Aus Le Monde diplomatique: Keiner lebt gern hinter Zäunen

Die Begegnungsstätte Givat Haviva will Araber und Israelis zusammenbringen. Für die einen schafft sie eine Infrastruktur, für die anderen Sicherheit.

Frank-Walter Steinmeier sitzt zwischen Jugendlichen vor einem bunten Plakat das zwischen ihnen liegt

Auch Bundespräsident Steinmeier stattet der Bildungsstätte einen Besuch ab Foto: dpa

Zwar sind die meisten Kibbuzim längst privatisiert – doch wenn Yaniv Sagee vom Ideal der Brüderlichkeit spricht, springt immer noch ein Funke über. Damit meint der 53-Jährige nämlich nicht nur seine jüdischen Landsleute. Er selbst ist im Kibbuz Ein Ha Shofet im Wadi Ara aufgewachsen, im Norden Israels.

Das Wadi Ara liegt direkt an der Grünen Linie, der offiziellen Grenze zum Westjordanland. Im Krieg von 1948/49 wurde es zwar von irakischen Streitkräften erobert, doch nach dem Krieg tauschte man es gegen ein Gebiet im Osten ein. Damit fanden sich 15 arabische Dörfer im jungen Staat Israel wieder.

Heute wohnen hier und im nahe gelegenen „Arabischen Dreieck“ die Mehrzahl der arabischen Israelis in Dörfern, die aus allen Nähten platzen. Seit ein paar Jahren fechten israelische Hardliner wie Verteidigungsminister Avigdor Lieberman dafür, die Region gegen Siedlergebiet im Westjordanland zu tauschen.

Dabei entstand mitten im Wadi Ara Israels erste NGO und Begegnungsstätte: und das nur ein Jahr, nachdem die Israelis sich ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten – und die Palästinenser ihre Nakba beklagten, die große Katastrophe.

Denkfabrik der Kibbuzbewegung

Der Campus von „Givat Haviva“ wurde 1949 als Denkfabrik der Kibbuzbewegung gegründet. Ihre Anhänger wollten die Regierung beeinflussen, den jungen Staat nach ihren Vorstellungen aufzubauen. Eine Heimat für die Juden: Sozialistisch. Brüderlich. „In logischer Konsequenz dieser Ideale strebten die Kibbuzniks aber auch ein gutes Verhältnis mit den arabischen Nachbarn an“, sagt Sagee.

Noch in den Fünfzigern seien sie durch die Dörfer gezogen, brachten sich das Alltagsarabisch bei, um es fortan auf dem Campus zu lehren. Im segregierten Schulsystem lernen jüdische Kinder bis heute nur Hocharabisch. Für den Militärdienst, nicht zur Verständigung. Gut 40 Jahre lang galt Givat Haviva als Vorzeigemodell für Friedenserziehung und Koexistenz.

Dann erhoben sich die Palästinenser zur zweiten Intifada, und diesmal solidarisierten sich die arabischen Israelis mit ihren Verwandten hinter der Grünen Linie.

Geldgeber im Ausland, aber vor allem die arabischen Partner verloren das Vertrauen in Givat Haviva. Das Modell erwies sich als wirklichkeitsfremd. „Es reicht den Arabern nicht, nach einem netten Gespräch in ihre armen Dörfer zurückzukehren, während weiterhin ausschließlich wir Juden die Privilegien genießen“, sagt Yaniv Sagee.

„Israel und Palästina. Umkämpft, besetzt, verklärt“: Das neue Heft aus der Reihe Edition Le Monde diplomatique, auch als E-book erhältlich.

Als Mitglied und langjähriger Direktor der Kibbuz-Jugendbewegung Hashomer Hatzair hat Sagee die Entwicklung von Givat Haviva und die Stimmungswechsel im Wadi Ara hautnah miterlebt.

Als er 2012 die Geschäftsführung übernahm, sah er nur einen Weg, das Vertrauen wieder aufzubauen: „Die palästinensischen Israelis müssen als ebenbürtige Bürger wahrgenommen werden.“

Sicherheit für Infrastruktur

Neben Bildungsprogrammen auf dem Campus soll dafür vor allem das Konzept der „Shared Communities“ sorgen. Es basiert auf den Ideen von Sagees arabischem Partner Riad Kabha, der sich bereits in den Achtzigern als Bürgermeister mit Nachbargemeinden informell vernetzt hatte. Ihre Strategie: das Wadi Ara mit einem engmaschigen sozialen und wirtschaftlichen Netz aus jüdisch-arabischen Beziehungen überziehen.

„Hohe Ideale genügen nicht mehr“, sagt Sagee. „Beide Partner müssen einen Vorteil sehen.“ Für die jüdischen Gemeinden sei das vor allem: Sicherheit. „Keiner lebt gern hinter Zäunen.“ Für den arabischen Partner ein Einkaufszentrum, ein Fußballstadion, ein Freizeitpark. Oder die längst fällige Zugangsstraße. Die Regierung investiert von sich aus wenig in die arabischen Gemeinden. Für Kooperationen dagegen ist eher Geld da.

Bis jetzt gibt es vier jüdisch-arabische Gemeindepartnerschaften: Das sind 160.000 Leute, die sich über gemeinsame Projekte langsam annähern. Denn die Wunden sitzen tief. In einer der teilnehmenden jüdischen Gemeinden, nur zwei Kilometer vom Campus entfernt, sprengte 2002 ein palästinensischer Attentäter einen Bus. 14 Tote, 50 Verletzte.

Sagee formt zwei Ringe mit Daumen und Zeigefingern: „Koexistenz“. Dann verschränkt er die Ringe zu seiner Vision einer gemeinsamen Gesellschaft. Funktioniere das Modell im Wadi Ara, gäbe es keine Entschuldigung mehr für den Rest von Israel. Er hofft, dass die israelische Regierung das Modell von Givat Haviva irgendwann einmal für den ganzen Staat übernimmt.

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lebt als freie Journalistin in Tel Aviv.

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