nagel reißt; „meine Frau und ich, wir waren drauf und dran aufzugeben“, erzählt er heute. Aber dann kippte die Geschichte, Mendoza kann sich bis heute nicht recht erklären, warum. Er konnte die schwarze Community vor Ort überzeugen. Das Haus kam in die Kunst, das Projekt ist abgeschlossen.

Und gerade als sich Mendoza, der Mann, der nach seiner Flucht aus den USA erst einmal seine Muttersprache nicht mehr sprechen wollte, nach einem zweiten Haus umsehen wollte, einem Haus für seine Herkunft, seine Erinnerungen, seinen kleinen Sohn, dem er mehr Wurzeln wünscht, als er selbst hat, da kam Rhea McCauley auf ihn zu. Rhea McCauley ist Rosa Parks’ Nichte, eines der 13 Kinder ihres Bruders, die alle in dieses Haus hineinpassten und bei denen Rosa Parks zwei Jahre lang Zuflucht fand. Rhea McCauley hatte das Haus für 500 Dollar gekauft und wusste nicht weiter.

Mendoza fand nicht, dass das Haus nach Berlin gehöre, und versuchte alles, um es zu retten. Er schrieb den Bürgermeister an, Greyhound Bus, das Weiße Haus. Kein Interesse. Mendoza dachte sich: „Dieses Land ist auf Lügen gebaut. Man kann aber nur vorwärtsgehen, wenn einem die Vergangenheit gehört.“ Also begann er in De­troit, in glühender Sommerhitze, auf eigene Kosten und mit einer Handvoll Helfer das Haus auseinanderzunehmen.

„Das Haus wurde misshandelt und verletzt“

Inzwischen sitzt Ryan Mendoza am Schreibtisch seines Wohnhauses im Wedding und zeigt Ausschnitte aus einem ­Dokumentarfilm, den seine Frau Fabia Mendoza über die Hausprojekte gedreht hat. Die Glaswolle in den Lungen, der Staub, der Schweiß, die Prellungen, die Quetschungen. Eine Nachbarin brachte täglich Essen. Eine andere sagte, man habe als Schwarzer in Amerika andere Probleme. Für Kunst fehle die Zeit und das Geld. Immerhin werde das Haus nun gerettet – ein Dienst, den die afro­ameri­kanische Community dem Haus nicht habe erweisen können.

Das Projekt: Am Samstag, 8. April ab 14 Uhr zeigt der Künstler Ryan Mendoza der Öffentlichkeit das Haus von Rosa Parks in der Wriezener Straße 19 in Berlin. Am selben Abend um 18 Uhr zeigt Fabia Mendoza ihren Dokumentarfilm „The White House Documentary“ im Kino Babylon Mitte. Ebenfalls am selben Tag um 12 Uhr eröffnet in der Berliner Galerie Camera Work eine Ausstellung mit Ryan Mendozas Fotografien von einer Russlandreise, auf der er ein Holzhaus in den Farben der US-amerikanischen Flagge anmalte.

Mendoza erklärt, wie ihn diese Aussage bis heute umtreibt. So sehr, dass es leicht war, durch alles zu gehen, was widrig war: Das Haus war offen, hatte keinen Boden, ein Drogen­umschlagplatz, ein Loch. Er habe darin tote Tiere gefunden. Irgendwann sei es nicht gerade sachgerecht isoliert worden, von außen mit Rigips verkleidet, voll Wasser und Schimmel. „Das Haus wurde misshandelt und verletzt“, sagt er. „Ich habe es gereinigt wie bei einer Operation. Alles, was ungesund oder fehlerhaft war, musste weg.“

Als Ryan Mendoza fertig war mit dem Abbau, verschiffte er den Haufen Holz, der übrig blieb, quer über den Atlantik nach Deutschland. 13.000 Euro kostete das. Es wurde Oktober, Mendoza kam zurück in den Wedding und goss ein Fundament.

Es wurde Winter, Trump wurde Präsident, das Holz lud sich immer weiter mit Bedeutung auf.

Der Winter ging weiter, Mendoza baute weiter, zunächst den Rahmen. Dann wuchtete er die Fenster in die Fassade und fixierte sie. Ohne Helfer, ohne Technik. Er konnte keine bezahlen. Er wollte auch keine. Wegen des Risikos, vom Dach zu fallen. Aber auch deshalb: „Es war, als müsste das Haus durch meinen Körper gehen“, sagt Mendoza, „als dürfte nur ich Hand anlegen.“ Dann schiebt er nach: „Einer muss es doch machen.“ Pause. „Es ist einfach notwendig, dass diese Träne fällt.“

Das Haus und seine Geschichte sind stärker

Bevor er das Haus am Samstag der Öffentlichkeit zeigt, ist Ryan Mendoza noch mit der Teerpappe für das Dach beschäftigt. Und mit dem Sound, den man von außen hört, wenn man vor dem Haus steht. Es könnten alte Werbeclips aus den Jahren sein, in denen Rosa Parks im Haus lebte. Es könnten alte Songs sein, Mendoza weiß es noch nicht. Nur eins weiß er genau: Niemand wird das Haus am Samstag betreten dürfen. Es soll seine Würde zurückbekommen. Seinen Stolz. Mendoza hat auch das „Keep out“-Schild, das er an der Tür zu dem Haus fand, mitgebracht.

Die Rechten von heute rufen „Lügenpresse“, weil sie sich durch die etablierten Medien nicht vertreten fühlen – ähnlich wie 1968 die Linken. Lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. April einen Essay über die Karriere eines Kampfbegriffs. Außerdem: Eine Reportage über einen Hotelier in Bautzen, der Flüchtlinge einziehen ließ und als Herbergsvater glücklich wurde – bis Brandsätze flogen. Und: Wie der Oscar der Glaubwürdigkeit des Schwulen-Dramas „Moonlight“ geschadet hat. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Und wenn am Ende doch noch einer käme und das Haus in die Staaten zurückholen wollte? Mendoza würde es freuen. Er hat bis heute nicht das Gefühl, dass das Haus an diesen Ort gehört. Er würde sich gut dafür bezahlen lassen und das Geld der Rosa Parks Stiftung überweisen. Dann könnte diese endlich den Amerikanern zeigen, was Erinnerungskultur ist.

Und wenn nicht? Mendoza würde sich ebenfalls freuen, über die Kontroverse, die das auslösen könnte. Er weiß genau: Dieses Haus und seine Geschichte sind so oder so stärker als er, er muss sich ihm einfach unterordnen. Sie werden ihn überleben.

Und wenn die Künstler dieser Welt das Haus bis in alle Ewigkeit im Berliner Arbeiterbezirk Wedding hegen und pflegen müssten.

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