Japans innovative „Heimatsteuer“: Freier Markt macht Kommunen arm

Wer in Japan einen Teil seiner Steuern an einen Wunschort zahlt, erhält dafür Geschenke. Doch das reißt große Löcher in die Gemeindehaushalte.

Ein zerstörter Bahnübergang und weggerissene Zugwaggons zeigen das Ausmaß der Zerstörung des Tsunamis 2011

Durch den Tsunami zerstörte Regionen sollten durch die Steuer unterstützt werden Foto: imago/Kyodo News

TOKIO taz | Der japanischen Regierung ist das einzigartige Kunststück gelungen, die eigentlich unangenehme Bezahlung von Steuern für die Bürger in ein unterhaltsames Einkaufsvergnügen zu verwandeln. Aber inzwischen fliegt das innovative System seinen Erfindern um die Ohren.

Doch der Reihe nach: Japaner können einen bestimmten Teil ihrer Lohn- und Einkommensteuer an eine andere Gemeinde schicken, die sie als ihre „Heimat“ empfinden, selbst wenn sie noch nie dort waren. Die Empfängergemeinden bedanken sich dafür mit lokalen Produkten als Geschenk. Das macht die Umleitung der Steuer auch für die Bürger attraktiv, weil sie dafür de facto eine geldwerte Gegenleistung erhalten.

Zwar wird für diese Steuer­umleitung eine Kostenpauschale von umgerechnet 16 Euro fällig, aber die Geschenke sind immer wesentlich mehr wert. Die Regierung richtete sogar eigens eine Beratungsstelle ein, in der die Geschenke ausgestellt werden. „Besonders beliebt sind Erlebnisgutscheine, zum Beispiel für eine Übernachtung in einem Badehotel“, berichtete eine Beraterin dem TV-Sender NHK.

Der individuelle Steuertransfer soll eigentlich Japans ländliche Regionen unterstützen, die unter Landflucht und Strukturschwäche leiden. Später wurde die Heimatsteuer auch als Möglichkeit beworben, den vom Tsunami betroffenen Gebieten zu helfen. All das überzeugte Hunderttausende Japaner, sodass im vergangenen Jahr umgerechnet geschätzte 1,6 Milliarden Euro in die „Heimat“ flossen. „Ich finde es gut, dass man arme Städte unterstützen kann“, sagte ein junger Japaner bei einer Straßenumfrage.

Aber je mehr Bürger einen Steueranteil aufs Land transferierten, desto mehr wetteiferten die Städte und Kommunen um diese Extraeinnahme für ihren Steuersäckel, indem sie immer teurere Geschenke offerierten. Im Internet können die zahlungswilligen Bürger auf einer offiziellen Seite anklicken, was sie geschenkt haben wollen. Die steuerlichen Formalitäten werden bei der „Bestellung“ des Geschenks gleich mit abgewickelt.

Wo anfangs nur lokal produziertes Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse aus der jeweiligen Gemeinde verschenkt wurden, gibt es nun je nach der Höhe der Heimatsteuer Computer, Haushaltsgeräte, Musikinstrumente oder Flugtickets, quasi als Belohnung für die Zahlung. Einige Gemeinden verteilen teure Übernachtungsgutscheine, eine Kommune versprach zeitweise sogar Grundstücke.

Im Tokioter Bezirk Setagaya, Nobuto Hosaka können fünf Kindergärten und eine Schule nicht gebaut werden

„Unser Etat schrumpft“

Doch die Steuerspender schneiden sich dabei auch ins eigene Fleisch. Denn das an den Wunschort überwiesene Steuergeld fehlt nun der Gemeinde, in der die Steuerzahler eigentlich wohnen. Allein den 23 Stadtbezirken von Tokio gehen derzeit jährlich umgerechnet über 100 Millionen Euro verloren. „Unser Etat schrumpft, weil sich der Verlust durch die Heimatsteuer in diesem Jahr erneut verdoppelt hat“, klagte etwa der Bürgermeister des Tokioter Bezirks Setagaya, Nobuto Hosaka. Daher könnten fünf Kindergärten und eine Schule nicht gebaut werden.

Auch für die Empfängerkommunen rechnet sich das System immer weniger. Nur 20 Städte und Kommunen kassieren bereits ein Viertel der Heimatsteuer, weil sie die besten Geschenke haben. Wirklich arme Regionen profitieren nicht. Zugleich gaben die Kommunen im Schnitt mehr als die Hälfte der erhaltenen Heimatsteuer gleich wieder für die Geschenke aus.

Angesichts dieser Auswüchse musste das Innenministerium jetzt die Notbremse ziehen. Die Kommunen dürfen ab sofort nicht mehr als 30 Prozent ihrer Heimatsteuereinnahmen für die Geschenke ausgeben. Dabei ist das Ministerium für die negative Entwicklung selbst mitverantwortlich: Erst vor zwei Jahren hatte es den abführbaren Anteil der Heimatsteuer verdoppelt – und damit auch die Menge der Geschenke, die man damit einsammeln konnte.

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