Kommentar Österreichs Grenzpolitik: Ein zweites Idomeni in Südtirol?

Österreich will den Brenner gegen Flüchtlinge abriegeln. Das ist nicht nur asylpolitisch Unsinn, sondern könnte auch das Verhältnis zu Italien belasten.

Ein Grenzübergann mit Polizisten

„Yes to Europe – No Borders“ – so wurde im April 2016 an Österreichs Grenze demonstriert Foto: dpa

Kampfpanzer am Brenner? Ein zweites Idomeni in Bozen oder Brixen? Noch ist es nicht so weit. Doch Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) hat am Dienstag die italienische Regierung alarmiert, als er ankündigte, bis zu 750 Bundesheersoldaten seien „zeitnah“ verfügbar, um die Grenze zu Italien abzuriegeln.

Und Außenminister Sebastian Kurz, seit wenigen Tagen offiziell Vorsitzender der konservativen ÖVP, legte bei einem Besuch in Tirol nach: „Wir bereiten uns vor und werden unsere Brenner-Grenze schützen, wenn es notwendig ist“.

Der Wahlkampf für die vorgezogenen Nationalratswahlen am 15. Oktober hat längst begonnen und die zerstrittenen Regierungsparteien wetteifern darum, welche die Flüchtlingsabwehr effizienter betreibt. Da darf auch die symbolisch und emotional aufgeladene Brenner-Grenze nicht ausgespart bleiben. Den Zorn heimkehrender Italien-Urlauber, die mit mehr als einer Stunde Wartezeit rechnen müssten, nimmt man in Kauf.

Selbst am Höhepunkt der Flüchtlingswelle von 2015 hatte man auf Absperrungen an dieser Grenze verzichtet. Denn der Brenner ist nicht nur ein Nadelöhr der wichtigsten Nord-Süd-Frachtenroute, sondern auch eine Innertiroler Grenze, die jahrzehntelang daran erinnerte, dass das Bundesland geteilt ist. Südtirol musste ja nach dem Ersten Weltkrieg an Italien abgetreten werden.

Absurder Aktionismus

Letztlich erfolgreiche Autonomieverhandlungen prägten zwei Generationen lang das österreichisch-italienische Verhältnis. Seit Österreichs EU-Beitritt 1995 gibt es diese Grenze nicht mehr.

Die Vorstellung, dass demnächst mitten in der Urlaubssaison zehntausende afrikanische Bootsflüchtlinge durch Kärnten und Tirol marschieren und die Bevölkerung knapp vor den Wahlen verunsichern könnten, löst bei den Politikern aber Aktionismus aus. SPÖ-Chef Christian Kern muss man zugute halten, dass er die scharfe Linie seines Verteidigungsministers nicht teilt. Zurückgepfiffen hat er ihn aber nicht. Man spielt good cop – bad cop.

Kern hat erst am Montag wieder europäische Solidarität mit Italien eingemahnt und alle Mitgliedsstaaten aufgerufen, ihre Quote an Flüchtlingen zu übernehmen. Da dieser Aufruf ungehört verhallen wird, haben weiter die Scharfmacher das Sagen.

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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