Debatte Ohnesorg-Gedenktag: Karl May unter der AKW-Sonne

Weißwein und Blumen an der Oper: Eine Nachgeborene gedenkt Ohnesorgs und wundert sich über den Zynismus ihrer Generation.

Ein Glas Weißwein

War früher rot: der Wein bei politischen Diskussionen in WGs Foto: dpa

Als ich das Wort Jubelperser zum ersten Mal hörte, war die Veranstaltung vor der Deutschen Oper in Berlin schon über zwanzig Jahre vorbei. Ich war im frühen Grundschulalter, lebte nachmittags in meiner Karl-May-Welt zusammen mit Winnetou und Kara Ben Nemsi und ein Elternteil verwendete das Wort nebenbei in der Bedeutung von bestellten Claqueuren. Vielleicht jubelten die Menschen in dem damals gefallenen Satz Helmut Kohl zu, jedenfalls jemandem, den man in unserer Küche nicht besonders mochte. An der Tür hing eine Friedenstaube, am Auto, das man ja doch benutzte, wohl wegen des Kindes, eine Anti-AKW-Sonne.

Jubelperser klingt heute mindestens im Unterton rassistisch, auch wenn weder Jubeln noch Perser an sich eine negative Konnotation hätte. Doch natürlich ist ein Kompositum nicht nur das, was es heißt, sondern auch das, was man daraus macht und darunter versteht: In diesem Fall ferngelenkte Personen, die sich für politische Zwecke instrumentalisieren lassen. Meine kindliche Wahrnehmung entsprach dem ganz gut. Jubelperser, stellte ich mir vor, waren Leute, die man verjubelte, die irgendwie in den Schlussverkauf geraten waren.

Nebenbei lag Persien für mich noch weiter weg als Iran, tief im historischen, eher schon märchenhaften Orient, den es allenfalls noch bei Karl May gab. Neologismen zeigen zudem, wem oder was wir Bedeutung beimessen: Die Exiliraner, die sich in die Demonstration gegen den Schah einreihten, bekamen kein eigenes Wort. Vielleicht wurden sie genannt, vielleicht waren sie auch einfach nur da.

Am 2. Juni 2017 stand ich vor der Deutschen Oper, am fünfzigsten Jahrestag des Schahbesuchs. Ich war dorthin spaziert, weil der Ort nicht weit von meiner Wohnung liegt, weil ich wissen wollte, welches Stück man an dem Tag spielen würde und ob es irgendein Anzeichen für diesen Jahrestag gäbe, der in der Presselandschaft eine Flut von 68er-Bestandsaufnahmen ausgelöst hatte.

Ich trinke auch lieber roten

Das Stück war Billy Budd von Benjamin Britten, und anders, als ich es erwartet hatte, traf ich schon in der Nebenstraße auf Menschen, die mit Blumensträußen aus Autos stiegen (ohne Anti-AKW-Sonne). Gut, dachte ich, dass sich das Phänomen nicht nur in der Presse abspielt, dass es tatsächlich Menschen gibt, die sich die Mühe machen, herzukommen, reale Blumen zu kaufen.

Vor der Oper hatte sich eine eindrucksvoll homogene Gruppe zu Grußworten, Augenzeugenberichten, Musik versammelt: Es wirkte wie ein Klassentreffen, bei dem jeder und jede vor allem die eigene Jugend erinnerte, ob er oder sie damals nun für oder ­gegen die 68er gewesen war. Als ich die Wilmersdorfer Straße zurück ging, traf ich auf Jugendliche und Leute Anfang vierzig, sie saßen in Cafés oder trödelten durch die Fußgängerzone. War das nun ein Beweis dafür, dass alle nach den 68ern Geborenen apolitisch waren? Oder war es eher ein Anzeichen dafür, dass es, wie bei vielen Generationsklüften, kein wirkliches Verständnis füreinander gab?

Was auch immer die Menschen in dieser Fußgängerzone antrieb – das Klischee, nach 68 hätte niemand mehr bei Rotwein in WG-Küchen die Nacht durchdiskutiert, zumal politisch!, stimmt natürlich nicht. Vielleicht ist es heute Weißwein. Vielleicht sitzen wir nicht mehr nackt da und gehen danach alle zusammen ins Bett, sondern jeder Einzelne zu seinem Tinderdate. Man kann das gut oder schlecht finden, gerade in Bezug auf den Wein trinke auch ich lieber roten.

Die Erinnerung offenbart Selbstbezüglichkeit

Meine Generation etwa empfinde ich nicht als apolitisch, nicht apolitischer jedenfalls, als jede Generation es zum Teil immer gewesen ist. Wir ­gehen nicht mehr gegen den Schah auf die Straße, sondern gegen Donald Trump oder für Deniz Yücel und Raif Badawi. Wir wollen weniger den Umsturz als vielmehr das, was in die Krise geraten ist, dadurch zurückgewinnen, dass wir es verändern. Uns treibt auch nicht die radikale Wut der 68er auf die Generation ihrer Eltern an. Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was 68 uns mit auf den Weg gegeben hat und was davon wir dennoch ablehnen. Das macht manches leiser. Es führt womöglich auch dazu, dass wenige meiner Altersgenossen zu Gedenkveranstaltungen gehen, die in der Hand einer Generation liegen.

Die Erinnerung an Benno Ohnesorg, die nicht nur für den skandalösen Tod eines sehr jungen Menschen steht, sondern auch eine Polizeiwillkür verurteilt, die das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit noch einmal in Frage stellte, braucht ihren Platz, auch jenseits von Jahrestagen. Platz bräuchte es aber zudem dafür, dass die Demonstration damals nicht nur gegen die BRD gerichtet war, sondern auch gegen die Diktatur eines Landes, das nicht so fern lag und liegt wie ein Karl-May-Märchen und das bis heute, 38 Jahre nach dem Sturz des Schahs und der Installierung eines theokratischen Regimes, problematisch und zugleich komplex ist. Auch daran, dass nur sehr wenige an dem Tag fragten, was eigentlich aus dem Land des Schahs geworden ist, zeigt sich die zu große Selbstbezüglichkeit dieses Gedenkens.

Zynismus unserer Gegenwart

Dass Iran erst fünf Tage später durch zwei Terroranschläge in Teheran, zu denen sich der IS bekannte, wieder deutlich ins mediale Bewusstsein trat, ist wohl keine Ironie der Geschichte, sondern eher dem Zynismus unserer Gegenwart geschuldet. Vielleicht nicht zynisch, aber doch zumindest scheinheilig war Donald Trumps Reaktion auf diese ersten IS-Anschläge in Iran, die den Konflikt zwischen der dortigen schiitischen Mehrheit und der sunnitischen Minderheit wie auch die Anspannung zwischen Teheran und Riad weiter verschärfen dürften. Trump verband sein Beileid mit einer Warnung, die aus seinem Mund wie eine ungewollte, zugleich fast märchenhaft plakative Selbstbeschreibung klang: „Wir unterstreichen, dass Staaten, die Terrorismus unterstützen, Gefahr laufen, dem Bösen zum Opfer zu fallen, das sie fördern.“

Manchmal wünscht man sich doch zurück in einen Roman von Karl May, in dem Gut und Böse noch praktikabel voneinander getrennt sind und nach sechshundert Seiten die Realität dennoch keine Schramme davongetragen hat.

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