Die Haarriss-Reaktoren von Belgien

AKWS Belgien hat nur zwei Atomkraftwerke, doch diese genießen einen schlechten Ruf. Der Grund ist die Pannenstatistik

BERLIN taz | In Deutschland ist mit dem beschlossenen Atomausstieg für Anti-AKW-Bewegung nicht mehr viel zu holen. Dass bei deutschen Atomkraftgegnern nun besonders die Nuklearmeiler in Nachbarländern wie Belgien im Fokus stehen und viele Anwohner gegen die Anlagen protestieren, hat aber nichts mit Langeweile zu tun. Die Pannenstatistik spricht für sich. Was ist da los?

Belgien verfügt mit seinen rund 11 Millionen Einwohnern über zwei Atomkraftwerke mit sieben Reaktorblöcken.

Das rund 15 Kilometer nördlich von Antwerpen gelegene Kernkraftwerk Doel verfügt über vier Druckwasserreaktoren, die zwischen 1975 und 1985 ans Netz gingen. Im anderen, rund 65 Kilometer südwestlich von Aachen gelegenen Kraftwerk Tihange sind drei Reaktoren in Betrieb. Die Standorte verfügen über insgesamt rund 2.000 Mitarbeiter.

Bereits 2003 beschloss die belgische Regierung einen Atomausstieg bis zum Jahr 2025 und plante dazu, einige Reaktoren schon 2015 vom Netz zu nehmen. Doch trotz wiederholter Pannen werden auch diese Reaktoren nach derzeitiger Planung frühestens 2022 abgeschaltet.

So wurde der Reaktor Doel 3 im August 2012 vorübergehend stillgelegt, nachdem Tausende Haarrisse im Reaktordruckbehälter entdeckt worden waren. 2015 entdeckten Mitarbeiter im nichtnuklearen Teil der Anlage ein Wasserleck an einem Generator und fuhren den Reaktor erneut runter – wenige Tage zuvor war der Reaktor nach 21-monatiger Pause gerade erst wieder ans Netz gegangen.

Haarrisse fanden sich auch im Reaktor Tihange 2, der ebenfalls vorübergehend vom Netz genommen wurde, erst 2013 dann wieder in Betrieb ging – und dann mehr oder weniger in einem An-Aus-Modus operierte. Immer wieder kam es zu Vorfällen und Betriebspausen. Im März 2014 wurden etwa beide Reaktoren auf behördliche Anordnung erneut heruntergefahren, gingen jedoch später erneut ans Netz – mit einer Betriebserlaubnis bis 2022 beziehungsweise 2023. Im November 2014 schaltete sich der Reaktor selbstständig aus, nachdem nach einer Explosion in einem Transformator ein Teil der Anlage Feuer gefangen hatte. Auch im Dezember 2015 meldeten die Nachrichtenagenturen ein Feuer in Tihange.

Auch die deutsche Regierung beobachtet die Anlagen kritisch und bat bereits formell darum, die umstrittenen Reaktoren vom Netz zu nehmen. Die belgische Aufsichtsbehörde und die Betreiber versprachen dagegen stets einen risikofreien Betrieb. Die Kraftwerke seien zu „101 Prozent sicher“, hieß es. Martin Kaul