Kommentar Armuts- und Reichtumsbericht: Der unsichtbare Reichtum

Der Armuts- und Reichtumsbericht erfasst nur die Wenigvermögenden. Die reichen Haushalte werden erst gar nicht erfasst.

Frau mit hohem Aktenstapel

Präsentierte am Mittwoch dem Kabinett den jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles Foto: reuters

Der Armuts- und Reichtumsbericht ist eine Mogelpackung. Denn Reichtum kommt fast gar nicht vor. Detailliert und zahlengenau wird nur die Armut beschrieben. Dieses krasse Missverhältnis spiegelt die Datenlage wider: Über Hartz-IV-Empfänger weiß man alles; bei ihnen ist sogar bekannt, wie viele Zahnbürsten in ihrem Badezimmer stehen. Aber bei den Reichen fehlen selbst die wichtigsten Zahlen. Die verfügbaren Vermögensstatistiken sind so lückenhaft, dass Billionen Euro im Nirwana verschwinden. Niemand weiß, wer sie besitzt.

Nur ein Beispiel: Eine der wichtigsten Erhebungen in Deutschland ist die sogenannte „Einkommens- und Verbrauchsstichprobe“ vom Statistischen Bundesamt. Doch Haushalte mit einem Nettoeinkommen von monatlich mehr als 18.000 Euro werden nicht befragt. Der schliche Grund: Vermögende neigen dazu zu lügen, wenn es um ihr Vermögen geht.

Leider ist es keine statistische Petitesse, dass alle Haushalte fehlen, die auf ein Nettoeinkommen von mehr als 18.000 im Monat kommen. Sie machen zwar nur maximal ein Prozent der Bevölkerung aus – aber dieses reichste Hundertstel dürfte bereits ein Drittel des gesamten Volksvermögens besitzen. Also mehrere Billionen.

Natürlich ist es kein Zufall, dass unbekannt ist, wie reich die Reichen sind. Die Vermögenden setzen ihre gesamte Lobbymacht ein, um sinnvolle Erhebungen zu verhindern. Sie verfahren nach dem Motto: „Was der Wähler nicht weiß, macht ihn nicht heiß.“ Wenn die Daten fehlen, so das Kalkül, kommt auch keine Debatte darüber auf, wie man Vermögen und Einkommen gerechter verteilen könnte.

Abhilfe wäre einfach: Würde man eine Vermögenssteuer einführen, wäre sofort bekannt, wer die fehlenden Billionen besitzt. Genau deswegen wird die Vermögenssteuer mit aller Macht verhindert – und stets behauptet, dass sich „der Verwaltungsaufwand nicht lohnen“ würde. Er würde sich lohnen. Garantiert.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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