LeserInnenbriefe
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Prüft die Verfassungsschützer!

betr.: „Mehr als ernüchternd“, taz vom 22. 6. 17

Ungeachtet seiner sicherlich wertvollen Arbeit kann ich so manche sanften Formulierungen des parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschusses – und aller Ausschüsse davor – nicht mehr ertragen: das sogenannte Versagen der Sicherheitsorgane sei zu „bedauern“, es sei „erstaunlich“ und „höchst problematisch“.

Letztendlich scheinen alle Ausschüsse vor der möglichen Erkenntnis zurückzuschrecken, dass es nicht um Versäumnisse der Ermittler geht, sondern um skandalöses Dulden und bewusstes Vertuschen sowie die Nichtbeachtung von Zeugenaussagen, die nicht dem Narrativ der Ermittlungsbehörden entsprechen. Welches Ziel verfolgt ein Verfassungsschutz, der mehrfach verurteilte Rechtsradikale als V-Männer einsetzt? Weitreichende Erkenntnisse aus dem rechtsextremistischen Umfeld? Wahrheitsgemäße V-Mann-Berichte über menschenverachtende Aktionen der eigenen Kameraden? Jeder einigermaßen klar denkende Mensch weiß, dass diese Strategie zum Scheitern verurteilt ist. Die Auswüchse des NSU und seiner Helfershelfer sind in meinen Augen eine direkte Konsequenz des Einsatzes von V-Männern aus der kriminellen rechtsradikalen Szene.

Es ist Zeit, auch die Gesinnung innerhalb des Verfassungsschutzes unter die Lupe zu nehmen. Die geforderte „rückhaltlose Aufklärung“ wird es jedoch nicht geben, da hierzu Staatsorgane auf den Prüfstand gestellt werden müssten. So weit reicht unsere Demokratie wahrscheinlich nicht.

GABRIELE MEIER-SESKE, Berlin

Menschenkette gegen CDU-Kohle

betr.: „AKW-Gegner überschreiten Grenzen“, taz vom 26. 6. 17

Liebe tazler, eure Berichterstattung über die Menschenkette zwischen Tihange und Aachen hat mir sehr gut gefallen. Für den Protest gegen die belgischen Risse-Reaktoren brauchen wir eigentlich jede Hand; aber ich bin froh, dass ich in der Menschenkette 45 Kilometer von Armin Laschet entfernt stand. Der Schwefel(dioxid)-Geruch war dort nicht mehr so streng. Der künftige Ministerpräsident Laschet hat soeben einen Koalitionsvertrag mit der FDP gezimmert, mit dem der Windenergie in NRW der Garaus gemacht wird. Durch eine Abstandsregelung à la Bayern werden 80 Prozent der Landesfläche von der Windkraftnutzung ausgeschlossen.

Wenn Laschet eine solche Regelung in NRW für geboten hält, dann vermutlich auch in Belgien. Womit sollen die Belgier also ihren Atomstrom ersetzen, wenn nicht durch regenerative Energien? Laschet wird eine Antwort im Ärmel haben: durch Import von Braunkohlestrom aus NRW, Produkt der dreckigsten Art der Stromerzeugung, die es überhaupt gibt. Da ist sie wieder, die lähmende Alternative zwischen Super-GAU und Klimakatastrophe. Kein technisches, kein ökonomisches Dilemma, sondern Zeugnis des erbärmlichen Zustands unserer Partei gebundenen Energiepolitik. Auch dagegen bräuchten wir mal eine Menschenkette, sagen wir, von Düsseldorf bis Berlin? RÜDIGER HAUDE, Aachen

Nächstenliebe nach dem Brand

betr.: „Evakuierungen im großen Stil“, taz vom 25. 6. 17

Was ist von den Sofortmaßnahmen nach dem Großbrand des Londoner Grenfell Tower zu halten? Wer zieht, keine zwölf Tage nach dem verheerenden Ereignis, einen Nutzen aus dieser schlimmen Brandkatastrophe? Wem dienen diese unangekündigten, aber durchaus gut geplanten „Massenevakuierungen“ wirklich? Dient diese unglaubliche Sofortmaßnahme tatsächlich ausschließlich dem Schutz der betroffenen Bewohner? Das wird behauptet und bleibt auch zu hoffen, aber ich bin mir nicht sicher.

Wer bezahlt eigentlich die anstehenden Arbeiten? Bekommt etwa der Eigentümer/Besitzer des in Brand geratenen Kühlschranks, der Hersteller des Kühlschranks, der Hersteller der brennbaren Dämmmaterialien, der Auftraggeber des Anbaus der brennbaren Dämmmaterialien oder der Staat die Rechnungen? Und wer bekommt überhaupt das viele Geld für die umfangreichen Demontagearbeiten von brennbaren Außenfassaden? Vor allem: Wo kommen in England auf einen Schlag die Arbeiter für die auszuführenden Bautätigkeiten her? Hat man etwa sämtliche illegal arbeitenden Dachreiniger aus Deutschland und dem Rest Europas abgezogen und zurück auf die Insel beordert? Das sind Fragen, die sich aber scheinbar kaum jemand stellt. Der Schock sitzt in England und im Rest der Welt sicher noch tief, und man freut sich über die eingeleiteten Aktivitäten; doch aus reiner Nächstenliebe wird vermutlich nicht gehandelt. Wenn doch, wäre das ein völlig neuer – durchaus anzustrebender – Ansatz in unserer heutigen Welt. HEIKO MITTELSTAEDT, Hemsbach

Radikalismus wird relativ

betr.: „Zukunft wird aus Neuem gemacht“, taz vom 24./25. 6. 17

„Der oppositionelle Radikalismus-Gedanke ist so was von am Ende“, schreibt Peter Unfried auf Seite 2 Ihrer Wochenendausgabe, und der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, ergänzt auf Seite 3: „Kampfbegriffe bringen nichts.“

Mittlerweile sind die von beiden verschmähten „roten Linien“ so weit in die Mitte gerückt, dass es nur noch Kopfschütteln hervorruft, sie mit „Radikalismus“ oder „plakativen Kampfbegriffen“ zu etikettieren, weil es doch nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch diese Linien – grün oder blau gefärbt – von der Mitte absorbiert werden und sich die Herren Unfried und Rukwied an anderen vermeintlichen „Radikalitäten“ abarbeiten dürfen.

JÖRG BARGMANN, Neuwittenbek