Kommentar Jamaika-Koalition: Die Grünen wittern Macht

Auch wenn die Grünen nicht gerne darüber reden: Ein Bündnis mit CDU, CSU und FDP wäre im Herbst durchaus möglich.

Ein Flamingo

Wie riechen eigentlich Flamingoblumen? Foto: dpa

Cem Özdemir teilte kurz vor dem Grünen-Parteitag das Foto einer Duschgeltube auf Twitter. Jamaica Vibes – mit Ananas- und Flamingoblumenduft. Er habe keine Wahl gehabt, schrieb der grüne Spitzenkandidat darunter. „Einziges Duschgel heute morgen.“ Lachender Smiley. Özdemir weiß Signale zu setzen – und angesichts der brandneuen Koalition in Schleswig-Holstein ist ein nüchterner Blick auf ein Bündnis aus CDU, CSU, FDP und Grünen im Bund angebracht.

Ja, Jamaika kann in Berlin funktionieren, auch wenn die Grünen dazu am liebsten schweigen. Ihre tonangebenden Leute verstehen die Ökopartei eben nicht mehr als rebellische oder linke Kraft, sondern als ökologische Scharnierpartei jenseits des Links-rechts-Schemas. Sie bereiten diese Biegsamkeit seit der Wahlniederlage 2013 vor. Themen wie die Vermögensteuer fahren Özdemir und Katrin Göring-Eckardt in ihrer Kommunikation herunter, auch wenn sie offiziell im Programm stehen.

Für Merkel hätte Jamaika den Charme, dass sie die CDU weiter modernisieren und das Prinzip „Teile und herrsche“ perfektionieren könnte. Lindners FDP wäre sowieso dabei. Den störrischsten Part übernähme inte­res­san­ter­weise die CSU. Horst Seehofer ordnet alles dem Ziel unter, die absolute CSU-Mehrheit bei der Landtagswahl 2018 zu retten. Dafür muss er die AfD kleinhalten, und er braucht die Grünen als Punchingball. Allerdings spricht auch das nicht grundsätzlich gegen Jamaika. Die CSU ist in Machtfragen pragmatisch, und Seehofer hätte kein Problem, sich in einer Koalition gegen angeblich weltfremde Multikulti-Ökos zu profilieren.

Jamaika wäre im Bund ein Experiment, das wohl nur dann ernsthaft in Betracht käme, wenn die Große Koalition die einzige Alternative wäre. Gegen die Verstetigung der Groko spricht ein nicht zu unterschätzendes Argument, nämlich das Beispiel Österreich. Dort teilten sich die Volksparteien die Macht im Staate jahrzehntelang untereinander auf, Korruption und Misswirtschaft blühten, die Rechtpopulisten etablierten sich als dritte starke Kraft. Demokratie braucht Abwechslung, diese schlichte Erkenntnis pusht Jamaika.

Und die Inhalte? Die Grünen arbeiteten mit drei Parteien zusammen, die diametrale Positionen vertreten. Was sich mit CDU und CSU im Sozia­len verabreden ließe, hasst die FDP. Was an moderner Gesellschaftspolitik mit der FDP ginge, hasst die CSU. Die Ökopartei bräuchte in jedem Fall Erfolge auf ihrem Kerngebiet, dem Klimaschutz und der Ökologisierung der Wirtschaft. Welche das sein könnten, ist die große Frage. Eine engagierte Energiewende? Der Umbau der Autoindustrie mit harter Ordnungspolitik? Union und FDP stehen auch im 21. Jahrhundert noch für beinharte Industriepolitik.

Ein bisschen moderner, ein bisschen ökologischer, aber im Grunde bleibt vieles, wie es ist.

Aber: Selbst kleine Fortschritte in der Klimaschutzpolitik sind entscheidend, und die Bilanz der Großen Ko­ali­tion ist hier katastrophal. Die Union und die kohleverliebte SPD nehmen sich da wenig. Obendrauf gäbe es bei Jamaika wohl ein paar nötige Reformen in der Gesellschaftspolitik, etwa ein Einwanderungsgesetz. Auf anderen Feldern aber würden grüne Ideen geradezu planiert. Dass Özdemir und Göring-Eckardt eine Vermögensteuer, weniger Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher oder eine fortschrittliche Wohnungspolitik vereinbaren könnten, sind fromme Wünsche.

Jamaika wäre etwas ökologischer als die Große Koalition. Gleichzeitig, das ist der Kollateralschaden, geriete die soziale Frage ins Abseits. Die Idee der Grünen, sie könnten bei dem anstrengenden Lagerwechsel neben mehr Öko auch noch Relevantes an sozialer Gerechtigkeit durchkämpfen, ist illusorisch. Ein bisschen moderner, ein bisschen ökologischer, aber im Grunde bleibt vieles, wie es ist. Man kann das traurig finden, aber dieses Bündnis passt gut in eine Zeit, in der die Mittelschicht angesichts von Trump, Brexit und Co. um ihren Wohlstand fürchtet. Etwas Flamingoblumenduft ist okay. Dann reicht es aber auch mit der Veränderung.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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