Festival „Theater der Welt“: Die Rückseite der Hafenstadt

Auf dem Wasser Menschen zuhören, die übers Wasser reden: Madeleine Flynn und Tim Humphrey mit ihrer Installation „Five Short Blasts“ zu Gast in Hamburg

Ganz schön grün und total urban: Die thematischen Bootsfahrten Foto: Fabian Hammerl

Etwas früher sei es noch schöner, sagt die junge Frau im blauen T-Shirt: „Wenn man um sechs auf dem Wasser ist, hängt noch so ein leichter Nebel über der Alster, und es ist noch stiller.“ Nun ist es schon deutlich nach halb sieben, still ist es trotzdem, aber es ist ja auch ein Samstag. Die junge Frau im blauen T-Shirt schweigt wieder und rudert. Das ist ihre Aufgabe, und die der anderen in Blau, an diesem Morgen: kleine Boote mit jeweils bis zu drei Passagieren voranzubringen.

„Theater der Welt“ steht auf dem blauen T-Shirt, und die morgendliche Bootsfahrt ist Teil dieses derzeit in Hamburg laufenden Festivals mit internationalen Gästen, Stücken und Projekten. Madeleine Flynn und Tim Humphrey sind Australier, und im Hafen von Melbourne sowie auf dem dortigen Fluss Yarra haben sie „Five Short Blasts“ zum ersten Mal 2013 in Szene gesetzt. Die Quadriennale in Prag hat diese „site-specific“, also dem jeweiligen Ort angepasste Soundinstallation schon beherbergt. Zuletzt waren sie damit beim Brighton Festival.

Immer geht es ums Wasser, um die Menschen, die von ihm leben, vielleicht auch darin sterben; um die Seefahrt, Schwimmen und Fischen und – heutzutage – auch die Flucht über irgendein Meer in irgendeinem Gefährt, das dazu nicht taugt. „Five Short Blasts“, der Titel entlehnt sich ja unmittelbar der Seefahrt. Mit fünf kurzen Hornstößen kommunizieren Schiffe Unsicherheit: Ich weiß nicht genau, was du vorhast, aber wenn du so weitermachst, rammen wir einander.

In Hamburg bieten Flynn und Humphrey jetzt zwei Touren an, die miteinander korres­pondieren, aber auch kontrastieren: In aller Herrgottsfrühe kann man sich in einem der erwähnten Boote über die Außenalster rudern lassen und durch die umliegenden Kanäle. Oder man fährt, zwei Stunden später, mit einer motorisierten Barkasse übers Elbfahrwasser und durch – dann sehr viel mehr an Arbeit erinnernde – Hafenareale. Auch wenn es kein Muss ist: Beides unmittelbar nacheinander erlebt, entfaltet vielleicht die größte Wirkung.

„Hamburg ist vom Wasser aus am schönsten“, auch das sagt die Frau im Ruderboot, und anders als aus dem Mund irgendwelcher Tourismusverantwortlichen möchte man es sogar glauben. Die Schönheit ist eine der Brüche: Im Stadtteil Winterhude hat sich, wie auch anderswo, das Bürgertum eine teils schon aggressiv repräsentative Architektur hingestellt – meine Zimmerdecke ist höher als deine. Mit dem Boot passiert man nun sozusagen die Rückseite der prächtigen Fassaden. Auch hier lassen sich Unterschiede ablesen: Der eine hat einen Garten mit Zugang zum Wasser und ein eigenes Boot da liegen – der andere nicht. Aber es zeigt sich eben auch, wie da das Wasser am Menschenwerk nagt, das bröckelt und gespalten wird vom Wurzelwerk.

Mehr als die Summe seiner Teile?

Flynn und Humphrey veranstalten keinen Ausflug, auch keine sogenannte alternative Hafenrundfahrt. Sie verstehen sich als „audio artists“, ein wenig unscharf als Klangkünstler zu übersetzen. Übers möglicherweise Pittoreske der Umgebung hinaus soll da etwas erzählt werden, Sinn gestiftet. Da ist erst mal der Soundtrack, der aus eigens konstruierten Lautsprecherkisten kommt: Während die Landschaft vorbeizieht, ist da eine Collage zu hören: immer wieder unaufdringliche minimalistische Gitarrenmusik, auch Originalgeräusche, aber vor allem gesprochener Text, jeweils auf Deutsch und Englisch.

Flynn und Humphrey veranstalten keinen Ausflug und keine alternative Hafenrundfahrt

Tony Birch sowie Julia und Tim Crouch haben den ursprünglichen Text verfasst. Der variiert mit dem Schauplatz: Spielte man etwa in Brighton auf ein lokales Flugzeugunglück an, geht es in Hamburg plötzlich auch mal um das Erlebnis, zum ersten Mal in der Alster zu schwimmen, diesem ja doch recht großen Tümpel. „Urgesteine des Hamburger Hafens, Netzflicker mit Walfanggeschichten, Seemänner und Elb­lotsen“ kommen da zu Wort, so fassen es die Veranstalter zusammen, „aber auch Drachenbootfahrer, Triathleten oder Geflüchtete, die übers Wasser gekommen sind“.

Und noch etwas will da Mehrwert stiften, Aha-Erlebnis vielleicht auch oder eine Form des Poetischen: Da sitzt plötzlich eine Trompeterin am Ufer. Oder das Boot fährt unter einer Brücke durch, auf der ein Mann ein sehnsuchtsvolles Lied in irgendeiner mitteleuropäischen Sprache singt. Oder diese Tänzerin: tanzt auf dem Dach eines Hausboots oder kopiert, auf einer Alsterbrücke, ganz normale Passanten; übersteigert deren Gesten derart, sodass sie auch von den Booten aus wahrgenommen werden können.

Alles schön und gut, schrieb über die Brightoner „Five Short Blasts“ der Guardian, „a nice experience“ – bloß werde daraus selten mehr als die Summe der Einzelteile. Ein wenig krankt daran auch die Hamburger Variante: Nicht immer ist der Zusammenhang zwingend zwischen dem, was wir gerade hören und wo wir gerade sind – aber das kann durchaus der frühen Stunde geschuldet sein. Und es gibt doch wirklich schlimmere Aussichten, als am Ende eine schöne, aber vielleicht nicht maximal Erkenntnis fördernde Zeit verbracht zu haben.

Beide Touren werden jeweils am 2., 3. und 4. Juni nochmals durchgeführt. (Rest-) Tickets unter www.theaterderwelt.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.