Wahlparty des Front National: Jubel für sechs Minuten Marine Le Pen

Fähnchenschwenken und auf Krawatten gesticktes Pathos: Die Rechtsextremisten feiern den zweiten Platz ihrer Spitzenfrau in Hénin-Beaumont.

Marine Le Pen lächelt, umrahmt von zwei Sicherheitsleuten

Lachende Zweite: Marine Le Pen Foto: dpa

HÉNIN-BEAUMONT taz | Eine Stunde früher als in den Großstädten, um 19 Uhr, schließen die zwei Dutzend Wahllokale von Hénin-Beaumont, im äußersten Norden Frankreichs. Fast zeitgleich erscheint der Autokorso von Marine Le Pen in der Rue René Cassin, einem Wohngebiet am Stadtrand. In der Sporthalle François Mitterrand, einem etwas heruntergekommen Bau, tritt sie am Abend vor ihre Anhänger. Hier hat die Präsidentschaftskandidatin des Front National ihren Wahlkreis.

Stundenlang hatten die Le-Pen-Fans am Nachmittag angestanden, manche mit weiß-rot-blauer Schminke, die Jungen sahen aus, als würden sie zu ihrem Abiturball gehen – Frauen staksten in dünnen Kleidern heran, die Männer im Anzug. Hinter der Turnhalle erheben sich zwei anthrazitfarbene Hügel, sie sehen aus wie kleine Vulkane. Es sind als Denkmal aufgeschüttete Reste des hier einst betriebenen Kohlebergbaus. 650 Journalisten sind gekommen, selbst TV-Teams aus Japan sind da. Nicht alle dürfen hinein: Um 18 Uhr wird der Zugang wegen Überfüllung geschlossen.

Hénin-Beaumont ist die Hochburg des Front National schlechthin. Es ist die einzige Stadt Frankreichs, in der ein Bürgermeister des Front National im ersten Wahlgang gewonnen hat. Am Vormittag, als Le Pen in Hénin-Beaumont wählte, hatten sechs Aktivistinnen der Gruppe Femen barbusig mit Le Pen-Masken in der Stadt posiert. Sie wurden sofort verhaftet, genau wie der Pariser Fotograf Jacob Khrist. Am Nachmittag ist kein einziger Demonstrant mehr zu sehen.

Le Pen hat sich einen der ärmsten Teile Frankreichs als Wahlkreis ausgesucht. Um dessen Bewohner, um die Abgehängten, kümmere sie sich, soll das heißen. Vom Stadtkern gehen gewundene Straßen mit winzigen Reihenhäusern aus Backstein ab, die Mauern sind ergraut, vom Frisörladen blättert der wohl noch aus den 80er Jahren stammende „Wella“-Schriftzug ab. Vor dem einzigen Kebab-Imbiss am Kirchplatz hocken zwei Teenager, an der Tankstelle kaufen Männer mit Jogginghosen Tabak, im einzigen Kiosk, der geöffnet hat, sitzen rote Gesichter vor gezapften Bieren. Nur vor dem Lottoschalter ist eine lange Schlange. Die Wahl interessiert hier keinen.

Die supernette Marine

Vor der Turnhalle ist das anders. Zivilpolizisten laufen zwischen den geparkten Autos umher, der Front-National-eigene Sicherheitsdienst trägt Anzug, „Ehre und Treue“ ist auf die Krawatten gestickt – der Slogan der Fremdenlegion. Die Zufahrtsstraßen bewacht die Nationalpolizei CRS.

Pietrzak Henry hat polnische Wurzeln, sein Leben hat er in Hénin-Beaumont verbracht. Früher war er Berufsschullehrer für Elektriker, seit 13 Jahren ist er pensioniert. Heute hat er einen schwarzen Anzug angezogen, zum weißen Hemd trägt er eine violett-glänzende Fliege. Mit einigen seiner ehemaligen Schüler steht er in der Schlange. „Natürlich haben wir sie gewählt“, sagt er. „Immer schon. Und wir hier wissen ja wie es ist, wenn der FN regiert“.

Der Bürgermeister Steeve Briois, ein führender FN-Politiker, höre „jedem hier zu, egal, ob Direktor oder Arbeitsloser“, sagt Henry. Und auch Le Pen, er nennt sie, wie alle hier, „Marine“, sei „supernett“. Wegen vieler Wahltermine sei sie oft in der Stadt gewesen. Dass der FN in den letzten zwei Jahren nichts gegen die desolate wirtschaftliche Lage in der Stadt auszurichten vermochte, trägt Henry ihm nicht nach. „Wunder können die auch nicht“, sagt er.

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Am 23. 4. ist die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Abgestimmt wird auch über die Zukunft der EU: Die Umfragewerte des rechtsextremen Front National sind höher als bei allen früheren Wahlen.

Die taz ist mit zwei Reporterteams in Frankreich unterwegs: In der Provinz und in Paris erforschen sie, was die Menschen umtreibt, welche Zukunft sie sich für ihr Land wünschen und wer dafür die Verantwortung tragen soll.

Für die Berichterstattung zur Frankreich-Wahl kooperieren wir mit der Tageszeitung Libération.

René Berger, eine Frau mittleren Alters, wartet auf ihre Freundin. Gemeinsam wollen sie Le Pen sehen. Berger ist Französin, sie lebt in Belgien, arbeitet aber in Lille. „Frankreich braucht einen Wandel,“ sagt sie. „Sofort.“ Was denn so dringend geändert werden müsse? Sie überlegt kurz. „Alles“, sagt sie dann. Zum zweiten Mal hat sie Le Pen gewählt, vorher immer die Sozialisten. „Aber Hollande hat einfach gar nichts gemacht“, sagt sie, „alles ist schlimmer geworden.“ Was denn? „Die Lage für die Arbeiter, für die Jugend.“ Wenn man hier fragt: Es sind vor allem wirtschaftliche, soziale Fragen, die die Leute offenbar bewogen haben, sich dem Front National zuzuwenden. Immigration, Islam, Terror nennt hier niemand.

Drinnen ist auf acht Leinwänden das Programm des Senders France 2 zu sehen. Um 20 Uhr erscheint das Ergebnis der ersten Hochrechnung: Macron und Le Pen, statuengroß. Le Pen kommt auf fast 22 Prozent – so viel haben noch nie für den FN gestimmt. 2012 hatte Le Pen 17 Prozent geholt – ebenso viel wie das beste Ergebnis ihres Vaters. Entsprechend groß ist jetzt der Jubel. Mehr als eine Stunde vertreiben sich die FN-Anhänger dann die Zeit in der knallvollen Turnhalle mit Fähnchenschwenken. Erst um 21:03 Uhr tritt Le Pen auf die Bühne.

Nur 32,96 Prozent in der Hochburg des FN

„Ich empfinde Demut und tiefste Dankbarkeit“, sagt sie. Es sei „ein historisches Ergebnis“. Sie nehme es als „Verantwortung, die Unabhängigkeit, den Wohlstand und die Kultur der französischen Nation zu verteidigen.“ Dann spult sie die Dinge ab, mit denen sie ihre Wahlkampfreden bestritten hat: Das Volk müsse sich gegen die „wilde Globalisierung“ erheben, die „unsere Zivilisation gefährdet“. Die Wahl, die die Franzosen hätten, sei einfach: Entweder werde das Land weiter von denen regiert, die die Wirtschaft deregulieren, die Grenzen für „Masseneinwanderung öffnen und Terroristen Bewegungsfreiheit geben“, sagt sie. Oder Frankreich entscheide sich für „geschützte Grenzen, Jobs, Sicherheit und seine nationale Identität.“ Über die EU, Terrorismus oder den Islam verliert sie, anders als sonst, keine langen Worte. „Es geht um das Überleben Frankreichs“, endet sie. Nach gerade sechs Minuten verläßt Le Pen die Halle wieder.

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Die Leute sind trotzdem zufrieden. Dass alle Meinungsforschungsinstitute diesen Wahlausgang vorhergesehen haben und fest davon ausgehen, dass Macron die zweite Runde am 7. Mai gewinnt, wischen sie beiseite.

„Wir sind überglücklich“, sagt eine junge Frau in einer lilafarbenen Funktionsjacke. Ihr Mann heißt Mordi, in der Hand hält er eine Leine, an der ein Welpe zieht. Er stammt aus Israel, in Frankreich arbeitet er in einer Spedition. „Keine Frage, sie gewinnt in der zweiten Runde“, sagt er. „Die ganzen Leute, die erst für Mélenchon gestimmt haben, werden sich jetzt für sie entscheiden.“

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Für Mordi steht außer Frage, dass Frankreich einen „radikalen Wechsel“ brauche. Und zwar vor allem wegen dem Euro. Der habe alles nur teurer gemacht. „Damals kostete ein Baguette einen Franc, heute einen Euro. Den Preis haben doch nicht die Bäcker verdreifacht“ sagt er. Dann zählt er minutenlag weitere Dinge auf, die teurer geworden seien. „So kann man doch nicht leben.“ Mordi ist mit seiner Frau, dem Hund und einem Kind 200 Kilometer aus Paris gekommen um einen Blick auf Le Pen zu erhaschen. „Sie ist mein Leben, ich liebe sie.“

Um 21:28 Uhr gibt die regionale Wahlkommission das Ergebnis für Hénin-Beaumont bekannt: Marine Le Pen holt 32,96 Prozent – kein überragendes Ergebnis für die als FN-Hochburg bekannte Region, wenn man bedenkt, dass hier bei der Bürgermeisterwahl 2014 über 50 Prozent rechtsextrem gewählt haben. Der Konservative François Fillon und der Mitte-Kandidat Macron kommen beide auf 18 Prozent.

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