Der Front National nach der Wahl: Verlieren nicht vorgesehen

Marine Le Pen hat die Präsidentschaftswahl verloren. Ist dieser Ausgang auch eine Niederlage für ihre Zukunft im Front National?

Marine Le Pen hebt den Vorhang der Wahlkabine

Muss Vertrauen zurückgewinnen: Marine Le Pen Foto: reuters

PARIS libé | In welchem Moment hat Marine Le Pen die Wahl verloren? Einige glauben: Während des Wahlkampfs, weil er sowohl schlecht geplant als auch durchgeführt wurde. Andere suchen den Fehler vorher. Marine Le Pen hat von nun an fünf Jahre Zeit, um darüber nachzudenken, wer Recht hat. Und wir auch.

Nur wenige ihrer Anhänger rechneten ernsthaft damit, dass die Kandidatin des Front National am Sonntag das Rennen machen könnte. Dass die Niederlage allerdings so hart würde, war nicht geplant. Und dass das Ende des Wahkampfs einem politischen und moralischen Zusammenbruch nahe kommt, noch weniger.

Trotz ihrer Aufstiegs durch die Teilnahme an der Stichwahl geht Marine Le Pen nicht als Siegerin aus den Wahlen hervor. Sie braucht ein exzellentes Ergebnis bei den Parlamentswahlen im Juni, um bei ihren Anhängern das Vertrauen zurückzugewinnen, das am Sonntag erschüttert wurde.

Und das, obwohl Le Pen am Sonntag einen neuen Wahlrekord aufgestellt hat. Noch nie zuvor hat ein_e Kandidat_in des Front National so viele Stimmen bei einer Präsidentschaftswahl erhalten. Noch nie zuvor überhaupt hat ein Vertreter des FN so viele Stimmen bekommen, selbst wenn man alle Wahlen zusammen nimmt.

Man darf nicht vergessen: Ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft sieht in dem „uneingeschränkten Hoheitsanspruch“ von Marine Le Pen eine akzeptable, gar wünschenswerte Lösung für die Probleme des Landes und zögert nicht mehr, diese Überzeugung öffentlich zu vertreten. Zwei Neuerungen, die ohne die beurlaubte Parteichefin nicht möglich gewesen wären.

Kann ein solcher Ausgang also als Niederlage bezeichnet werden? Im Grunde reicht es, Le Pen beim Wort zu nehmen: In den letzten Jahren wurden sie und ihre Belegschaft nicht müde, ihre Partei als „erste Partei Frankreichs“ und ihre Ideen als „mehrheitlich im Land akzeptiert“ zu präsentieren. Marine Le Pen verkörpert diesen Ehrgeiz, seit sie 2011 Parteichefin des FN wurde: Macht erringen und ausüben – nach Jahren fruchtloser Streitigkeiten unter der Fuchtel von Jean-Marie Le Pen. In der Folge wurden ihr Vater aus der Partei ausgeschlossen und dem Front National enge Zügel angelegt. Einziges Zuckerstück: Der erhoffte Triumph in der Zukunft.

Gekoppelt an eine lange wirtschaftliche Krise, die massive Ablehnung des Amtsinhabers und an eine Serie von islamistischen Attentaten, sollten diese Justierungen der selbsternannten „Kandidatin des Volkes“ die Türen des Elyseepalastes öffnen. Am Sonntag musste sich der Front National damit abfinden, dass die Bemühungen wohl noch länger dauern werden als vorgesehen. Vielleicht sind es sogar andere als Marine Le Pen, die sie zu Ende bringen müssen.

Die Suche nach dem Schuldigen

Bei den Parlamentswahlen im Juni hofft die Partei darauf, erstmals seit 1986 eine parlamentarische Gruppe mit mindestens 15 Abgeordneten bilden zu können, wenn nötig gemeinsam mit Nicolas Dupont-Aignans Partei „Debout La France“. Das Ziel ist nicht unrealistisch. Es ist sogar eher ein Minimum für eine Partei, die es wenige Wochen zuvor in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen schaffte.

Marine Le Pen hat noch nicht preisgegeben, ob sie wieder in ihrem Stammwahlkreis Hénin-Beaumont kandidiert. Sollte sie das tun, müsste sie sich bei einem Sieg zwischen diesem Mandat und ihrer Rolle im europäischen Parlament entscheiden.

Das Ergebnis der Parlamentswahl wird bestimmen, wie intensiv anschließend nach Schuldigen innerhalb des Front National gesucht wird. Unmittelbar nach der Debatte bekam Philippe Olivier die ersten Spitzen ab. Er ist Marine Le Pens Stiefsohn und einer ihrer wichtigsten Berater. Einige schreiben ihm ihre aggressive Linie bei der Debatte zu.

Andere hören nicht auf, Florian Philippot zu attackieren. Zahlreiche Spitzenkräfte der Partei hegen einen Groll gegen ihren Vizepräsidenten Philippot, der ihrer Meinung nach zu starken Einfluss auf Marine Le Pen hat. Dass Le Pens eigene Stellung infrage gestellt wird, ist hingegen eher unwahrscheinlich – es sei denn, die Partei verliert sehr stark bei den Parlamentswahlen. Ein derartiger Putsch gehört allerdings nicht zur Kultur der Partei und wird schon am Mangel an Alternativen zu Le Pen scheitern.

Die taz und die französische Tageszeitung Libération machen journalistisch gemeinsame Sache. Wir arbeiten erst zur Wahl in Frankreich und dann zur ­Bundestagswahl zusammen. Dieser Beitrag ist Teil der Kooperation.

Es bleibt zu sehen, ob die unvermeidliche Debatte es auf die Tagesordnung des Parteitags schafft, der im ersten Halbjahr 2018 stattfinden müsste. Das könnte auch der Termin für eine Neugestaltung des FN sein. Obwohl die Idee immer wieder zurückgewiesen wird, könnte auch eine Umbenennung der Partei diskutiert werden.

Nicht zuletzt wird die Justiz Marine Le Pen in den kommenden Monaten in die Pflicht nehmen. Während des Wahlkampfs lehnte sie es ab, vor Gericht zu erscheinen. Jetzt könnte sie in der Affäre um die Assistenten des Front National im EU-Parlament direkt zur Rechenschaft gezogen werden. Gegen mehrere Parteimitglieder, die ihr nahestehen, wurde in der „Affäre Jeanne“ der Prozess eröffnet. Ihnen wird Betrug zulasten des Staates vorgeworfen.

Gekürzte Übersetzung: Belinda Grasnick & Franziska Seyboldt

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