Giftcocktail hinter der Windschutzscheibe

Das Umweltbundesamt in Wien hat Autos von Opel, Mercedes, Renault, Mitsubishi, VW und Alfa getestet. In allen Fahrzeugen wurden gesundheitsschädliche Substanzen festgestellt. Umweltschützer warnen davor, die EU-Chemie-Richtlinie zu verwässern

VON STEPHAN KOSCH

Neue Autos können die Gesundheit gefährden. Dies ergaben Untersuchungen, die der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und seine österreichische Schwesterorganisation „Global 2000“ gestern veröffentlichten. Das Problem: Die Innenraumluft enthält knapp 100 giftige Chemikalien, unter anderem Formaldehyd und Benzol, die als Krebs erregend gelten. Hinzu kommen mehr als 50 flüchtige organische Verbindungen (VOC), die in teils gesundheitsschädlichen Konzentrationen auftreten. „Der Giftcocktail ist Besorgnis erregend“, sagt BUND-Chemieexpertin Patricia Cameron.

Global 2000 hat sechs Neufahrzeuge unterschiedlicher Hersteller getestet. Drei Fahrzeuge – ein Opel Astra, ein Mercedes E 220 und ein Renault Megane – wurden erst gelüftet, dann auf den Scheibeninnenflächen gereinigt und schließlich an einem heißen Sommertag direkt der Sonne ausgesetzt. Drei weitere Autos – ein Mitsubishi Colt, ein Alfa Romeo und ein Golf – standen im Regen. Nach drei Stunden wurden die Innenscheiben mit Baumwolltüchern abgerieben und die Luft abgesaugt. Die Proben hat das Umweltbundesamt in Wien ausgewertet.

Ergebnis: In allen Fahrzeugen lag die VOC-Belastung über dem Referenzwert von 1 Milligramm pro Kubikmeter. Schon diese Konzentration kann Augen- oder Atemwegsreizungen auslösen. Ebenfalls in allen Autos nachweisbar war Benzol, das in jeder Dosierung als „eindeutig Krebs erregend“ gilt. Auf Formaldehyd wurden nur die in der Hitze stehenden Wagen getestet. Der Referenzwert von 1,25 Milligramm pro Kubikmeter, den die US-Umweltbehörde festgelegt hat, wurde bei allen klar überschritten.

Cameron räumt ein, dass der Versuch einer „Stichprobe“ glich. Weil aber in allen Autos die Grenzwerte überschritten wurden, könne man nicht von Einzelfällen ausgehen. Das Problem sei vielmehr, dass für Autositze, Lacke und Kunststoffe Chemikalien benutzt werden, die bereits vor 1981 verkauft wurden. Damals war noch nicht vorgeschrieben, dass sie auf mögliche Gesundheitsschäden überprüft werden mussten. Für Autohersteller, die umweltfreundlichere Chemikalien einsetzen wollten, fehlten daher die notwendigen Informationen. Bis Redaktionsschluss waren von Opel und Mercedes keine Stellungnahmen zu erhalten.

Die Lösung könnte die EU-Chemikalienrichtlinie REACH bringen. Sie soll die Hersteller und Importeure von Chemikalien verpflichten, Sicherheitsdaten über ihre Produkte vorzulegen. Seit 1999 arbeitet die Kommission an der Richtlinie, im November wird das Parlament sie erstmals beraten.

Die Richtlinie ist in zwei Parlamentsausschüssen aber bereits deutlich abgeschwächt worden – auf Druck der Industrie. So sollen etwa Chemikalien, von denen jährlich weniger als zehn Tonnen produziert werden, überhaupt nicht mehr erfasst werden. Damit will die EU kleineren Unternehmen entgegenkommen.

Cameron sieht aber dennoch Chancen für mehr Verbraucherschutz. „Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht zu Ende.“ Eine entscheidende Rolle werde der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments spielen, der sich Anfang Oktober mit REACH befasst. Sollte dieser die „Verwässerung“ ablehnen, gebe es Chancen auf eine strengere Richtlinie – und auf bessere Luft in neuen Autos.