Anschlag am Breitscheidplatz: Licht ins Dunkel bringen

Mehr als sechs Monate nach dem Attentat setzt das Parlament heute einen Untersuchungsausschuss zum Fall Amri ein. Die taz beantwortet die wichtigsten Fragen.

Ein halbes Jahr nach dem Anschlag am Breitscheidplatz startet nun ein Untersuchungsausschuss Foto: dpa

Am heutigen Donnerstag beschließt das Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag am Breitscheidplatz. Warum?

Der Ausschuss soll „das Ermittlungsvorgehen im Zusammenhang mit dem Terroranschlag am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 untersuchen“ – so steht es lapidar im gemeinsamen Antrag von SPD, Linkspartei und Grünen sowie CDU und FDP. Mit dem Antrag verbunden sind konkrete 105 Fragen.

Die AfD unterstützt das nicht?

Die AfD will den Ausschuss auch, hat aber einen eigenen Antrag vorgelegt.

Gibt es nicht schon eine Untersuchung durch den Senat?

Richtig. Anfang April hat Innensenator Andreas Geisel (SPD) den früheren Bundesanwalt in Karlsruhe, Bruno Jost, zum Sonderermittler berufen. Er hat seine Arbeit am 15. April aufgenommen.

Aber keine Resultate geliefert?

Die CDU kriegt den Ausschuss-Vorsitz, die AfD den Stellvertreterposten.

Im Gegenteil. Jost ist nach nur wenigen Wochen auf Dokumente gestoßen, die im Landeskriminalamt (LKA) nachträglich manipuliert wurden. Darin werden Erkenntnisse über den Umfang von Amris Drogengeschäften aus der Zeit vor dem Anschlag verharmlost. Wie Jost am Montag im Innenausschuss mitteilte, hat ein Kriminaloberkommissar am 19. Januar 2017 einen Bericht vom 1. November 2016 gefälscht.

Der Anschlag, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen und mehr als 60 teils schwer verletzt wurden, hätte also verhindert werden können?

Wahrscheinlich. Jost betonte, mit den schwereren Vorwürfen gegen den späteren Attentäter wären im November, also einen Monat vor dem Anschlag, ein Haftbefehl und eine Inhaftierung möglich gewesen. Damals geschah aber nichts.

Und warum braucht es jetzt noch eine Untersuchung?

Genau wegen dieser Erkenntnisse des Sonderermittlers – sagen SPD, Linke und Grüne. Wenige Tage nachdem Geisel Mitte Mai den Fälschungsverdacht öffentlich machte, verständigten sie sich auf den Untersuchungsausschuss. Zuvor hatten SPD, Linke und Grüne, aber auch die CDU einen solchen Ausschuss stets als überflüssig abgelehnt, unter anderem mit dem Argument, dass die Informationsarbeit von Innensenator Geisel so ausgesprochen gut sei. Mit Josts Erkenntnissen habe sich allerdings die „Sachlage geändert“, sagte damals der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Torsten Schneider.

Und Jost ist nun überflüssig?

Nein. Erst im Oktober soll er seinen Schlussbericht vorlegen. „Ich bin ja dankbar, dass der Sonderermittler da ist. Er ist erfahrener als jeder Abgeordnete“, sagt der CDU-Parlamentarier Burkard Dregger, der den Ausschuss leiten wird.

Warum wurde ein CDUler damit beauftragt?

Ganz banal: Die CDU-Fraktion ist nach dem im Berliner Parlament üblichen Verfahren schlicht dran mit dem nächsten Ausschussvorsitz.

Im Oktober soll der Sonderermittler des Senats Bilanz ziehen.

Wer ist dieser Burkard Dregger?

Als innenpolitischer Sprecher und Parteivorstandsmitglied eine wichtige Figur der erneuerten CDU in der Post-Henkel-Zeit. Sein Vater, Alfred, war Fraktionschef im Bundestag.

Wie groß ist denn der Ausschuss?

Insgesamt zwölf Abgeordnete: drei SPDler, je zwei von der CDU, Linkspartei, den Grünen und der AfD und einer von der FDP.

Und was kann er tun?

Untersuchungsausschüsse gelten als schärfste Waffe des Parlaments zur Kontrolle der Regierung. Jene kann sie nicht mit ihrer Parlamentsmehrheit abblocken: Ein Viertel der Abgeordneten reicht aus, um einen Ausschuss durchzusetzen. Der Ausschuss hat das Recht, das Erscheinen von Zeugen zu erzwingen, im Falle einer ungerechtfertigten Zeugnisverweigerung ein Ordnungsgeld festzusetzen oder die Person in Haft nehmen zu lassen. Wie vor einem Gericht sind Falschaussagen mit Strafe bedroht.

Wollen wirklich alle Parteien die Missstände aufdecken?

Davon kann man hier ausgehen. Anders als etwa in der vergangenen Legislaturperiode beim Untersuchungsausschuss zu den Pannen am BER, für die SPD und CDU ja zu guten Teilen politisch verantwortlich sind, betrifft das Fehlverhalten wahrscheinlich nicht Politiker der Parteien, sondern die Polizei.

Die untersucht ja selbst.

Stimmt. Eine interne Taskforce soll die Aktenmanipulation bei der Kriminalpolizei aufklären. 14 Beamte würden „jeden Stein, jedes Blatt, jede Datei“ nach dem Vieraugenprinzip umdrehen, hat Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) im Innenausschusses angekündigt.

Kommen sich die drei Ermittler nicht in die Quere?

Das wird vielfach befürchtet, schließlich wollen sie die gleichen Akten auswerten. Allerdings arbeiten zumindest Jost und der Ausschuss nur kurze Zeit parallel. Richtig mit der Arbeit beginnen werden die Abgeordneten erst nach der Sommerpause im September.

Wie, geht es erst dann los?

Nein, der Ausschuss soll das erste Mal am 14. Juli tagen und dabei schon sogenannte Beweiserhebungsbeschlüsse fassen. Danach ist Aktenlesen angesagt.

Ist das nicht eine reine Schaunummer für die AfD?

Tatsächlich wird interessant zu beobachten sein, wie intensiv und seriös sich die AfD an der Ausschussarbeit beteiligt – schließlich gilt innere Sicherheit als eines ihrer wenigen Kernthemen: Ihr Abgeordneter Karsten Woldeit wird Vizevorsitzender. Wesentlich offensiver ist bisher die FDP aufgetreten. Die CDU hingegen war immer eher auf Linie von Rot-Rot-Grün – erklärbar ist das damit, dass das wesentliche Versagen der Ermittlungsbehörden passierte, als der zuständige Innensenator noch Frank Henkel hieß.

Wie lange soll der Ausschuss recherchieren?

Solange er es für nötig hält, um den Untersuchungsauftrag zu erledigen – aber längstens bis zum Ende der Wahlperiode im Jahr 2021. Der U-Ausschuss zur Staatsoper arbeitete rund ein Jahr, der zum BER hingegen von 2012 bis 2016.

Kann man da etwas Bahnbrechendes erwarten?

Der Koalition zufolge geht es beim Ausschuss um mehr als Aufklärung: Man will strukturelle Probleme bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden erkennen und über Konsequenzen im Parlament diskutieren. Jedoch ist die Arbeit eines U-Ausschusses meist langwierig; weshalb das Medienin­teresse oft schnell schwindet.

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