Kunst in der Türkei: Zwischen Angst und Selbstzensur

Die Lage der Bildenden Kunst am Bosporus wird immer prekärer. Die erste Künstlerin muss ins Gefängnis.

„Dorşîn“ von Zehra Doğan Foto: JINHA

Zwei Jahre, neun Monate und 22 Tage. So lange wandert die türkische Malerin und Journalistin Zehra Doğan ins Gefängnis. Das postete die Künstlerin vor ein paar Tagen auf ihrem Twitter-Account. Am 21. Juli vergangenen Jahres, im Zuge der großen Verhaftungswelle unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei, war die 27-jährige Mitarbeiterin der feministischen kurdischen Nachrichtenagentur Jinha aufgrund anonymer Hinweise unter dem Verdacht festgenommen worden, Verbindungen zur verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK zu haben.

Seitdem saß sie in Untersuchungshaft im Frauengefängnis in der südöstlichen Metropole Mardin. Vor kurzem hatte der 2. Kriminalgerichtshof in Mardin das Urteil gefällt. Doğan war durch ihre besonders selbstbewussten Porträts von kurdischen Frauen bekannt geworden. Vor allem aber auch durch ihre Bilder von den weitflächigen Zerstörungen im Nusaybin-Distrikt der Provinz Mardin nach dem Feldzug türkischer Sicherheitskräfte gegen die Volksgruppe im Südosten.

Manche hatte Doğan mit der türkischen Nationalflagge übermalt und in den Social Media gepostet, um auf die wahren Urheber der Zerstörung hinzuweisen. Das Gerichtsurteil kommentierte die Künstlerin wie einst Picasso sein Bild „Guernica“: Der Richter hat den falschen Täter bestraft: Sie (die türkischen Sicherheitskräfte I.A.) haben dieses Bild gemalt. Nicht ich.“

Der Fall der Künstlerin ist die bislang drastischste Maßnahme gegen einen Bildenden Künstler in der Türkei. Schon im Dezember 2015 waren die Istanbuler Künstler Pinar Öğrenci and Atalay Yeni zeitweilig interniert worden, weil sie an dem „I am walking for peace“-Marsch teilgenommen hatten, der sich gegen den Feldzug der Regierung gegen die Kurden richtete. Insgesamt nimmt die feindliche Stimmung im Lande gegen KünstlerInnen derweil weiter zu.

Die Kunstszene zerfällt aus Angst

Nach heftigen Protesten musste der türkische Künstler Ahmet Güneştekin seine großformatige Skulptur „Konstantiniyye“ vor einem neuen Einkaufszentrum in Istanbul wieder abbauen. Schon die bloße Erinnerung an den Namen des einst christlichen Konstantinopel war islamischen Fundamentalisten zu viel. Obwohl „Konstantiniyye“ die arabische Fassung des einstigen griechischen Namens „Konstantinopel“ ist, klang er den Protestierenden nicht „türkisch“ genug.

Dieselbe Stimmung herrschte vergangenen Jahres auf der Kunstmesse Contemporary Istanbul (CI). Ende. Mit dem Ruf Allahu Akbar stürmten religiöse Fanatiker die Schau und erreichten, dass eine Frauenstatue des Istanbuler Künstlers Ali Elmacı mit dem Porträt Sultan Abdülhamids II. auf dem Badeanzug vom Stand der chilenischen Isabel Croxatto Galleria abgezogen wurde.

Die Vorgänge sind unmissverständliche Zeichen für die Mischung aus Angst und Selbstzensur, die die türkische Kunstszene derzeit durchzieht. Spätestens mit dem versuchten Ikonoklasmus dürfte die „Art Boom Bubble“, den die New York Times 2012 am Bosporus entdeckt hatte, erst einmal geplatzt sein. Der kulturelle Klimasturz begann freilich schon mit den Protesten von Gezi.

Anfang 2016 musste unter ominösen Umständen eines der zwei Häuser des Salt-Kunsthauses schließen. Die private Akbank sagte im selben Jahr eine Woche vor der Eröffnung eine „Post-Peace“-Ausstellung“ ab, die sich mit Fragen von Krieg und Frieden befasste. Unmittelbar nach dem Putsch wurden zwei kleine Regional-Biennalen in Çanakkale an den Dardanellen und Sinop am Schwarzen Meer abgesagt. Und der Londoner Messe-Unternehmer Sandy Angus schloss die gerade erst gegründete Kunstmesse ArtInternational.

Weiter machen wie bisher?

Im Oktober 2016 kündigte die Türkei ihre Mitgliedschaft in dem EU-Kulturprogramm „Kreatives Europa“ auf, weil das Programm ein Konzert der Dresdner Sinfoniker zur Erinnerung an den Genozid an den Armeniern unterstützt hatte. „Der Hotspot Istanbul ist zu einem „Frosty Spot“ geworden, kommentierte die Grande Dame der Istanbuler Kunstszene, die Kuratorin Madra, den plötzlichen Niedergang der Szene.

Zwar macht diese Szene vorerst weiter wie bisher. Im neuen Hotspot Bomontiada, einer alten Bierfabrik im Stadtteil Şişlihat der neue „Alt Art Space“ geöffnet. Ein unbekannter Finanzier trägt den winzigen, nichtkommerziellen „blok art space“ im Design- und Antiquitätenbezirk Çukurcuma mit Schwerpunkt auf New-Media-Art. Im Stadtteil Dolapdere wächst das neue Museum für zeitgenössische Kunst der Unternehmerfamilie Koç aus dem grauen Schlamm des ehemals proletarisch geprägten Bezirks.

Es soll ebenso 2018 öffnen, wie der Bau, den die verstorbene Architektin Zaha Hadid für die über 2000 Werke umfassende Sammlung des Unternehmerpaars Demet and Cengiz Çetindoğan entwarf. Das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kunst am Bosporus in die soziale Defensive geraten ist.

Es grenzt an ein Wunder, dass der unabhängige Istanbuler Kunstraum „Depo“ noch nicht geschlossen wurde. Das ehemalige Tabakwarenlager, 2005 für die Istanbul-Biennale erstmals als Kunstraum genutzt, ist seit 2009 der wichtigste „Independent“-Artspace Istanbuls. Getragen wird er von der „Anadolu Kultur Stiftung“, deren liberaler Chef Osman Kavala, einer der einflussreichsten Wirtschaftskapitäne des Landes, Spitzname: „Der rote Millionär“, inzwischen auch ins Visier der Herrschenden geraten ist.

Die Kunstszene ist im „Survivalmodus“

Im „Depo“ residieren zahlreiche NGO-Initiativen und das Radyo, ein Sprachrohr vieler Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, das schon die Gezi-Proteste von 2013 begleitet hatte. Sein Motto: “Open Radio is open to all the sounds, colours, and vibrations of the universe“.„Are you still alive“ hieß der Titel einer Depo-Ausstellung im vergangenen Herbst. Der kurdische Künstler Berat Işık nahm darin die Lebensbedingungen der Bevölkerung in dem von den türkischen Sicherheitskräften verheerten Diyarbakır aufs Korn. Den Satz kann man aber getrost über die Istanbuler Kunstszene insgesamt schreiben.

Denn die über 150 inhaftierten Journalisten führen der Kunst drastisch vor Augen, dass auch sie jederzeit betroffen sein kann. Kein Wunder, dass viele Künstler und Kuratoren auf gepackten Koffern sitzen. „Exodus“, „Plan B“ und „Survivalmodus“ sind die meistgehörten Vokabeln derzeit in der Stadt. Noch bereitet die IKSV-Stiftung trotz der angespannten Lage die 15. Ausgabe der Istanbul-Biennale im September unter dem Titel „A good neighbour“ vor. Fragt sich nur, ob man das offen schwule Kuratorenpaar Elmgreen & Dragset ungehindert arbeiten lässt.

Verprügelten doch einen Tag nach dem Terroranschlag im Istanbuler Nachtclub Reina an Silvester Hooligans den homosexuellen Designer Barbaros Şansal auf dem Istanbuler Flughafen. „Wenn wir uns selbst zum Schweigen bringen, gewinnen am Ende die Autokraten“ hatten die Künstler-Kuratoren kürzlich ihre Entscheidung verteidigt, die Biennale dennoch auf jeden Fall durchzuführen. Ihr Wille dabei, „nicht zu provozieren“ unterscheidet sich freilich markant von Zehra Doğans Selbstverständnis als Künstlerin: „Ein Maler“ befand sie aus dem Gefängnis heraus, „muss seinen Pinselstrich als Waffe gegen den Unterdrücker einsetzen“.

Wie dem auch sei: Die Fälle zeigen, dass die Türkei auf dem Weg einer schleichenden Faschisierung ist – egal, wie das Referendum im April ausgehen wird. Umso wichtiger, dass europäische Kulturinstitutionen nicht nur von Solidarität reden, sondern den Austausch mit den Künstlern und Museen dort intensivieren – gerade in einem Moment zunehmender Gefahr. Die Türkei darf kein geschlossenes Land werden.

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