Kolumne Kapitalozän: 13.000 Punkte Irrsinn

Steigt der Dax auf 13.000 Punkte? Gott, ist die Frage irrelevant. Warum haben wir nur aufgehört zu relaxen, so wie einst 70.000 Jahre lang?

Bootsfahrer blicken auf einen Sonnenuntergang

Ein Boot ist schön, aber wo soll da der Hund ein Loch graben? Foto: dpa

Ich weiß jetzt, wie der Kapitalismus aufhört!!! Das kam so: Ich ging mit dem Hund an den See, setzte mich ans Ufer und starrte aufs Wasser. Dort fuhr ein Boot vorbei, und ich dachte, ich will auch ein Boot. Der Hund grub derweil ganz meschugge an einem Loch. Er war wie besessen davon und buddelte so heftig, dass eine wahre Sandfontäne auf mir niederging. Ich fragte mich, warum der Hund das tut, und winkte dem Boot. Niemand grüßte zurück.

Für ein Boot müsste ich mehr Geld haben, mehr arbeiten, und dann würde ich nach einer Menge Plackerei mit dem Hund ans Ufer starren und mir überlegen, dass es doch sehr schade ist, nicht mehr am Strand zu sitzen. Weil der arme Hund im Boot kein Loch graben kann.

Steigt der DAX bald auf 13.000 Punkte? Ist das nicht unfassbar spannend? Das gab es noch nie!! Yeah!!!!! WTF bedeutet das, 13.000 Punkte? Hat jemand eine Ahnung? Essen Sie einen Geldschein. Wie schmeckt er?

Lassen Sie mich nun von einem Clown erzählen, den ich einst in Kreuzberg aufsuchte. Er war melancholisch, besitzlos und hatte wildes Haar. Als ich den Innenhof seines Habitats betrat, stand er gerade vor einem ratternden Kasten auf Rädern, den er konstruiert hatte. Der Kasten vibrierte heftig und stieß eine Fontäne schwarzen Schlabbers senkrecht in den Himmel, wie eine Erdölquelle. Bald triefte der Clown davon und erzählte mir prustend, dass er mit diesem Gerät gegen Erdöl zu demonstrieren gedenke. Er war sehr stolz auf seine Erfindung. In seiner Küche kochte er mir eine Suppe aus Kartoffeln und Roter Beete und erklärte mir, er lebe nicht im Kapitalismus, sondern im Solidarismus.

Das Kapitalozän ist ein eigenes Erdzeitalter. In dieser Kolumne geht es ums Überleben in selbigem. Vielleicht kennen Sie bereit das Anthropozän. Super Palaverthema. Wie die Kreidezeit, das Jura oder das Paläoproterozoikum, so ist auch das Anthropozän ein eigenes Erdzeitalter. Es besagt, dass die Menschheit durch Acker- und Bergbau, durch Städte, Atombomben und Straßen die Erde so sehr umgegraben hat, dass man das noch in 1000 Millionen Jahren im Gestein erkennen wird.

Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.

Jahre später, am See sitzend, stellte ich mir folgende Frage: Was machte der Mensch zwischen dem 1. Januar des Jahres 159987 und dem 31. Dezember 69999 vor Christus? Niemand weiß das so richtig. In all der Zeit lebten Menschen in Afrika, benutzten Werkzeuge und kochten, aber niemand bemalte Höhlenwände, bestattete Tote oder wäre mal losgelaufen, um sich den Rest der Welt anzugucken. Es gab vermutlich keine Religion, keine Kunst, keinen Besitz.

In einem Buch las ich folgenden Gedanken: Wenn der Mensch sein Bewusstsein technologisch mit anderen Bewusstseinen verschmelzen könnte, dann entstünde eine gänzlich neue Daseinsform. Diesem Neuen wäre egal, was wir heute für wichtig erachten. Religionen, Kapitalismus, DAX, 13.000 Punkte. Das alles gibt es nur in unseren Köpfen und es könnte als Kategorie unseres Denkens einfach verschwinden. Wie sich das Neue anfühlt? Versuchen Sie sich als Hund zu fühlen oder sich eine Farbe vorzustellen, die es nicht gibt.

Versuchen Sie sich als Hund zu fühlen oder sich eine Farbe vorzustellen, die es nicht gibt

Die Theorie aus dem Buch gefällt mir, obwohl sie der kapitalistischen Logik entspringt. Die These ist deshalb so dermaßen steil, weil sie sich nur so enorm gut verkaufen lässt. Ich postuliere stattdessen zur Beendigung des Kapitalismus eine artgerechte Haltung des Menschen. Wir haben 70.000 Jahre lang relaxt. Das muss doch einen Grund haben.

So dachte ich, als der Hund am Strand grub. Ich stand auf, pulte mir Sand aus dem Ohr, und wir gingen heim, um uns solidarisch eine Wurst zu teilen.

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Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.

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