Slowenische Lufttaxis: Da fliegt ein Auto

Eine slowenische Firma mit 144 Mitarbeitern will den Verkehr revolutionieren: Sie baut Lufttaxis – zusammen mit Uber.

Drei Flugzeuge stehen auf einer Wiese nebeneinander. Im Hintergrund ein Berg

Noch heben auf dem kleinen Flughafen von Ajdovščina nur Ultraleichtflugzeuge ab Foto: Pipistrel

AJDOVščINA taz | Nach Ajdovščina in Slowenien geht es auch über den Luftweg. In der Kleinstadt gibt es einen Flughafen für Ultraleichtflugzeuge. Heute aber droht ein Gewitter, zu windig zum Fliegen. Nach Ajdovščina kann man aber auch mit dem Auto fahren, das kleine Städtchen liegt an der häufig überlasteten Schnellstraße H4, die das schon an der italienischen Grenze gelegene Novo Gorica mit der Hauptstadt Ljubljana verbindet. Heute staut es sich mal wieder.

Warum aber überhaupt nach Ajdovščina reisen? Weil hier ein Luftfahrtspezialist ­beheimatet ist, mit dessen Know-how womöglich der Transport der Zukunft revolutioniert wird: mit fliegenden Autos. Pipistrel heißt der Hersteller von Ultraleicht­flugzeugen, der aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit Elektroantrieben das Inte­resse von Uber erregt hat. Uber, das kalifornische Unternehmen – Börsenwert schätzungsweise 68 Milliarden Dollar –, der mit der Onlinevermittlung von Fahrdiensten groß wurde, ist nun eine Partnerschaft mit Pipistrel (144 Mitarbeiter) eingegangen.

Gemeinsam wollen Goliath und David einen Senkrechtstarter entwickeln, der in Großstädten als Lufttaxi fungieren soll – Nie wieder Stau am Großstadtboden. Uber kümmert sich um die Logistik, Pipistrel und weitere Partnerunternehmen, da­runter der bekannte Helikop­ter­hersteller Bell, sollen die Taxis liefern, die wie große Freizeitdrohnen aussehen werden, mit ihren waagerecht stehenden Propellern. Sogenannte VTOLs, die Abkürzung steht für „vertical takeoff and landing“, wurden bislang nur von der Darpa entwickelt, der Forschungseinrichtung des US-Verteidigungsministeriums. Aber wenn es nach Uber geht, wird der erste Pro­be­ver­kehr bereits 2020 in den Pilotstädten Dallas und Dubai aufgenommen.

Ivo Boscarol, der Patron von Pipistrel, war gerade in Dallas, nun ist er zurück in der energieeffizient gestalteten Firmenzentrale. Neben dem Pfört­ner­häus­chen hat jemand sein Tomos-Mofa abgestellt. Ein slowenischer Hersteller, der zu Jugo-Zeiten Autos nach Lizenz von Citroën baute.

Ivo mit der Queen

Ivo Boscarol und seine Geschichte kennt in Slowenien jedes Kind, dem Besucher wird sie von „Ivos“ Tochter erzählt, Taja Boscarol, einer jungen Frau mit auffälligem Piercing unterhalb der Unterlippe. Sie war schon oft beim „Wacken-Festival“, spricht aber anders als viele Slowenen kaum Deutsch, dafür exzellent Englisch: Als noch junger Mann hatte ihr Vater, der sich ursprünglich für Modellflug interessiert hatte, illegal Ultraleichtflugzeuge nach Jugoslawien geschmuggelt, Stück für Stück in Einzelteilen. Heimlich, in der Abenddämmerung flogen er und seine Kumpels mit den Gleitern durch die Lüfte, von den Bewohnern Ajdovščinas wurden sie daher Fledermäuse genannt, „Pipistrelli“ im Dialekt der Grenzregion zu Italien.

Ivo Boscarol, CEO Pipistrel

„Emissionsfreie Elek­tromobilität, das ist das Entscheidende, das ist die große Vision, die alle eint“

Gerade erst hat er, Ivo, im Nachbarland eine zweite Fabrik eröffnet, die Produktion kann nun verdoppelt werden – aber dabei soll es nicht bleiben. Auf dem Weg zu Boscarols Büro geht es vorbei an Schaukästen mit ­Ehrenzeichen und Erinnerungfotos: der Verdienstorden des Landes Slowenien. Ivo mit der Queen, Ivo mit Steve Morse von Deep Purple – und Ivo mit Larry Page von Google.

Schon immer wolle Ivo hoch hinaus. Und schon immer fand er, dass Grenzen dazu da sind, überwunden zu werden. „Meine Mutter hat hier in diesem Ort immer in einem Haus gewohnt – aber in sieben verschiedenen Ländern“, sagt Ivo Boscarol und spielt auf die Vergangenheit seines Landes an, das gerade 25 Jahre Unabhängigkeit gefeiert hat. Sein Händedruck ist kräftig. Er trägt keinen Bart mehr wie auf den Bildern in seiner Hall of Fame. „Aber wissen Sie was – die Europäische Union, das ist der größte Bluff in der Geschichte. Es gibt keine Europäische Union, schreiben Sie das ruhig. Wir haben nicht mal eine gemeinsames Militär – und wenn ich von hier aus nach Italien fliegen möchte, muss ich lauter Genehmigungen einholen.“ Ivo Boscarol ist ein großer Mann, zu groß für ein herkömmliches Flugzeugcockpit.

Drei Flugzeuge stehen auf einer Wiese nebeneinander.

Die Ultraleichtflugzeuge bestehen – logisch – aus ultraleichten Materialien, Kunststoffen, die geklebt werden Foto: Pipistrel

Mit seinen knapp sechzig Jahren ist Boscarol, Ivo, der es mit seinen kleinen Flugzeugen zu großem Erfolg gebracht hat, nun bereit, noch einmal ganz neue Wege zu gehen. Zusammen mit einem Giganten, Uber: „Emissionsfreie Elektromobilität, das ist das Entscheidende, das ist die große Vision, die alle eint. Es geht um eine völlig neue Transportindus­trie“ sagt er. Ja, er kennt auch all die Kritikpunkte: die Akkureichweite, die Sicherheit: Wer regelt den Luftverkehr, wenn plötzlich hunderte VTOLs über die Großstädte schwirren? Was, wenn Hacker sie in bemannte Terrorwaffen verwandeln?

„Die Technik ist da, wir können es machen“ sagt Boscarol. Während man in seiner Heimat gerade darüber streitet, ob die Haupteisenbahnlinie zwischen Kernland und Küste ein zweites Gleis bekommt und man mit dem Nachbarn Kroatien erbittert um zwei Seemeilen Meeresgewässer ringt, die Slowenien den Zugang zur Hochsee sichern sollen, schweift Boscarols Blick eher in Richtung China. Dort hat er gerade einen 350-Millionen- Euro-Deal eingefädelt hat, seine Flugzeuge sollen zukünftig auch in China hergestellt werden.

Auch wenn dereinst Lufttaxis in großer Stückzahl gebaut werden sollten, würde er die Firmenzentrale gerne in Slowenien belassen, das ihn bislang nicht nur mit Orden, sondern auch mit Subventionen bedacht hat; der „hohen Lebensqualität wegen“ sagt er, „es gibt hier nicht nur gutes Essen, sondern auch soziale Sicherungssysteme“. Gleichzeitig, so räumt er ein, sei eine Massenproduktion in Europa wohl zu teuer.

Pipistrel gegen Airbus

Wie groß die Wurst ist, um die es hier geht, zeigt eine vordergründig kleine Posse, die sich Anfang dieses Jahres zugetragen hat. David dieses mal gegen Goliath, Pipistrel gegen Airbus: Als sich ­Pipistrel anschickte, als Erster den Ärmelkanal mit einem Elektroflugzeug zu überqueren, sorgte Airbus dafür, das Pi­pistrel die eingebauten Siemens-Elektromotoren nicht zu diesem Zweck benutzen durfte. Plötzlich fehlte die Genehmigung, mit dem Motor über Wasser zu fliegen – Airbus gewann. Der Hintergrund: Victor de la Vela, der Strategiechef von Airbus, lässt gerade gleich mehrere Teams an Konzepten für Flug­taxis arbeiten – das Airbus-Modell „Pop.Up“ sieht aus wie ein Kleinwagen, mit Propellern. „Airbus hat aber hauptsächlich Siemens damit geschadet – nun glaubt jeder, dass man mit deren Elektromotoren nicht über Wasser fliegen kann“, sagt Boscarol in seinem stark slowenisch eingefärbtem Englisch.

In Ajdovščina werden seit dieser Auseinandersetzung Elek­tro­motoren anderer Hersteller verbaut. Taja Boscarol, Tochter und PR-Frau des Hauses, übernimmt die Führung durch den Betrieb, in dem mit Hightech und Händen gearbeitet wird. Einzelteile, ob groß oder klein, werden mithilfe von 3-D-Druckern und Fräsrobotern hergestellt und dann manuell zusammengesetzt.

Die Ultraleichtflugzeuge bestehen – logisch – aus ultraleichten Materialien, Kunststoffen, die geklebt werden. Die Arbeitsatmosphäre wirkt locker, coole Jungs schrauben zu den Klängen von Heavy Metal an Flugzeugen herum, doch das Qualitätsmanagementsystem wurde von Toyota übernommen. Jede Schraube wird hier gewogen, jeder Vorgang überprüft.

Kritiker zweifeln

Ivo Boscarol hatte es schon 1987 geschafft, zu bekommen, was er will. Den seinerzeit jugoslawischen Behörden trotzte er eine Genehmigung für Flugzeugproduktion ab. Richtig erfolgreich wurde er dann Mitte der Neunziger mit dem ersten aerodynamisch gesteuerten Pipistrel Sinus – einem Ultraleichtflugzeug, das wie ein „richtiges“ Flugzeug daherkommt, das man aber ohne den entsprechend aufwendigeren Flugschein steuern darf.

Chatverläufe, Likes sammeln und Selfie-Sticks: Das Smartphone wird zehn. Die taz.am wochenende vom 22./23. Juli zeigt, wie sich durch Wischen und Snappen die Welt von Kindern und Jugendlichen verändert hat. Außerdem: Ein Gespräch mit Barbaros Şansal, türkischer Modedesigner und Aktivst über die First Lady Emine Erdoğan und Fäkalsprache. Und ein Selbsttest: fleischloses Wurstvergnügen zur Grillsaison. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nichts kann Ivo stoppen – „Sie haben ja vielleicht schon mitbekommen, dass er stur sein kann“, sagt Tochter Taja –, außer vielleicht das Bundesluftfahrtamt. Während man im Silicon Valley bereits vollmundig von der „Demokratisierung des Luftraums“ schwärmt, hat Uber etwa in Deutschland noch erhebliche Probleme mit dem Personenbeförderungsgesetz. Kritiker bezweifeln, das Lufttaxis die Zukunft sind. Der hohe Energieverbrauch, der Wind, das Chaos in der Luft. Was, wenn sich all die grandiosen Pläne am Ende als Luftschloss erwiesen?

Viele Menschen haben zudem eine nicht unerhebliche Angst vor dem Fliegen. Aber dafür hat man in Ajdovščina schon jetzt eine Lösung, die auch in der Zukunft funktionieren würde. Jedes der Pipistrel-Fluggefährte verfügt über einen eingebauten Fallschirm, der im Notfall Gerät und Passagiere sanft zum Erdboden zurückgleiten ließe.

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