Vertriebenenlager in Nigeria: Der ständige Begleiter

Drei Jahre nach der Entführung hunderter Schülerinnen ist Boko Haram auf dem Rückmarsch. Nun hat das Militär die Bevölkerung fest im Griff.

Strohhütten auf sandigem Boden

Camp für Binnenflüchtlinge in Maiduguri Foto: reuters

BENISHEIKH/MAIDUGURI taz | Strahlendes Hellgelb ziert das neue Verwaltungsgebäude an der Durchgangsstraße. Gut 80 Kilometer sind es noch nach Maiduguri, Hauptstadt des Bundesstaats Borno. Wenige hundert Meter weiter springt das neue, ebenfalls hellgelbe Krankenhaus ins Auge, Siedlungen für Vertriebene, Zelte des UN-Welternährungsprogramms WFP in Blau-Weiß. Alle Autofahrer von Kano nach Maiduguri sollen sehen, dass der Wiederaufbau voranschreitet.

Im September 2013 fand hier in Benisheikh ein brutales Massaker statt, als die Islamistenarmee Boko Haram die Straße nach Maiduguri unter ihre Kontrolle bekommen wollte. Die Bewohner flüchteten, 170 Transitreisende wurden brutalst abgeschlachtet. Bornos Gouverneur Kashim Shettima kam, schritt die Hauptstraße entlang und versprach Wiederaufbau. Heute ist Benisheikh wieder Symbol – für die Hoffnung, dass die Tage von Boko Haram gezählt sind.

Jetzt kommen alle zwei Monate Nahrungsmittellieferungen an. 33.000 Vertriebene haben in Benisheikh Zuflucht gefunden. Aber nur 20.000 Menschen haben es geschafft, durch biometrische Erfassung ihrer Daten auf die Liste der Hilfsempfänger zu kommen.

Neben der Autoschlange warten Frauen, vereinzelt kleine Jungen mit aufgequollenen Lippen und schmutzig-grauen, leeren Gesichtern. Hauwa und Adisa haben erst vor Kurzem Benisheikh erreicht. Monatelang sind die beiden Fulani-Frauen im Sambisa-Wald, einer der letzten Zufluchtsstätten von Boko Haram an der Grenze zu Kamerun, mit ihren Kindern herumgeirrt. „Sie kamen nachts und wir sind gerannt“, erzählt Hauwa von den Islamisten. „So schnell wie möglich weg.“

Satomi Ahmad, staatliche Nothilfe

„Nahrungsmittelversorgung ist nicht unsere Priorität“

Irgendwann stießen sie auf das Militär, das ihnen den Weg über einen sicheren Korridor nach Benisheikh wies – ein Fußmarsch von fast 100 Kilometern. „Ich komme schon zurecht“, sagt Hauwa. „Aber ich fürchte mich vor den Augen meiner Kinder. Jetzt habe ich den ganzen Tag gewartet, um Nahrung zu bekommen. Heute morgen habe ich die Kinder bei Bekannten gelassen, sie weinten laut und hatten Hunger. Wie soll ich ihnen jetzt gegenübertreten?“

„Nahrungsmittelversorgung ist nicht unsere Priorität“, sagt Satomi Ahmad, der Leiter der staatlichen Nothilfeagentur Nema in Maiduguri. „Wir müssen Sicherheit herstellen und den Wiederaufbau vorantreiben. Dann können die Menschen zurückkehren und wieder ihre Felder bestellen.“

Ein langwieriger Kampf

Auf dem Höhepunkt des Krieges waren 24 der 27 Distrikte in Borno von Boko Haram besetzt, ihre Bewohner als Geiseln gehalten und deren Besitz geplündert. Die Entführung Hunderter Schulmädchen im Ort Chibok vor drei Jahren zeigte aller Welt, wie hilflos damals Nigerias Armee war. Das hat sich geändert: Nur zwei Distrikte sind noch vollständig in den Händen von Boko Haram.

Grafik: infotext-berlin.de

Der Kampf ist langwierig. Die Armee marschiert in die Distrikthauptstädte ein und besetzt diese für zwei bis drei Monate, bevor der Verkehr freigegeben wird. Eine wichtige Rolle spielt die Bürgerwehr Zivile Joint Task Force (JTF): Bürger, die ab 2011 zu den Waffen griffen, als das Militär nicht in der Lage war, die Menschen zu schützen, und die seit der Wahl von Präsident Muhammadu Buhari 2015 die Armee unterstützen. Anders als die ortsfremden Soldaten kennen die Milizionäre die Einwohner.

Ist die Distrikthauptstadt gesichert, werden die umliegenden Dörfer besetzt. Ganze Bevölkerungen werden dabei in militärisch geschützte Vertriebenenlager gebracht.

Bakassi ist solch ein Lager, in dem fast die komplette Einwohnerschaft von fünf Distrikten lebt. Ahmed Mohamed aus Bama lebt hier seit drei Jahren mit seiner Familie. Er arbeitet ein bisschen im Gemüsegarten des Camps. „Ich würde sofort zurückkehren, aber mein Dorf ist noch in den Händen der Leute“, sagt er. Seit der Eröffnung von Bakassi haben lediglich 600 Internierte das Lager verlassen. Auf 21.213 Bewohner kommen 470 Sicherheitskräfte, davon 289 von der Bürgerwehr.

Angewiesen auf das Militär

Ansprechpartner für Besucher ist Shehu, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Der Angestellte der staatlichen Nothilfeagentur beschönigt die Sicherheitsmaßnahmen nicht: Die JTF lebt im Lager, und ihre Aufgabe ist es, Boko-Haram-Anhänger zu identifizieren, damit nur die Zivilbevölkerung in die Dörfer zurückkehrt und Terroristen nicht. Über den Umgang mit auf diese Art identifizierten mutmaßlichen Boko-Haram-Mitgliedern wird geschwiegen.

„Wir sind auf das Militär angewiesen“, räumt auch WFP-Koordinatorin Mutinta Chimuka ein. Jeder Transport müsse vom Militär begleitet werden. Laut WFP sind 3,9 bis 4,6 Millionen Menschen in der Region von Hunger bedroht.

Oft ist die Situation in den Lagern dramatisch. Im Empfangsraum von Bakassi hängt eine große Tafel. Dort steht: Pro Person gibt es täglich 280 Gramm Trockenration – Reis und Bohnen. Dazu etwas Öl, Okra, Tomaten. Seit dieser Woche, sagt Shehu, gibt es für stillende Mütter auch „Pape“, ein Sojabrei, der sonst aus Mais oder Hirse hergestellt wird. Aber von 7.000 stillenden Müttern könnten nur 1.000 versorgt werden.

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