Soziologe über linke Technikstrategien: „Wir überlisten die Algorithmen“

Was ist linke Technik? Mit dieser Frage beschäftigt sich Richard Barbrook. Ein Gespräch übers Silicon Valley und linken Wahlkampf.

Ein Kinderdreirad steht auf einem Haufen Platinen

Die Linke muss sich die Technik aneignen, die sie ermächtigt und die zerstören, die sie unterdrückt Foto: reuters

taz: Herr Barbrook, englische Medien schreiben, dass Sie Jeremy Corbyns „Medienguru“ seien und die Labour Partei aus der Versenkung geholt hätten. Jetzt wollen Sie den digitalen Kapitalismus demokratisieren und haben das „Digital Democracy Manifesto“ für Labour verfasst. Worum geht es da?

Richard Barbrook: Menschen wollen ihre Informationen teilen, sie wollen sagen: Hier bin ich gerade, das habe ich gelesen, das mag ich. Das Problem ist, dass sie es auf Plattformen machen, die mit diesen Daten immer mächtiger werden, und wir keine Kontrolle über die Daten haben. Wir müssen also über sichere Alternativen nachdenken und eigene Plattformen bauen. In dieser Hinsicht können wir viel von den Amerikanern lernen. Die kriegen einfach den Arsch hoch und bauen solidarische Alternativen zu Uber und Airbnb. Wir von der Labour- Partei interessieren uns sehr dafür, auch, weil es nicht nur unsere Zukunft, sondern auch unsere Vergangenheit ist.

Was meinen Sie damit?

Schon im 19. Jahrhundert war es unser Ziel, eigenständige Arbeiterkooperativen zu bauen. Damals ging es nicht um ein staatliches Wirtschaftsmonopol. Auch Marx hat im dritten Band des Kapitals darüber geschrieben. Stattdessen haben wir leider den Wohlfahrtsstaat bekommen, der zwar für eine kurze Zeit den Lebensstandard angehoben, die Menschen aber nicht ermächtigt hat.

In den 90ern sind Sie schlagartig bekannt geworden mit Ihrer Kritik an der „kalifornischen Ideologie“. Sie beschrieben die Lücke zwischen dem Mythos über die Internetfirmen und dem, was tatsächlich passierte – einen spezifischen Dotcom-Neoliberalismus. Was bedeutet das?

Die große Lüge des Neoliberalismus und ganz besonders der Art, wie er aus dem Silicon Valley kommt, gibt Menschen das Gefühl, sie seien Unternehmer, sie hätten Kontrolle. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das ist ja auch eine Lüge, die man gern glauben möchte. Vor 22 Jahren dachten die Leute, wir wären verrückt, heute wissen das die meisten. Der Begriff ist in Vergessenheit geraten, aber jetzt kommt kein Medienwissenschaftsstudent drumherum, den Text zu lesen.

Die Linke hinkt dem Silicon Valley hinterher. Warum entdeckt sie jetzt die Technik?

Das ist nicht ganz richtig. Auch hier lohnt sich der Blick zurück. Die Ludditen in England waren Textilarbeiter im 19. Jahrhundert, die gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen kämpften und dabei gezielt Maschinen zerstörten. Sie wollten Technik, die sie ermächtigen würde, und zerstörten solche, die sie unterdrückte. Das ist doch das, worum es geht!

Und das wollen Sie mit Labour machen?

Ja, deswegen müssen auch alle Programmieren lernen, bereits in der Schule. Nur so können wir die Vormachtstellung von Konzernen brechen, die ihre Algorithmen und Codes nicht offen legen. Niemand weiß, wie Apple, Facebook und Google funktionieren, und das ist ein Problem. Meine Studenten wissen heute nicht mal, wie ein HTML-Code aussieht, die kennen nur Benutzeroberflächen. Das muss in der Schule unterrichtet werden! Wir wollen die Menschen ermächtigen, sich selber zu ermächtigen. Das ist unser Programm.

Sie bezeichnen sich seit den 90ern als Cyberkommunisten. Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass Sie überhaupt Labour-Mitglied sind.

Ich bin seit 1980 Mitglied. Davor dachte ich, es wäre egal, ob die Tories oder Labour an der Macht sind. Dann wurde Margaret Thatcher Premierministerin. Mir wurde klar, dass die Linke an die Macht kommen muss, und dass es nur so geht. Das hat schon Marx geschrieben: Die Linke braucht eine Partei, in der alle Mitglied sein müssen. Ich habe über drei Jahrzehnte auf den richtigen Moment gewartet, und jetzt ist es endlich so weit.

Ist die Situation heute denn mit der in den 80ern vergleichbar? Auch Theresa May steht für eine neoliberale, rechte Kahlschlagpolitik.

Der Unterschied ist, dass der Neoliberalismus in den 80ern neu und spannend war. Heute hat er seine intellektuelle Ausstrahlungskraft verloren.

Trotzdem ist der Neoliberalismus noch nicht weg. Eine Ihrer Thesen ist, dass die Linke eine gute Medienstrategie braucht, um das allgegenwärtige, neoliberale Narrativ zu durch­brechen.

Alle reden über Filterbubbles und Fake News. Aber die gefährlichste Filterbubble sind die Medien selbst. Mir wurde das erst richtig klar, als Jeremy Corbyn immer beliebter wurde, die Medien ihn aber erst ignorierten und dann auch noch anfingen, ihn schlechtzumachen. Das waren nicht nur die Boulevardmedien von Rupert Murdoch, von denen erwarte ich nichts anderes. Ich spreche von der BBC und dem Guardian. Medien sind eine Echokammer, genau wie die Politik. Journalisten und Politiker gehen alle auf die gleichen Schulen und Universitäten, sie bewegen sich alle in den gleichen Kreisen, sie schrei­ben und denken das Gleiche.

Sie haben es aber geschafft, Corbyn in die Medien zu bringen und auch dort zu halten. Unter anderem mit einem sehr erfolgreichen Social-Media-Spiel – „Corbyn Run“.

Der 24-jährige James Moulding hat das Spiel programmiert. Es ist eigentlich ganz simpel. Corbyn jagt hinter den Bankern und Bürokraten her, nimmt ihnen Geld ab, dann kommen immer mehr Menschen dazu, zum Beispiel Deliveroo-Fahrer, und helfen ihm. Unsere Hashtags wie #VoteLabour waren ebenfalls weit oben in den sozialen Netzwerken. Wir waren mit unserer Strategie erfolgreicher als die Tories, die viel Geld für Social-Media-Targeting ausgegeben und wie die Republikaner Cambridge Analytics für ihren Wahlkampf beauftragt haben. Unsere Inhalte sind authentisch und werden deswegen in den sozialen Netzwerken geteilt, im Gegensatz zu generischen Wahlkampfaussagen. Wir haben gezeigt, dass man die Algorithmen hacken kann!

Sie waren so erfolgreich, dass BuzzFeed von einer neuen „Alt-Left“, einer alternativen Linken, in Anlehnung an die Medienerfolge der Neuen Rechten in Amerika, schrieb.

Mit vielem hatte ich nichts zu tun. Die Zeit war einfach reif dafür. Ein junger Filmemacher, Bonnie Prince Bob, hat einen Film gedreht, „Jeremy Bernard Corbyn – What Was Done“, ein Scien­ce-Fiction-Film, der auf heute zurückschaut und Corbyn als Helden feiert. Der Film wurde auf YouTube über eine Million Mal geschaut. Die beiden meistgeteilten Artikel über die Wahl kommen vom selben linken Blogger: „Another ­Angry Voice“ aus Yorkshire. Es gibt eine erfolgreiche linke Online-Boulevardzeitung: The Canary macht linkes Clickbaiting, aber ohne die Lügen. Die Artikel werden tausendfach geteilt. Das ist ein echtes Meinungsmedium. Junge Leute haben Memes gemacht und geteilt. Das alles hat dazu beigetragen, die Algorithmen zu überlisten und die Filterbubble der Journalisten zu durchbrechen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Linken raten Sie also nicht davon ab, Facebook und Google, die Sie ja auch entmachten wollen, zu benutzen.

So funktioniert der Kapitalismus. Unsere Message ist links, aber wir empfangen sie auf Geräten, die von armen Menschen in Fabriken in China gebaut werden. Mit diesen Widersprüchen muss man umgehen.

Muss man also erst die Echokammer durchbrechen, um dann die Politik ändern zu können? Jeremy Corbyns Forderungen nach einer „Enteignung“ von leerstehenden Wohnungen stehen nun plötzlich in sämtlichen Medien. Das war vor ein paar Jahren noch undenkbar.

Denkbar war das auch vor ein paar Jahren schon, aber in der Echokammer der Journalisten und Politiker durften solche Dinge natürlich nicht ausgesprochen werden. Heute kommen Sie nicht mehr drumherum. Es brechen andere Zeiten an, und sie müssen darüber berichten.

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