Netzwerk um den Manchester-Attentäter: Die Radikalen geduldet

Unter Exil-Libyern kursieren Bilder des Attentäters, die eine Verbindung zu Islamisten herstellen. Für britische Diplomaten ein unangenehmes Thema.

Menschen stehen in einer langen Schlange, sie halten Blumen in ihren Händen

Muslime und Nicht-Muslime bringen Blumen zum Anschlagsort in Manchester Foto: ap

TUNIS taz | Das Attentat von Manchester ähnelt in seiner Dramaturgie den Terrorakten von Brüssel, Paris oder Berlin, doch es birgt eine politische Sprengkraft, die den britischen Diplomaten und der Regierung höchst unangenehm werden könnte.

Denn in der libyschen Exilgemeinde von Manchester, der wohl weltweit größten, kursieren schon länger Bilder von islamistischen Politikern aus Tripolis, dem Vater des Attentäters Ramadan Abedi und Vertretern der islamischen Gemeinde. Und auch der Attentäter von Manchester, Salman Abedi, zeigte sich in Milizuniform in Libyen und möglicherweise auch Syrien im Kampf gegen die „Ungläubigen“.

Diese sogenannte Manchester-Gruppe war in Libyen auch für britische Diplomaten eine Art Kontaktbörse, um sich im Nachkriegschaos zurecht zu finden – im Gegenzug ließ man offenbar Radikale aus Manchester gewähren.

Die Gruppe entstand, als der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi Mitte der 1990er Jahre verstärkt gegen die von den Golfstaaten unterstützte religiöse Szene in Libyen vorging und immer mehr religiös-konservative Aktivisten Schutz im Exil suchen mussten. In ihrer Heimat reichte es schon, einen Bart zu tragen, um von der Sicherheitspolizei verhaftet zu werden.

Muslimbrüder organisierten sich in Manchester

Die gut vernetzten Muslimbrüder in Manchester nahmen sich der Ankömmlingen gerne an. „Die Muslimbrüder boten uns damals ein Zusammengehörigkeitsgefühl und organisierten einem alles – von der Wohnung bis zum Job. Die libysche Exilgemeinde wuchs stetig an“, sagt ein libyscher Aktivist der namentlich nicht genannt werden möchte, da er die Bewegung inzwischen verlassen hat.

Auch die Eltern von Salman Abedi gerieten nach Aussagen eines ehemaligen Nachbarn in den Radar von Gaddafis Sicherheitsapparat. Mitte der 1990er Jahre wurden sie wie viele andere als Oppositionelle von den britische Behörden willkommen geheißen.

Die Manchester-Gruppe war für ­britische Diplomaten in Libyen eine Art Kontaktbörse, um sich im ­Nachkriegschaos zurechtzufinden

Nach dem Sturz Gaddafis kehrten einflussreiche Sheiks und Aktivisten der Manchester-Gruppe dann nach Tripolis zurück. Heute sitzen viel von ­ihnen an zentralen Stellen in der vom Milizenchaos erschütterten libyschen Hauptstadt Tripolis. Denn die Nähe zu radikalen Gruppen wie „Ansar Scharia“ und der „Bengazi Schura Rat“ hilft dem libyschen Übergangspremier Fayiz Serradsch, nicht in deren Visier zu geraten.

Auch Ramadan Abedi, der Vater des Attentäters, kehrte zusammen mit seiner Frau vor vier Jahren nach Libyen zurück. Auf Bildern ist er mit führenden Vertretern der islamistischen Szene in Tripolis zu sehen. Auch sein Sohn kam immer wieder über Tunis in die Hauptstadt, wo er nach Angaben eines Sicherheitsanalysten von einer radikalen Miliz an Waffen und Sprengstoff trainiert wurde.

Westlichen Diplomaten fehlen Berührungsängste

Der Imam der Disbury-Moschee, in der der in Manchester geborene Attentäter radikalisiert wurde, lächelt auf einem Bild neben Mohamed Amaari, einem der sieben Stellvertreter von Libyens Übergangspremier Fayiz Serradsch, in die Kamera. Amaari wiederum lobt laut internen Quellen immer wieder den Kampf von islamistischen Gruppen wie Ansar Scharia gegen die libysche Polizei und Armee im Osten.

Die Grenzen zwischen den radikalen Gruppen sind unscharf. Auch Libyens oberster Mufti, Sadik Ghariani, dessen Söhne ebenfalls in Manchester leben, ruft regelmäßig zum Dschihad gegen seine politische Gegner wie Armeegeneral Khalifa Hafter auf. In England hat er Einreiseverbot. Auch von ihm existieren mehrere Fotos, auf denen er mit dem Vater des Attentäters zu sehen ist. Und auch Gharianis Söhne waren nach laut Independent Freunde der Familie.

Britischen Diplomaten in Libyen wird vorgeworfen, sie hätten kaum Berührungsängste gegenüber Gharianis Anhängern – darunter Afghanistanveteranen und Anhänger von Al Qaida.

Westliche Diplomaten setzen in Geheimverhandlungen auf Kooperation mit Milizen aller Couleur, auch den Radikalen um Sadiq Ghariani, um die Sicherheit der Botschaften zu gewähren. Die Gruppen nutzen dann den ihnen gewährten Spielraum.

Britischen Parlamentarier stellen die Kooperation mit der Manchester-Gruppe und den Muslimbrüdern zunehmend in Frage. Ende letzten Jahres mussten die mit Libyen befassen Diplomaten in einer Anhörung Rede und Antwort stehen. Doch die Untersuchung der Strukturen des Muslimbrüdernetzwerkes in England blieb größtenteils geheim.

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