Saufen gehört unbedingt dazu

Jugendtheater Die Geschichte des jüdischen Fußballers Julius Hirsch

Wie ein Team laufen die fünf DarstellerInnen auf der Bühne ein. In den klassischen weiß-schwarzen Leibchen der deutschen Fußballnationalmannschaft. Stolz winken sie ins Publikum, als wären sie Weltstars. Dabei waren Fußballer wie Julius „Juller“ Hirsch seinerzeit keine Idole, Fußball selbst eine Randsportart. Elf Arbeiter waren es, die Urlaub nahmen, um für zehn Mark zum Länderspiel nach Holland zu fahren.

Das Theater der Jungen Welt zeigt in Leipzig das Stück „Juller“ in der Regie des Intendanten Jürgen Zielinski. Die Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) regte diese Theaterproduktion an und fördert eine Gastspielreise durch zehn Bundesligastädte.

Zwischen 1911 und 1913 stürmte Julius Hirsch sieben Mal für die Nationalmannschaft und schoss dabei vier Tore. Julius Hirsch war Jude. Nach seinen Meistertiteln mit dem Karlsruher FV und der SpVgg Fürth sowie seiner Teilnahme an den Olympischen Spielen in Stockholm zieht der patriotische Arbeiter aus einer Lederwarenfabrik in den Krieg. Im Zweiten Weltkrieg dann wird Julius Hirsch nach Auschwitz deportiert. Sein Tod wurde nachträglich auf den 8. Mai 1945 datiert.

„Gebückt und windschief, auf Sturmes Fittichen“ wird Juller anfangs gefeiert, bekannt für seine gebeugte Laufhaltung. Auch wenn man dem Schauspieler Philipp Oehme den Leistungssportler kaum abnimmt, so ist er doch ein vielseitiger Protagonist: Egal ob im DFB-Trikot, Feldwebeluniform oder im gestreiften KZ-Hemd, Juller ist mal stolz, mal verzweifelt, mal depressiv, immer jedoch ein Spielball, der nur verlieren kann.

Der DFB gerät in die Kritik

Dramaturgisch hangelt sich die Inszenierung Hirschs Biografie entlang, hetzt durch die Gipfel seiner sportlichen Erfolge. Zu umfangreich, zu tragisch ist dieses Schicksal, um in 90 Minuten erzählt zu werden, zu viel wird abgehakt und angedeutet, bevor die tragische Schlussphase, der Weg in den Holocaust, beginnt.

Bald wird die historische Ebene kommentiert von drei alten Männern, die über den Dingen stehen und alles besser wissen. Juller und seine Mitspieler lassen Leben und Spiele Revue passieren, zynisch wird Gary Lineker zitiert: „22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach und am Ende gewinnen die Deutschen.“ Diese Muppet-Show-Senioren wirken zwar bemüht, doch ihre Perspektive tut dem Stück gut, nicht nur weil hier der DFB selbst in die Kritik gerät. Der emigrierte Stürmer Gottfried Fuchs beklagt sich, dass es im Grunde Juller sei, der als Legende überlebt habe. Hirsch sieht das anders: Posthum muss er als Gedenkfigur herhalten, etwa für den Julius-Hirsch-Preis gegen Diskriminierung und Antisemitismus, „und das alles, nachdem der DFB mich damals totgeschwiegen hat“. Tatsächlich erscheint es fragwürdig, wie ambitioniert die Kulturstiftung engagierte Fans und vor allem sich selbst mit dem Namen Hirsch schmückt. Denn im Profifußball gilt es einige Dynamiken zu hinterfragen: Rassismus und Homophobie sind nur zwei der zahllosen Probleme.

Umso besser, dass der DFB mit Theaterstücken wie diesem gerade junge Fans sensibilisieren und bilden möchte. Jedoch hat die Inszenierung einige Schwächen, Fußball wird auch als Kulisse und attraktiver Eyecatcher für Jugendliche missbraucht. Und es irritiert, dass die sportliche Leistung von Julius Hirsch die Funktion bekommt, gerade über dieses Opfer des Holocaust zu erzählen, während viele andere namenlos bleiben.

Was die Fußball- und Theaterfans in „Juller“ vorrangig lernen: Saufen gehört dazu. Egal, ob am Spielfeldrand, in der Kabine oder im Krieg – Juller und seine Mitspieler trinken und rauchen unentwegt. Überhaupt wird ein hegemoniales Männerbündnis inszeniert, das weder Jugend­stücken noch Fußballvereinen angemessen ist. Kornelius Friz