Die Magie der Kurve

Welche Subkulturen von Fußballanhängern gibt es? Ein kurzer Überblick

Von Ralf Lorenzen

Fußballfans sind seit Jahrzehnten beliebter Forschungsgegenstand von Soziologen und Kulturwissenschaftlern. Selten stellt sich eine Untersuchungsgruppe so bereitwillig zur Schau und selten lässt sich Erkenntnisinteresse so schön mit der Teilnahme an einem unterhaltsamen Ereignis vereinbaren. Als Mutter aller Fan-Studien gilt „Football, Hooliganism and the Skinheads“ von John Clarke, veröffentlicht 1973 am legendären Center for Contemporary Cultural Studys in Birmingham. Dort setzte man den Begriff Subkultur auf die wissenschaftliche Landkarte . Den Birminghamern galten Subkulturen als Versuch, die verlorene Gemeinschaft der Arbeiternachbarschaft zurückzuerobern.

Kuttenfans

Besonders gut in dieses Bild passen die sogenannten Kuttenfans, die in den 70er-Jahren begannen, die Stehplatzkurven zu ihrem territorialen Hoheitsgebiet zu erklären. Die Jeanskutte samt Mütze und Schal ist einerseits Uniform mit klar erkennbaren Vereinsfarben. Andererseits verwirklicht sich jeder Träger individuell durch kreative Kuttendeko in Form von Sprüchen, Stickern, Stofffetzen. Die dieser äußeren Form entsprechende innere Haltung ist die der bedingungslosen Vereinstreue, die mitunter in handgreiflichen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans erprobt und gefestigt wurde.

Die Kuttenfans treten eher schluffig, mit Bierflasche in der Hand auf. Kein Vergleich zu den einstudierten Hochleistungschoreos von heute. Begnadete Sänger sind sie auch nicht, entsprechend tagesformabhängig ist der Support. Sie gehen davon aus, dass die Spieler sowieso wissen, dass sie sich auf ihre Treue verlassen können. Die Engagiertesten von Ihnen gründeten Fanklubs, die den Kontakt zu Spielern und Vereinen organisierten.

Hooligans

Kuttenfans beklagen zwar die zunehmende Kommerzialisierung des Spiels, den Vormarsch der Mittelschichten und die Entfremdung der Spieler von ihnen, lassen sich aber weitgehend sozialpartnerschaftlich einbinden. Den Gegenpol zu dieser Haltung bildete ab den 1980er-Jahren die aus England adaptierte Hooligan-Kultur. Für Hools ist es schlicht eine Verarschung, sich zur Staffage eines fremdbestimmten Stadionerlebnisses zu machen.

Dem stellen sie ihr eigenes Erlebnis gegenüber, das hauptsächlich darin besteht, sich außerhalb der Stadien nach festen Spielregeln mit gegnerischen Hooligans zu prügeln. Medial besondere Aufmerksamkeit erhielt das Phänomen, da sich immer mal wieder Rechtsanwälte, Steuerberater und andere gutsituierte junge Männer als Feierabendrabauken outeten. „Diese Hooligans haben zwei Identitäten: eine bürgerliche Alltagsidentität und ihre subkulturelle Hooliganidentität“, schrieb der Fanforscher Gunter A. Pilz.

Ultras

Die Ultras sind zwar genauso erlebnisorientiert wie die Hooligans, aber sie verlegen das Geschehen wieder ins Stadion. Ihr Aufkommen in Deutschland Ende der 90er-Jahre verdankte sich unter anderem der damaligen schlechten Stimmung in den Stadien. Nicht zuletzt während der Weltmeisterschaft 1990 lernten deutsche Fußballfans die italienische Ultra-Kultur mit Gesängen, Choreografien und Pyro-Shows kennen.

Sie grenzten sich bewusst von den passiven, konsumierenden Zuschauern ab und begannen, sich selbst als wichtigen Teil des Spiels zu inszenieren. Ul­tras identifizieren sich zwar mit ihrem Verein, pflegen im Unterschied zu den Kuttenfans aber eine kritische Distanz zur Klubführung – erst Recht zu Medien, Polizei und den Fußballverbänden. In ihren Organisationen arbeiten sie gegen den Ausverkauf des Fußballs und verschärfte Sicherheitsmaßnahmen.

Große Unterschiede

Im Gegensatz zu Teilen ihrer italienischen Vorläufer haben die deutschen Ultras in der weit überwiegenden Mehrheit nichts mit rechtem Gedankengut gemein, sondern tendieren zu einer antirassistsichen Haltung, die in manchen Stadien – wie in Bremen – explizit gelebt wird.

Insgesamt unterscheidet sich die politische Färbung der Fanszenen in Deutschland regional genauso stark wie ihre Neigung zu gewaltsamen Auseinandersetzungen oder ihre Fähigkeit, ihren Verein auch in Krisensituationen zu unterstützen.

Neben den hier skizzierten gibt es noch zahlreiche weitere Fangruppierungen, von kritischen Fans über Supporter bis hin zu Groundhoppern und Mischformen – Forscher wollen sogenannte Hooltras ausfindig gemacht haben. Gemein ist ihnen allen ein Spruch, der einmal von Bremer Fans geprägt wurde und angesichts der aufkeimenden Debatte um Stehplatzverbote wieder an Aktualität gewinnen wird: Sitzen ist für’n Arsch.