Uran-Arbeitslager in Tschechien: Die Hölle im Erzgebirge

Mukl – so nannten sich die Häftlinge von Jáchymov, die für die sowjetische Atombombe Uranerz schürften. Viele von ihnen überlebten nicht.

ein langgestrecktes Gebäude, das von einem hohen Turm mit Fenstern überragt wird. Die Bauten sind aus rotem Ziegel

Der „Rote Turm des Todes“ – wer hier Uranit abfüllte, war verloren. Vor allem Priester mussten hier arbeiten Foto: Alexandra Mostyn

JÁCHYMOV taz | „Ich will mir das Elend gar nicht ansehen! Ich muss nur weinen“, sagt Zdeněk Mandrholec und schaut die Straße hoch, die sich durch das böhmischen Erzgebirgsstädtchen Jáchymov zieht. Dort oben, vor der Kirche des heiligen Joachim, dem Patron der Stadt, stehen 16 Gedenksteine. Es ist ihr verwahrloster Zustand, der den 86 Jahre alten Zdeněk Mandrholec aufbringt. Der Sandstein ist so verwittert, dass man nur noch mit Mühe die Inschriften lesen kann: Mariánská, Rovnost, Svornost. „Das ist eine Schande, dass keiner dieses Mahnmal pflegt“, schimpft Mandrholec, der, die Augen hinter einer schwarzen Brille, sich dann doch entschließt, die Steine zu betrachten.

Sie sind Erinnerung an die Zeit, in der der Stalinismus die stolze Bergbaustadt fest im Griff hatte. War es das Silber, das Jáchymov – bis 1945 Sankt Joachimsthal – berühmt machte, so war es das Erz Uranit, das es im 20. Jahrhundert in Verruf brachte. Jeder der Steine steht für einen der 16 Uran-Gulags, in denen zwischen 1948 und 1961 knapp 100.000 Häftlinge, größtenteils politische, für die sowjetische Atombombe schufteten. Zwölf davon waren rings um Jáchymov versteckt.

Die Häftlinge selbst nannten sich, mit einem ein Hauch Schwejk’schen Galgenhumors, „Mukl“. Das steht für Muž určeno k likvidaci – ein „zur Liquidation bestimmter Mann“. In den Minen starben offiziell etwa 500 Menschen, durch Unfälle, sie wurden ermordet oder nahmen sich das Leben. Wie viele den Spätfolgen der Radioaktivität erlagen, ist nicht bekannt.

Auch Zdeněk Mandrholec war ein Mukl. Die Kommunisten, die ihn und seine Mutter nach der Machtübernahme 1948 aus der Wohnung jagten, um sie einem ihrer Funktionäre zu geben, verabscheute er zutiefst. Eigentlich wäre er als junger Mann emigriert, nur wollte er seine Familie nicht zurücklassen. Stattdessen wurde er eingezogen. „In der Armee war ich dann Teil einer kleinen Widerstandsgruppe und flog auf“, erzählt Mandrholec. Er wurde zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt und kam nach Jáchymov.

Zu mager für die Zwangsarbeit

Arbeitslager, das bedeutete Achtstundenschichten täglich unter Tage. Und Hunger. „Das Essen bestand aus Minirationen wässriger Suppe. Erst als die Sow­jets merkten, dass wir kaum fähig waren zu arbeiten, wiesen sie die tschechischen Aufseher an, die Rationen zu erhöhen.“ Bei seiner Verurteilung war Mandrholec 23 Jahre alt. „Mit dem Urteil verlor ich auch mein Eigentum und meine Bürgerrechte“, sagt er und zeigt mit seinem Gehstock auf den Stein, der den Namen „Nikolaj“ trägt.

„Das war mein erstes Lager“, sagt Mandrholec, das nächste heißt Mariánská. „Das war das perfideste, zu dem gehörten zwei Minen namens Adam und Eva“, weiß Mandrholec. „Ursprünglich ein Kapuzinerkloster, hatte es die Staatssicherheit zu einer Folterkammer umgewandelt.“ Besonders brutal sollen dort Frauen gefoltert haben – ihre Spezialität „Tomatenpüree“: Ein Häftling wurde nackt an die Decke gehängt, dann schlugen sie ein nasses Handtuch um seine Hoden, um es kräftig auszuwringen. „Die Schreie konnte man im ganzen Lager hören.“

Michael Rund, Museum Sokolov

„Es behaupten immer noch Leute, in Jáchymov habe es keine Lager gegeben“

Mandrholec selbst hatte in der Mine Eva einen Unfall, dessen Nachwirkungen er bis heute spürt. „Bei dem schlechten Licht da unten bin ich auf einen Nagel getreten, der sich bis zum Knöchel durch meinen Fuß bohrte“, erzählt er. Dass der Unfall glimpflich ausging, verdanke er vor allem dem behandelnden Arzt, sagt Mandrholec. „Jan Šmíd, auch ein Mukl. Er war zu 23 Jahren verdammt worden, er war der Leibarzt des zweiten tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš.“

Dunkel, nass beengt

„Das Erzgebirge ist wie ein Emmentaler Käse. Irgendjemand hat mal 1.100 Stollen gezählt“, sagt Michael Rund und begrüßt Zdeněk Mandrholec. Die beiden kennen sich, seitdem Mandrholec als Zeitzeuge an Projekten des Museums Sokolov, das Michael Rund verwaltet, auftritt. „Bei Stollen eins handelte es sich um einen Stollen, in dem die Mukl 1951 erfolglos nach Uran gesucht haben.

Seit 2008 wird er nun von unserem Museum betrieben“, erzählt Rund. Auf etwa 360 Meter kann man sich vorstellen, wie das Leben eines Mukl ausgesehen haben muss: dunkel, nass und beengt. „Es gibt auch heute immer noch Leute, die behaupten, in Jáchymov habe es keine Lager gegeben. Daher ist es besonders wichtig, dass wir hier Beweisstücke ausgestellt haben, die von den Lagern zeugen“, meint Rund und hält ein Stück Stacheldraht in die Höhe.

Das Programm: Nach den US-amerikanischen Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki forcierte Moskau die Entwicklung einer Atombombe und suchte Uran, fündig wurde man im Erzgebirge. Bereits 1945 wurde das tschechoslowakisch-sowjetische Uranabkommen ratifiziert.

Die Lager: Um Jáchymov entstanden 12 Lager, wo über 70.000 politische Gefangene Zwangsarbeit leisteten. 1961 wurde der Abbau beendet. Auf deutscher Seite entstand 1947 die Wismut AG, ein bis 1990 von Moskau kontrolliertes Unternehmen.

Hoch über Stollen eins thronte einst das Lager Svornost, zu Deutsch: Eintracht. Abgeschirmt im Wald, war es nur über eine lange Treppe zu erreichen. Die wurde von den Häftlingen „Mauthausen-Treppe“ genannt. „So richtig genau weiß es heute keiner mehr, aber wir schätzen, dass der Name von Mukl kam, die während der Nazizeit im KZ Mauthausen inhaftiert gewesen waren. Und ehemalige KZ-Häftlinge gab es in den Uran-Gulags genug“, sagt Rund. Wie fließend die Übergänge waren, zeigt die Losung, die über dem Tor der Uran­lager prangte und die auch heute wieder den Eingang zum Lager Svornost markiert: „Prácí ku svobodě – Arbeit macht frei“.

„Die Sowjetunion, unser Vorbild“

„An diesen Spruch kann ich mich persönlich nicht mehr erinnern“, sagt Zdeněk Mandrholec. Sein Blick schweift über das Gelände, auf dem einst das Lager stand, in dem er am längsten schuftete, Rovnost – Gleichheit– liegt tief in den Bergen über Jáchymov. „Hier gab es einen anderen Spruch: ‚Die Sowjetunion, unser Vorbild‘“, sagt Mandrholec. Noch während seiner Lagerzeit wurde die Losung abmontiert. „Wir Mukl machten uns darüber lustig, denn für uns war die Sowjetunion nichts weiter als ein Vorbild für die Versklavung von Menschen. Irgendwann hat das die Lagerleitung auch gemerkt.“

„Hier ist ein Trampelpfad, der ist neu“, ruft Tomáš Bouška und zeigt auf ein Stück ausgetretenes Gras, das zu einer Lichtung führt. Bouška ist ein hochgewachsener Mittdreißiger, der in Prag als Projektmanager und Hochschuldozent arbeitet. Der promovierte Politologe hat es zu seinem Projekt gemacht, die Geschichte von Jáchymov dem Vergessen zu entreißen. Auf der kleinen Lichtung steht heute noch die Ruine der Umkleidebaracke. Gleich nebenan erstreckt sich auf dem Lagergelände eine Ferienhaussiedlung.

Mit seiner Initiative političtí věžní.cz, Politische Gefangene.cz, sammelt Bouška Material zu Jáchymov, die er auf der Website veröffentlicht, bringt Zeitzeugen in Schulen und organisiert Exkursionen. „Der Lehrpfad und auch das Freilichtmuseum im Lager Svornost sind ein guter Anfang“, meint Bouška.

Im Turm des Todes

Das Symbol der Uranlager von Jáchymov steht im Tal: der Rote Turm des Todes. In sechs Etagen wurde dort Uranit gemahlen, verpackt und auf Züge verladen, die ihre strahlende Fracht direkt in die Sowjetunion brachten. Ohne Schutz, meist mit bloßen Händen, mussten die Häftlinge mit dem radioaktiven Erz arbeiten. Wer dort radioaktiven Staub einatmete, den schrieb das Regime ab. Hier war ein Mukl tatsächlich „frei zur Liquidierung“. Ein Drittel der Häftlinge, die dort arbeiteten, waren Geistliche.

Der rechteckige Backsteinturm gilt heute als Nationales Kulturdenkmal, zu besichtigen ist er aber nicht einmal von außen. Der Turm steht in einem geschlossenen, gut bewachten Industriegebiet. „Ohne Erlaubnis der Konföderation politischer Gefangener darf niemand zum Turm“, bellt eine alte Frau am Eingang.

Die Konföderation politischer Gefangener, kurz KPV, ist ein Zusammenschluss der Mukl, der nach der Wende gegründet wurde. Den Verein umgibt ein Hauch Obskurität. So ist etwa belegt, dass ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit zu den Gründungsmitgliedern gehören. Doch inzwischen sind die Kräfte der Konföderation erlahmt. Bei einem Durchschnittsalter von 80 Jahren lichten sich die Reihen. Auch Zdeněk Mandr­holec, obwohl selbst prominentes Mitglied der Konföderation, darf heute nicht an den Turm. Er zuckt mit den Schultern, er wird eh bald wiederkommen, zur Kranzniederlegung beim alljährlichen Gedenken.

Mandrholec hat es nicht weit. Als er sechs Jahre nach seiner Verhaftung 1960 dank einer Amnestie dem Lager entkommt, ließ er sich im benachbarten Karlsbad nieder. „Damals wog ich noch 49 Kilo“, sagt Mandrholec. Knapp 30 Jahre alt, hatte er seine Lebenslust verloren und konnte nicht mehr essen. Ein befreundeter Arzt empfahl ihm, er solle jede der zwölf Karlsbader Quellen ausprobieren. Deren Wasser ihm am besten bekomme, von der sollte er so viel trinken, wie er kann, erinnert sich Mandrholec: „Nach drei Monaten konnte ich wieder essen. Und erst dann fiel mir der Name dieser Quelle auf: Freiheit.“

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