Studienkredite in den USA: Die Masche mit den Träumen

Viele Studierende nehmen einen Kredit auf, um sich die Ausbildung zu finanzieren. Das Geld zurückzuzahlen, ist meist schwer.

Ein Universitäts-Absolvent in Talar trägt eine Sonnenbrille, streckt die Zunge raus und macht eine Selfie mit seinem Handy

„Da waren die Schulden noch kleiner“ – so könnte die Beschreibung zu dem Foto lauten, wenn es in ein Fotoalbum geklebt würde Foto: ap

BERLIN taz | Mit Anfang 40 wollte Carole B. aus New Hampshire noch einmal an die Uni. Masterstudiengang Französisch, inklusive Auslandsaufenthalt in Paris. Das renommierte Middlebury-College in Vermont gab ihr den begehrten Studienplatz – nur die Finanzierung fehlte. Die Universität verlangt hohe Studiengebühren, doch Caroles Konto war leer. Ein Stipendium deckte nicht alle Kosten – ein Kredit musste her.

20.000 Dollar lieh sich Carole vom Staat. Die Rückzahlung sollte der Kreditdienstleister Great Lakes übernehmen. „Wir unterstützen deine Träume“, heißt es auf der Homepage des Finanzdienstleisters. 2014 war Carole mit ihrem Studium fertig. Seitdem hat sie Great Lakes 6.500 Dollar gezahlt. Doch sie schuldet dem Finanzdienstleister immer noch 21.000 Dollar – mehr als sie ursprünglich geliehen hatte. Wie das passieren konnte, kann sich Carole bis heute nicht ganz erklären, sagt sie am Telefon. Sie sagt auch, dass sie ihren Nachnamen lieber nicht in veröffentlicht lesen möchte, wenn sie ihre finanzielle Situation derart offenlegt.

Anders als in Deutschland sind in den USA selbst an öffentlichen Universitäten hohe Studiengebühren üblich. Wer nicht über entsprechende finanzielle Rücklagen verfügt, muss hohe Studienkredite aufnehmen, um den Abschluss zu finanzieren. Der Collegebesuch stellt für viele US-Amerikaner daher ein erhebliches finanzielles Risiko dar. Neben dem Hauskredit begleiten Studienkredite das Leben häufig über Jahrzehnte. Und sie erzeugen einen riesigen Finanzmarkt. Ein große Rolle spielen dabei die dubiosen Geschäftsmethoden von Great Lakes und anderen Kreditdienstleistern.

Auf rund 1,3 Billionen Dollar belaufen sich die öffentlichen Studienkredite der US-Amerikaner insgesamt. Die Bundesregierung beauftragt Kreditdienstleister, die die Rückzahlung der Studienschulden abwickeln und über Gebühren und Zinszahlungen Gewinn erwirtschaften. Mit Zahlungsverzögerungen und langen Rückzahlungszeiträumen generieren die Unternehmen Umsatz. Zum Leidwesen von Millionen Amerikanern, wie Carole B.

Der Blick aufs Konto war ein Schock

2011 machte sie ihren Abschluss und ging auf Jobsuche. Great Lakes gewährte vermeintlich großzügig Aufschub für die ersten Rückzahlung. „Was sie mir nicht sagten, ist, dass ich für jede gestundete Rate einen Zinsaufschlag zahlen muss.“ Im Mai 2012 fand Carole dann endlich einen Vollzeitjob – und begann sofort mit der Rückzahlung ihres Kredits. 245 Dollar betrug die monatliche Rate. „Irgendwann fing ich an, mir die Abbuchungen genauer anzuschauen, und entdeckte dass ohne Ankündigung die Raten niedriger wurden.“ 250 Dollar, 239 Dollar, bis auf 230 Dollar sanken die Raten wie von Geisterhand.

Mit den geringeren Raten verlängert sich allerdings die Rückzahlungsdauer und damit steigt die Zinsbelastung. „Die Great Lakes-Leute versuchten mir, geringere Raten aufzuschwatzen. Kein Hinweis, dass ich mich mit geringeren Raten immer tiefer verschulden würde.“ Carole reagierte und überwies die Zahlungen von nun an selbst. Und zwar die höhere Rate von 259 Dollar.

Carole ist 48 Jahre alt und schuldet dem Kreditunternehmen mehr als sie vor acht Jahren geliehen hat

Das böse Erwachen kam dann 2016. Auf den Hinweis eines Freundes schaute sich Carole auf der Onlineplattform von Great Lakes den Rückzahlungsstand ihres Kredits genauer an. „Ich hatte bereits 6.500 Dollar gezahlt und erwartete, dass ich jetzt maximal noch 15.000 Dollar Schulden hätte.“ Der Blick aufs Konto war ein Schock.

Mehr als 21.000 Dollar sollte Carole Great Lakes schulden. Die nur für wenige Monate gewährte Stundung hatte die Zinsen hochgetrieben, doch auch andere Faktoren spielten eine Rolle. Von Caroles 20.000 geborgten Dollar wurden 18.000 mit zwei Prozent verzinst und 2.000 Dollar mit viel höheren acht Prozent. Anstatt Caroles Rückzahlungen mit dem zinshöheren Kredit zu verbuchen, ging die Tilgung in den Zwei-Prozent-Kredit.

Carole ist mittlerweile 48 Jahre alt. Und sie schuldet Great Lakes immer noch 20.936,49 US-Dollar. Und nicht nur Carole klagt über Probleme mit Great Lakes.

„Später schuldet du ihnen dann das Zehnfache“

Beim Verbraucherportal Consumer Affairs erhält die Firma – die Kredite von zehn Millionen US-Amerikanern mit knapp 51 Milliarden Dollar Volumen verwaltet – von nahezu allen Nutzern die niedrigste Bewertung.

Viele Geschichten ähneln der von Carole. Jill aus Seattle, Washington, schreibt: „Seit 13 Jahren zahle ich monatlich meine Raten und schulde ihnen immer noch fast genau so viel wie damals.“ Casey aus Youngsville, Louisiana, schreibt: „Sie belügen dich und sagen dir, du würdest ihnen nur wenig Geld schulden, wenn du mit ihnen einen Kredit abschließt. Und später schuldest du ihnen dann das zehnfache.“ Andere Nutzer werfen Great Lakes vor, ihnen ungebetene Zahlungsaufschübe untergejubelt zu haben.

Die Bundesbehörde Consumer Financial Protection Bureau meldete vergangenen Oktober in einer Studie, dass Gläubiger bei allen großen Kreditunternehmen „auf weitreichende Probleme stoßen, wenn sie ihre Schuldenlast reduzieren oder bei den Zahlungen Schritt halten wollen.“

Die Obama-Regierung nahm sich ab April 2016 des Problems der zwielichtigen Kreditunternehmen an. Der Plan des Bildungsministeriums sah vor, dass alle öffentlichen Studienkredite über ein einziges vom Ministerium überwachtes Portal abgewickelt werden. Damit solle sichergestellt werden, „dass alle Schuldner fair behandelt werden und ihnen klare, verfolgbare Informationen zu jedem Schritt des Rückzahlungsprozesses gegeben werden“, heißt es in einer Mitteilung der Behörde.

Einen Plan, den Donald Trumps neue Bildungsministerin Betsy Davos nach lauter Kritik an ihrem Vorgänger weitestgehend übernommen hat und laut Mitteilung ihres Ministeriums vom vergangenen Freitag 2019 in Kraft treten soll.

Ein Kampf gegen die arme Unterschicht

Vorschläge der Obama-Regierung zum Schuldnerschutz wurden jedoch gekippt. So muss der Kreditdienstleister Schuldnern, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, nicht mehr bei der Ausarbeitung eines Rückzahlungsplans unterstützen. Zwei Obama-Dekrete machte Devos ebenfalls rückgängig. Das eine verpflichtete Great Lakes und Co. dazu, ihren Kunden die Kontaktaufnahme zu erleichtern. Mit dem anderen Dekret wollte Obama verhindern, dass Kreditdienstleister mit schlechten Bewertungen an neue Bundesaufträge kommen. Beides ist nun vom Tisch.

Und so stößt die Neuregelung bereits jetzt auf Kritik. „Die Änderungen werden die Profite der Branche erhöhen“, sagt Rohit Chopra von der Verbraucherschutz NGO Consumer Federation of America dem Finanz-Portal Market Watch. „Aber es wird nicht gegen die vielen Kreditausfälle helfen.“ Die Ausfallrate beträgt aktuell laut Bildungsministerium knapp elf Prozent.

Carole B. zahlt derzeit weiter. Sie hat trotz zahlreicher Sammelklagen bisher nichts gegen die Kreditdienstleister Great Lakes unternommen. Denn sie hat bereits einen Verwaltungsjob in Aussicht, der eine Tilgung der Studienschulden beinhaltet.

Das System der Studienschulden macht sie aber dennoch wütend. Im Gebahren dieser Kreditunternehmen sieht sie einen Kampf gegen die arme Unterschicht. „Es geht darum, diese Menschen zu schikanieren, an ihnen zu verdienen und ihnen den Aufstieg zu erschweren.“ Trotz Studium.

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