Russischer Oppositioneller Nawalny: Der Putin das Fürchten lehrt

Alexej Nawalny ist der führende Oppositionelle. Die Jugend geht für ihn auf die Straße. Wie nachhaltig die Bewegung ist, muss sich noch zeigen.

Viele junge Demonstranten

Für Nawalny, gegen Putin: junge Demonstranten in Moskau Foto: ap

MOSKAU taz | „Alexei Nawalny ist ein Außerirdischer.“ Das sagt Michail Sygar über den 41-Jähri­gen, der sich anschickt, Wladimir Putins Nachfolger zu werden. Nawalny ist inzwischen Russlands führender Oppositionspolitiker. Davon gibt es nur noch wenige und unter ihnen ist der unermüd­liche Kämpfer gegen Korruption einmalig. Von nichts lasse er sich beirren, meint Sygar, Exchefredakteur des unabhängigen Moskauer TV-Senders Doschd. Alles, was er tue, sei Karriere und Politik untergeordnet.

Seit Herbst 2011 kommt Nawalny nicht mehr zur Ruhe. Damals wehrte sich Russland gegen massive Wahlfälschung zugunsten der Kremlpartei bei den Parlamentswahlen. Nawalny war Sprachrohr des Protests. Der Kreml rächte sich. Mehrfach wurde der Jurist und Familienvater wegen angeblichen Betrugs auf Bewährung verurteilt. Dutzende Male musste er nach Demonstra­tionen in Beugehaft.

Doch Nawalny macht weiter. Als wisse er, dass seine Stunde kommen und er den Kremlchef ablösen werde, meint Sygar. Inzwischen ist Nawalny dem Ziel näherge­kommen. Er dürfte zwar bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018 kaum in den Kreml einzie­hen. Die politische Elite hat der Wahlkämpfer aber in Unruhe versetzt.

Plötzlich steht der blonde Hüne Putin als ernster Herausforderer gegenüber. Dabei hatte die Führung ihn mit einem Bann belegt, und Staatsmedien fürchteten sich, seinen Namen zu erwähnen. Der Kreml will ihn zur Wahl nicht zulassen. Er kann sich auf ein Gesetz berufen, das Vorbestrafte von Kandidaturen ausschließt. Doch was bewirkt ein Gesetz, wenn der Druck der Straße wächst?

Mehr als 40 Wahlkreisbüros

Die politische Führung ist verunsichert. Der selbsternannte Präsidentschaftskandidat reist unermüdlich durchs Land und eröffnet neue Wahlkampfbüros. Mehr als vierzig sind es mittlerweile. Der Kreml hatte nicht mit einer flächen­deckenden Mobilmachung gerechnet.

Als am 26. März überdies Tausende junger Leute gegen Korruption landesweit auf die Straße gingen, war er perplex. Ein Film über die Korruptions­anfälligkeit des Regierungschefs Dmitri Medwedew war Anlass. Von Villen, Ländereien und Wein­gütern berichtete Nawalny. Mehr als 22 Millionen sahen das Video.

Arkadi Dubnow, Publizist

„Nawalny ist ein außergewöhnliches politisches Tier“

Letzten Montag folgte der zweite Streich. Wieder war es der Nachwuchs zwischen 15 und 30 Jahren, der die Straße beherrschte. Putins politischer Talkmaster, Wladimir Solowjew, schäumte im staatlichen Radio: Die Demonstrierenden seien „Dreckskerle“ und „Wanzen“, Sprösslinge korrupter Eltern. Dem kaltschnäuzigen Ideologen mit Villa am Comersee war die Angst in die Glieder gefahren.

Bleiben die Jungen bei der Stange? Sie bilden keine Mehrheit. Diese ist zudem eher konservativ. Gleichwohl sind die neuen Aufmüpfigen gebildet, entschlossen, bestens vernetzt, und sie verfügen über ein intaktes Wertesystem. Nicht alle jungen Unzufriedenen sind auch Anhänger Nawalnys. Dieser spricht jedoch ihre Sprache. Es sind Clips auf YouTube. Donnerstags geht „navalny 20!18“ um 20.18 Uhr mit Alexei auf Live­sendung. Der Name ist eine Anspielung auf das Wahljahr. Die Vertreibung aus dem staatlichen Kosmos bewirkte, dass sie sich nun auf neueste Technologie und Dramaturgie verstehen und mehr Menschen erreichen als mit herkömmlichen Medien.

„Außergewöhnliches politisches Tier“

Letztlich hängt der Erfolg von der Breite der Unterstützung ab. Gelingt es, eine Massenbasis zu schaffen? Die Proteste nehmen zu: Lastwagenfahrer streiken, Mieter demonstrieren, Kleinunternehmer klagen. Bisher gelang die Vernetzung nicht, da viele den politischen Hintergrund der Probleme nicht erkennen.

Nawalny schaltete sich ein, aber er wurde noch nicht durchweg akzeptiert. Ihm fehlt eine Strategie. Bis jetzt bestimmt der Kampf gegen Korruption die Agenda. Auch das politische Programm ist noch dürftig. Daraus schließen Kritiker, ihm sei vornehmlich an Macht gelegen.

Der Publizist Arkadi Dubnow hält ihn gar für ein „außergewöhnliches politisches Tier“ vom Typ Lenins. Alexei Nawalny ist eins zu verdanken: Das System ist angeschlagen und kann seine Störanfälligkeit nicht mehr verbergen. Mit Putins Friedhofsruhe ist es jetzt vorbei.

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