Kommentar Vorschläge zur Eurozone: Aus der Schneckenperspektive

Armut und Arbeitslosigkeit lässt das EU-Papier aus. Es ignoriert den Kontext. Nur an Eurobonds wagt es sich heran – ohne sie zu nennen.

Viele Schnecken sitzen im Gesicht eines Menschen

Die Aussichten sind nicht berauschend Foto: ap

Weltfremd – dieses Wort passt bestens zu den neuesten Vorschlägen der EU-Kommission zur Eurozone. Die Realitätsferne zeigt sich bereits beim Zeithorizont: Bis 2025 will man langsam ein paar kleine Änderungen vornehmen. Dabei wäre es ein Wunder, wenn die Eurozone 2025 noch existierte, falls das Reformtempo so dröge bleibt.

Die zentrale Frage ist: Wie kann man die Arbeitslosigkeit und Armut bekämpfen, die viele Euroländer plagt? Doch genau dazu sagt das EU-Papier gar nichts.

Stattdessen wird an Einzelheiten herumgetüftelt – und der Kontext ignoriert. Ein typisches Beispiel ist die Idee, dass es eine gemeinsame Einlagensicherung für alle europäischen Banken geben soll, um die einzelnen Institute sicherer zu machen. Der Vorschlag ist zwar richtig – aber chancenlos. Denn in der Finanzbranche weiß jeder, dass die italienischen Banken auf faulen Krediten von etwa 300 Milliarden Euro sitzen. Dafür wollen die anderen Banken nicht haften. Die eigentliche Frage wäre also, wie man den italienischen Instituten hilft. Doch auch dazu schweigt das Papier.

Immerhin wagt sich die EU-Kommission an ein Tabuthema heran. Sie fordert, dass die Euroländer ihre Schulden gemeinsam aufnehmen – also Eurobonds ausgeben. Allerdings hütet sich die EU-Kommission wohlweislich, das Wort „Eurobonds“ zu benutzen – und es soll auch nur einen Bruchteil der Staatsanleihen betreffen. Zu groß ist die Angst in Brüssel, die Deutschen zu verärgern, die auf der „Eigenverantwortung“ der Länder bestehen.

Das reiche Deutschland wird reicher, während der Rest verliert

Das Konzept „Eigenverantwortung“ klingt zwar fair, sprengt aber die Eurozone von innen. Deutschland kann momentan 10-jährige Kredite für einen Zins von 0,3 Prozent aufnehmen. Das arme Portugal hingegen muss 3 Prozent zahlen. Konsequenz: Das reiche Deutschland wird reicher, während der Rest verliert.

So kann die Eurozone nicht funk­tio­nieren. Noch nicht einmal bis 2025.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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