Für Markenklamotten auf den Babystrich

In Dortmund prostituieren sich immer mehr Kinder und Jugendliche, berichtet die Anlaufstelle „Mitternachtsmission“. StreetworkerInnen nehmen ersten Kontakt auf. Düsseldorfer Notschlafstelle beklagt fehlende Entgiftungsplätze

DORTMUND taz ■ Wer kennt sie nicht, die Geschichte der Christiane F. aus „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“? Ohne zu beschönigen erzählt die Autorin, wie sie durch Drogensucht und falsche Freunde mit 14 Jahren auf dem Berliner Babystrich landete. Auch im Land Nordrhein-Westfalen ist Kinder- und Jugendprostitution ein Problem. In Dortmund nimmt die Zahl der minderjährigen Huren zu, berichtet die Anlaufstelle „Mitternachtsmission“.

Zurzeit betreuen die MitarbeiterInnen rund 100 Kinder und Jugendliche, 2004 waren es noch knapp 70. „In der Regel sind sie zwischen 14 und 18 Jahren alt“, sagt Jutta Geißler-Hehlke, Leiterin der Mitternachtsmission. Die Prostitution von Minderjährigen finde häufig im Verborgenen statt. Erste Kontakte liefen meist über Streetworkerinnen, die die Mädchen in Kneipen, Diskos oder auf der Straße auflesen. „Die Motive der Mädchen sind unterschiedlich“, so Geißler-Hehlke. Einige würden von Familienmitgliedern oder Bekannten auf den Strich gezwungen. Manche seien von zu Hause abgehauen, lebten auf der Straße oder nähmen Drogen. Wieder andere stünden unter dem massiven Druck, dazu zu gehören, etwa mittels teurer Markenklamotten. „In den Familien und Cliquen wächst der Stellenwert des Geldes. Dafür fehlen den Kindern Respekt, Geborgenheit und innere Sicherheit“, sagt Geißler-Hehlke. Viele seien sexuell missbraucht worden. Die Mitternachtsmission bietet den Mädchen nicht nur Essen, Kleidung und Unterkunft. Sie vermittelt auch Ausbildungsplätze – meist über „Vitamin B“, und begleitet Gespräche mit den Eltern.

Ob es einen landesweiten Anstieg der Kinderprostitution gibt, bleibt unklar. „Leider werden Kinder- und Jugendprostituierte nicht in der Statistik erfasst“, sagt Frank Scheulen, Sprecher des Landeskriminalamtes. Es gebe zwar Zahlen über sexuellen Missbrauch von Kindern, „aber die sind nicht aussagekräftig für die Prostitution“.

Das Dortmunder Problem ist nicht auf andere Städte in NRW übertragbar. „In Bochum ist eine Zunahme der Kinderprostitution nicht feststellbar“, sagt Elisabeth Klemper von der Anlaufstelle „Madonna“. Die Bochumer Huren seien in der Regel volljährig und arbeiteten in Bordellen und Clubs, einen Straßenstrich gebe es nicht. „Minderjährige sind natürlich nicht immer erkennbar. Und wir kommen nicht in alle Läden rein“, räumt die Sozialpädagogin ein. Polizei und Gesundheitsamt hätten aber bislang nichts gemeldet.

Für Düsseldorf gibt es keine konkreten Fallzahlen. „Hier ist es sicher nicht so turbulent wie in Hamburg oder Frankfurt“, sagt Polizei-Sprecher Andre Hartwich. Allerdings gebe es einen illegalen Straßenstrich, auf dem sich auch drogensüchtige Jugendliche prostituieren. Hilfe bietet die Notschlafstelle „Knackpunkt“, die Betroffene auch beim Sucht-Ausstieg und bei der Wohnungssuche unterstützt. „Das Leben der Mädchen ist auf die Straße eingestimmt“, sagt Leiterin Edith Schmitz. Jeden Abend kommen etwa 15 Minderjährige in den „Knackpunkt“. Sie erhalten dort neben Essen und Kleidung auch saubere Spritzen und Kondome. „Leider fehlen in Düsseldorf Entgiftungsplätze für jüngere Drogensüchtige“, so Schmitz. In umliegenden Städten müssten sie oft wochenlang auf einen Therapieplatz warten.

Der Ausstieg aus dem Milieu braucht Zeit. In Dortmund schafften es im vergangenen Jahr neun Mädchen. „Drei von ihnen konnten in eine Ausbildungsstelle vermittelt werden, und zwei haben inzwischen ihren Schulabschluss nachgeholt“, freut sich Jutta Geißler-Hehlke.

GESA SCHÖLGENS