Schadet die Entwicklungshilfe?

POLEMIK In der Dokumentation „Süßes Gift – Hilfe als Geschäft“ stellt Peter Heller die Frage, ob Afrika durch die Entwicklungshilfe nicht arm gehalten wird

Große, mit viel Optimismus entwickelte Hilfsprogramme entpuppten sich bald als so genannte „weiße Elefanten“

VON WILFRIED HIPPEN

„Es waren die schönsten Jahre meines Lebens!“, sagt ein ehemaliger Entwicklungshelfer mit leuchtenden Augen über seine Zeit in Afrika, und dies bleibt die einzige ungebrochen positive Aussage im gesamten Film. Peter Heller bringt hier schön den Idealismus der Helfer aus den reichen westlichen Ländern auf den Punkt, aber auch, wem die Entwicklungshilfe tatsächlich nutzt. 50 Jahre nachdem viele Staaten in Afrika unabhängig wurden, hat Heller, der schon viele Dokumentationen in Afrika gedreht hat, und dessen erster Film 1973 den programmatischen Titel „Heile Welt und Dritte Welt“ trug, eine Bestandsaufnahme der Entwicklungshilfe unternommen. Er tat dies anhand von drei Fallbeispielen in Kenia, Mali und Tansania. Heller arbeitet ohne eigenen Kommentar und die meisten seiner Gesprächspartner sind Afrikaner. Die meisten gehören den Eliten an, antworten ihm in Englisch oder Deutsch und einer von ihnen sagt auch ganz offen, objektiv sei er selber „Teil des Problems und nicht der Lösung“.

Heller will zeigen, dass die Entwicklungshilfe seit Jahrzehnten eine positive Entwicklung in Afrika eher behindert als fördert. Sie verhindert Eigeninitiative, weil sie die Afrikaner von der wirtschaftlichen Hilfe aus dem Westen abhängig macht, und letztlich profitieren die Geber mehr von ihr als die Adressaten. So wird etwa der Mais, der in Hungergebieten verteilt wird, nicht in Afrika gekauft, obwohl es dort genug davon gibt, sondern in den USA und Europa gekauft und von dort eingeflogen. Und durch die Hilfe werden die alles andere als demokratischen Regime unterstützt, weil durch sie der Leidensdruck der Bevölkerung gemildert wird, während sich die Mächtigen gleichzeitig durch Korruption bereichern. Statt die herrschenden Verhältnisse zu zementieren, müsste eine wirkungsvolle Entwicklungshilfe „Regierungen stürzen“, sagt ein afrikanischer Journalist in Hellers Kamera.

Große, vor Jahrzehnten mit viel Optimismus entwickelte und durchgeführte Hilfsprogramme entpuppten sich bald als so genannte „weiße Elefanten“, also zum teil grotesk gescheiterte Projekte, deren Ruinen Heller besuchte. So etwa der Versuch in Kenia, einen nomadischen Hirtenstamm, der unter einer großen Dürre litt, zu Fischern am nahen Turkana- See zu machen. Dafür baute eine norwegische Hilfsorganisation eine riesige Kühlfabrik auf, doch erst wenige Wochen nach der Fertigstellung wurde klar, dass es dafür nicht genug Strom und Wasser in der Region gab. Es wurde nie in der Fabrik gearbeitet und heute wird in einigen der halb verfallenen Räume Trockenfisch gelagert. Die Nomaden kauften sich für ihren Lohn als Fischer Rinder und zogen damit wieder auf Wanderschaft in die Wüste. In Mali wurde ein riesiger Staudamm gebaut, um die Region mit Energie und Wasser zu versorgen. Den umgesiedelten Bauern wurden gutes Land, Strom und genügend Wasser versprochen, doch das ihnen zugewiesene Land ist klein und minderwertig, die Stromleitungen laufen zwar direkt an ihrem Dorf vorbei, doch für sie gibt es keine Ableitung und für ihr Wasser, das nach ihrer Tradition keinen Besitzer haben kann, sollen sie nun zahlen. In einem Dorf in Tansania sollte eine Baumwollfabrik den Bauern ihr Auskommen sichern. Doch als die Weltmarktpreise für Baumwolle fielen, stellte die Regierung die Subventionen ein, die Felder von einst sind völlig verwildert und die Bauern hungern wieder.

Selbst wenn die Baumwollproduktion noch Profit abwirft, bleibt ein Grundwiderspruch, den ein afrikanischer Agrarexperten anspricht: Warum exportieren die Afrikaner die unbearbeitete Baumwolle in Industrieländer, wo Kleidungstücke aus ihnen fabriziert werden, die dann massenhaft in Afrika importiert werden? Heller arbeitet sehr überzeugend. Er hat seine Fallbeispiele klug ausgewählt, denn in Kenia, Mali und Tansania kann er gut mit Bildern arbeiten (die Ruine der Fischfabrik ist sehr augenfällig ein „weißer Elefant“). Und er malt nicht zu schwarz, wenn er etwa ein kleines Alternativprojekt in Tansania vorstellt, bei dem die Bauern dazu ermuntert werden, Bio-Baumwolle anzubauen, die ihnen dann garantiert und zu einem fairen Preis abgenommen wird.

„Süßes Gift – Hilfe als Geschäft“ ist ein polemischer Film, doch Heller argumentiert kenntnisreich und sehr überzeugend. „Afrika ist reich“, sagt einer der afrikanischen Experten, „wir brauchen euch nicht!“ Über einem staubigen Hungergebiet werden dagegen riesige weiße Säcke von Flugzeugen abgeworfen, und die Menschen raffen danach vom Boden so viel auf, wie sie bekommen können. „Nur die Weißen werfen Essen vom Himmel“, sagt ein alter Mann.