Deutsch-russische Diplomatie: Kein Kuss mehr zur Begrüßung

Merkel ist für Russland die wichtigste Ansprechpartnerin in der EU, sagt der Deutschlandexperte Wladislaw Below. Eine Beziehungskrise sieht er nicht.

Kundgebung zur Unterstützung tschetschenischer Homosexueller Ende April in Berlin Foto: dpa

taz: Herr Below, nach zwei Jahren kommt Angela Merkel am Dienstag erstmals wieder nach Russland. Könnte das der Einstieg in die Normalisierung der Beziehungen sein?

Wladislaw Below: Frau Merkel will die Stimmung in Moskau ausloten. Deutschland bleibt aber auch in schwierigen Zeiten wichtigster Ansprechpartner in der EU und deren schärfster Befürworter von Sanktionen. Das sind zwar EU-Maßnahmen, aber mit preußischem Beigeschmack.

Wie meinen Sie das?

Es gab eine klare Ansage aus Berlin: keine Zusammenarbeit auf den höchsten politischen Ebenen. In allen anderen Bereichen aber weitermachen wie bisher. Die regionale Kooperation wurde nach Verhängung der Sanktionen deutlich verstärkt.

Das klingt, als gäbe es keine Krise …

Eingefrorene Regierungskonsultationen sind noch keine Krise. Trotz aller Schwierigkeiten entwickeln sich die deutsch-russischen Beziehungen im Unterschied zu den Kontakten zur EU weiter. Nicht an der Spitze, aber als Arbeitsdialoge auf den Ebenen unmittelbar darunter. Es ist jedoch keine Zeit für große Delegationen.

leitet das Zentrum für Deutschlandstudien an der Akademie der Wissenschaften.

Kein Grund zur Beunruhigung?

Na ja, Putin und Merkel küssen sich nicht mehr bei der Begrüßung … Spaß beiseite. Der Zusammenbruch des Außenhandels liegt am Zustand der russischen Wirtschaft, nicht an Sanktionen. Von den 6.100 deutschen Firmen haben tausend Russland vorübergehend verlassen. Darunter war kein wichtiger Akteur.

Putin und Merkel wärmen sich für das G-20-Treffen im Juli in Hamburg auf.

Unabhängig davon wird die Kanzlerin scharfe Töne anschlagen. Putin ist bereit, sich das anzuhören, und versteht, warum sie das sagt. Vereinbarungen wird es in Sotschi keine geben.

Gibt es in der Ukraine und im Syrienkonflikt eine Chance, aus der Sackgasse herauszukommen?

Kiew hat die Armee verstärkt. Widerstand wird schwieriger. Putin könnte versucht sein, die Rebellen offiziell zu unterstützen. Er hat ja auch schon Pässe in den „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk ausgegeben. Sie müssen also darüber sprechen, wie es in der Ostukraine weitergehen soll.

Haben sich beide Seiten im Status quo nicht gut eingerichtet?

Moskau hat genügend Baustellen und kein Interesse, die Situation weiter offen zu halten.

Das bedeutet, der Konflikt soll wie in Transnistrien eingefroren werden …

Kiew will die Sanktionen als Druckmittel aufrechterhalten. Als in der vergangenen Woche ein OSZE- Mitarbeiter einer Explosion in der Ostukraine zum Opfer fiel, spielte das Kiew in die Hände.

Ist die Lage in Syrien nicht noch verfahrener?

Syrien ist zurzeit wichtiger als die Ukraine. Merkel ist überzeugt, Assad sei ein Mörder. Folglich unterstützt Putin einen Verbrecher. Auch meine deutschen Kollegen sehen das so.

Die Iswestija stellt Deutschland als „Zugpferd“ antirussischer Stimmungen dar. Auch die Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta wirft Berlin imperiale Ambitionen vor.

Diese Blätter sollte man weder vor noch nach dem Essen lesen. Sie sind Propaganda-Schlachtrosse.

… die aber auch die Haltung der politischen Führung wiedergeben. Russland unterstützt die Euroskeptiker in der EU und lässt keine Gelegenheit aus, Brüssel zu schaden.

Moskau unterstützt die EU-Opposition, weil sie prorussisch ist. Die Schwächung der EU kann nicht Moskaus Ziel sein. Putin will keine Revolutionen an Russlands Rändern. Der Kreml ist pragmatisch: Willkommen ist, wer die Angliederung der Krim anerkennt. Wer die Opposition unterstützt, muss damit rechnen, dass der Kreml auch dessen Gegnern hilft.

Ist das nicht etwas einfach?

Putin weiß, dass die EU-Gegner nicht an die Macht kommen. Eine geschwächte EU kann daher nicht in Russlands Interesse sein. Für Gas ist Europa unser Markt.

In guten wie in schlechten Zeiten bleibt Merkel also wichtigster Ansprechpartner …

Gefolgt von Ungarns EU-kritischem Premier Viktor Orbán.

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