Comics gegen den Krieg: Apokalypse und Anarchie

Neues und Altes vom französischen Zeichner Jacques Tardi: das Antikriegsepos „Der letzte Ansturm“ und das Meisterwerk „Hier Selbst“.

Ein Auszug aus einem Comic

Jacques Tardi hat sich schon oft mit dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt Foto: dpa

Jacques Tardi kann es nicht lassen. Den im letzten Jahr 70 Jahre alt gewordenen französischen Comic-Altmeister verfolgen die Schreckensbilder aus dem „Großen Krieg“, wie der Erste Weltkrieg in Frankreich genannt wird, seit seiner Kindheit, da sein Großvater selbst als Soldat in die Geschehnisse involviert war.

Tardis „Grabenkrieg“ von 1993 gilt bis heute als einer der wichtigsten Antikriegscomics, der in einer Collage von zahlreichen Schicksalen der „Poilus“, der „unrasierten“ einfachen französischen Soldaten erzählt. In „Elender Krieg“ (2008/09) wiederum schuf Tardi eine Chronik des Kriegs an der Westfront von 1914–18, die das Kanonenfutter-Schicksal der Soldaten verdeutlicht, die von kriegsbesessenen Strategen sinnlos verheizt wurden.

Nachdem er sich auch mit dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen seines Vaters als Kriegsgefangener in zwei Bänden eindringlich auseinandergesetzt hat, kehrt er in der jüngsten Erzählung „Der letzte Ansturm“ noch einmal zum Schauplatz des Massenschlachtens zurück: in die Schützengräben inmitten von Frankreich.

Die beiden Sanitäter Augustin und Sauvageon schleppen auf dem Schlachtfeld der Somme (also zwischen Juli und November 1916) einen Überlebenden auf ihrer Bahre umher. Nachdem Sauvageon von Schrapnellkugeln getroffen wird, entscheidet der Überlebende Augustin, den halbtoten Schreihals auf der Bahre zu erwürgen, um selbst nicht von den Deutschen erschossen zu werden. Doch gibt es einen Zeugen, der Augustin bei der Tat gesehen hat.

Aus Sicht eines Sanitäters

Trotz dieser spannenden Ausgangssituation geht es Tardi nicht einzig um die Schuld eines Soldaten, der, um seine Haut zu retten, sich schuldig macht. Vielmehr begleitet Tardi den stoischen, scheinbar abgestumpften Sanitäter bei seinem Irrweg durch eine Schlamm-, Stacheldraht- und Trümmerlandschaft und behält diesen begrenzten Blickwinkel bei.

Eine wichtige Rolle spielt die Erzählerstimme, die, typisch Tardi, in einem ungeschlachten Gossenjargon gehalten ist und angesichts der aussichtslosen Weltlage für seine Umgebung nur bitteren Spott und Verachtung übrig hat. Sie spiegelt Augustins Gedanken und Sprechweise als Stellvertreter der Poilus wider, ordnet aber auch dessen Erlebnisse im Zusammenhang des Kriegs ein.

Dieser allwissende Erzähler ist niemand anders als Tardi selbst, der den Überblick über das ganze damalige Chaos nur aus heutiger Sicht haben kann. Zahlreiche Bevölkerungsgruppen begegnen Augustin. Kolonialvölker, die zum Einsatz gezwungen wurden, oder Kleinwüchsige, die ebenfalls gutes Kanonenfutter abgaben.

Die irrwitzige Handlung von „Hier Selbst“ erinnert an Werke Kafkas

Sobald ein Perspektivwechsel die deutsche Seite einfängt, verliert die Geschichte jedoch an Überzeugungskraft. Denn hier zeichnet Tardi, dem sonst an einer ausgeglichenen Geschichtsdarstellung ohne einseitige Schuldzuweisungen gelegen ist, die düstere Zukunft der Deutschen im Dritten Reich als vorhersehbares Ereignis, was etwas zu einfach ist. (Einen Cameo-Auftritt bekommt auch der Gefreite Hitler.)

Gezeichnet ist Tardis Soldaten-Passionsgeschichte in gewohnter Qualität: Er fängt die unterschiedlichsten Typen mit kräftigen Strichen ein, Kulissen und Uniformen sind sorgfältig recherchiert. Graue, erdige Farben dominieren das Buch, durch gezielten Einsatz der Farbe Rot werden apokalyptische Momente hervorgehoben. Dem Band liegt eine CD bei, die Tardi zusammen mit seiner Frau, der Sängerin Dominique Grange, aufgenommen hat.

Vorläufer der Graphic Novel

Es handelt sich um Antikriegslieder, die Tardi und Grange über das ungeheuerliche Geschehen im Ersten Weltkrieg selbst verfassten, nebst historischen Liedern. Auf Konzerten haben die beiden Künstler diese von der Band Accordzéam instrumentierten Chansons zusammen mit von Tardi gesprochenen Texten und einer Diashow seiner Comics dargeboten.

Wer den jungen Jacques Tardi kennenlernen möchte, kann sich über die Neuauflage des hierzulande lange vergriffenen, von Jean-Claude Forest („Barbarella“) geschriebenen Meisterwerks „Hier Selbst“ freuen. Dieses entstand 1978 in gemeinsamer Improvisation als Fortsetzungsgeschichte für die Comiczeitschrift (À Suivre) und gilt durch seinen Umfang und seine literarische Qualität als einer der wichtigsten Vorläufer der heutigen Graphic Novel.

Jacques Tardi/Dominique Grange/Accordzéam: „Der letzte Ansturm“. Edition Moderne, Zürich, 112 S., mit CD 32 Euro.

Jacques Tardi/Jean-Claude Forest: „Hier Selbst“. Edition Moderne, Zürich. 200 S., 29 Euro.

In der absurden Fabel spiegelt sich die anarchische Haltung der beiden Künstler wider: Arthur Selbst heißt der hagere Antiheld, dem ein Labyrinth aus Mauern gehört, ohne die dazwischenliegenden Güter betreten zu dürfen. Selbst tänzelt auf den Mauern umher, um als Schlüsseldienst den Angehörigen einer entfernt verwandten High Society die Tore zu öffnen. Er tanzt zwar nach der Pfeife dieser dekadenten Kaste, strebt aber an, die Güter durch Klagen zurückzuhalten, da sie früher seiner Familie gehörten. Selbsts Selbstgespräche erinnern an Beckett’sche Dialoge, die irrwitzige Handlung an Werke Kafkas.

Im kontrastreichen Schwarz-Weiß und seiner Vorliebe für Fin-de-Siècle-Ästhetik zeigt sich Tardis Stil schon in Vollendung, ihm gelingen unvergessliche surreale Bilder. Sicher spiegelt „Hier Selbst“ manche politische Debatte der 1970er wider, zugleich verweigert sich der Comic jeder klaren Deutung und bleibt bis heute ein anregendes Rätsel.

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