Doku über Sängerin Chavela Vargas: Ein Bruch der Rollenerwartungen

Sie liebte Lieder, Frauen und den Alkohol: Der Film „Chavela“ ruft die große mexikanische Sängerin Chavela Vargas in Erinnerung.

Eine alte Frau trägt eine Sonnenbrille und guckt mit gehobenem Kopf in die Kamera

Das ist sie: Chavela Vargas nach ihrem Comeback Foto: Arsenal

Wie die Vorstellungen von einer mexikanischen Sängerin während der zweiten Blüte der mexikanischen Populärkultur in den 1960er Jahren aussahen, zeigt ein kurzer Ausschnitt zu Beginn des Dokumentarfilms „Chavela“ von Catherine Gund und Daresha Kyi. Er zeigt einen Auftritt der Rancherasängerin Lucha Villa aus den 1960er Jahren. Mit unerschütterlich strahlendem Zahnpastalächeln schreitet Lucha Villa singend über flirrendem Gedudel, gekleidet in ein rotes Kleid irgendwo zwischen Petticoatmanie und Möchtegernvolkskunst, durch eine Arena.

Allein visuell könnte der Kontrast zu den Auftritten Chavela Vargas’ nicht größer sein. Schon in den 1950er Jahren trat Vargas ohne jeglichen Folklorefirlefanz in Hosen und mit Poncho und einer Gitarre auf. Statt fröhlichem Geklimper trägt Vargas mit einer klangvollen, leicht rauhen Stimme leidensdurchdrungen Lieder zur Gitarre vor. Ein Bruch der Rollenerwartung, von dem sie selbst in einer Interviewsequenz sagt, dass er ihr die Herzen von Männern und Frauen gleichermaßen zufliegen ließ.

In ihrem Dokumentarfilm „Chavela“ zeichnen die US-amerikanischen Regisseurinnen Catherine Gund und Daresha Kyi ein Porträt von Chavela Vargas gleichermaßen als Person wie als Idol der mexikanischen Populärkultur und insbesondere der lesbischen Kultur Mexikos. Gund und Kyi kombinieren Gespräche mit Partnerinnen, Freundinnen, Freunden und Wegbegleitern von Vargas mit Interviews mit der Sängerin selbst, Archivmaterial und vor allem immer wieder Aufzeichnungen ihrer Auftritte über die Jahrzehnte hinweg.

Neben all dem räumt der Film den Liedern Chavela Vargas’ gebührenden Raum ein und macht diese auch für nichtspanischsprachige Menschen verständlich, indem Songtexte (in einer gewöhnungsbedürftig schnörkeligen Schrift, die man aber bald übersieht) in Übersetzungen eingeblendet werden.

„Chavela“. Regie: Catherine Gund, Daresha Kyi. USA 2017, 90 Min.

Die Aufnahmen der Auftritte sind nach all den Jahren in ihrer existenzialistischen Wucht noch immer ergreifend. In einer zunächst etwas befremdlich anmutenden Sequenz imitiert die Sängerin Tania Libertad während eines Gesprächs für einen kurzen Augenblick eine Handbewegung von Vargas. Sieht man dieselbe Bewegung wenig später im Original bei einem der Konzertmitschnitte, wirkt sie wie ein organischer Teil ihres Auftretens.

Pathos als Ausdruck der Persönlichkeit

Ein Teil der Kunst von Chavela Vargas besteht darin, dass das Pathos nie als solches erscheint, sondern als Ausdruck einer Persönlichkeit. Das kontrastiert bisweilen schroff mit den oft etwas schäkernden Interviewaufnahmen, in denen Vargas mit ­großer Lässigkeit Fragen beantwortet und Erinnerungen wiedergibt. Als Gegenpol kombinieren die Regisseurinnen die Interviews mit Audioaufnahmen von Vargas’ Liedern, die das Erzählte zu kommentieren scheinen.

Nimmt man die Auftritte und Interviews zusammen und stellt sie den Gesprächen mit Partnerinnen und Freundinnen gegenüber, wird deutlich, wie sehr Vargas auch in den scheinbar so lockeren Interviews ein Bild von sich selbst aufrechterhält. Die Gespräche mit Partnerinnen und Freundinnen stellen diesem öffentlichen Bild widersprüchlichere private Eindrücke gegenüber.

Gund und Kyi folgen weitgehend der Chronologie von der Geburt Chavela Vargas als Isabel Vargas Lizano am 17. April 1919 auf Costa Rica über die Frühzeit ihrer Karriere zu den Hochs und Tiefs bis zu ihrem Tod 2012. Mitte der 1930er Jahre, kurz vor der ersten großen Blüte der mexikanischen Populär- und Filmkultur, flieht Vargas vor der Enge ihrer Familie, die vor allem auf ihr Bild nach außen bedacht ist, nach Mexiko. Seit den 1940er Jahren nennt sie sich Chavela.

In Mexiko lernt sie den Sänger und Komponisten José Alfredo Jiménez kennen und beginnt dessen Lieder zu singen – nicht selten intensiver als er selbst. Mit Jiménez teilt Vargas auch die Leidenschaft fürs Trinken. Jiménez wird an dieser zur Sucht gewordenen Leidenschaft 1973 sterben, für Vargas bedeutet ihr Alkoholismus Ende der 1970er Jahre das Ende der ersten Etappe ihrer Karriere.

Ein offenes Geheimnis

In den gut 20 Jahren ihrer Karriere in Mexiko war Chavela Vargas zum Star geworden, hatte Mitte der 1960er Jahre in einer Fernsehserie und einem Film über die mexikanische Revolution mitgespielt, war der Star der urbanen Boheme. Ihr Lesbischsein war ein offenes Geheimnis, Vargas hütete sich aber davor, es offen einzugestehen. Was sie nicht daran hinderte, zahlreiche legendäre Affären zu haben, unter anderem mit Frida Kahlo, Ava Gardner und einem beträchtlichen Teil der weiblichen High Society Mexikos.

Etwa ein Jahrzehnt von Ende der 1970er bis Ende der 1980er Jahre lebt Chavela Vargas zurückgezogen in großer Armut auf der Pampa und trinkt. 1991 laden Jesusa Rodríguez und Liliana Felipe sie zur Wiedereröffnung des Cabarets „El Habito“ ein, zum ersten Mal nach zwölf Jahren wieder öffentlich aufzutreten. Kurz zuvor hatte Walter Saxer, Werner Herzogs langjähriger ausführender Produzent, Vargas sie dort ausfindig gemacht und dafür gewinnen können, in Werner Herzogs Film „Cerro Torre: Schrei aus Stein“ mitzuwirken. Ebenfalls 1991 ist sie auf dem Soundtrack von Pedro Almodóvars „Die Waffen einer Frau“ mit Songs vertreten.

Der Auftritt im El Habito der Calle Madrid sollte für Vargas zum Beginn einer zweiten Karriere werden: Wenig später lädt der Verleger Manuel Arroyo sie nach Spanien zu einem Auftritt ein. In Spanien übernimmt Almodóvar die Rolle eines Managers und organisiert Auftritte für Vargas, erfüllt ihr schließlich sogar den Traum, einmal in Paris im Olympia aufzutreten. Mit der Nebenwirkung, dass Almodóvar einem im Film streckenweise ein Ohr abkaut über seine Rolle bei dieser Karriere. In diesen Sequenzen gerät der Film etwas zäh und erkenntnisarm. Man kann sich aber über diese Momente damit hinwegtrösten, dass die zweite Karriere für Chavela Vargas nach den Jahren der Zurückgezogenheit zu einem späten Triumph wurde.

Verschiedene Perspektiven

Catherine Gund und Daresha Kyi halten ihre Dokumentation in formaler Hinsicht recht konventionell: die strikte Chronologie, das Wechselspiel der Materialien und Perspektiven – ohne die Musik wären sie vermutlich in ihrer Routine auf die Dauer ermüdend. In der Kombination mit den Aufnahmen von Auftritten geben die Gesprächssequenzen der Musik von Chavela Vargas Raum, um nachzuhallen.

Das Gegengewicht zu diesem für sich genommen etwas süßlich-pathetischen Konzept des Films bildet das Gruppenporträt feministischer-lesbischer Aktivistinnen, deren Wege sich mit Vargas’ Leben gekreuzt haben. Im Wechsel der Materialien bildet sich eine Biografie heraus, die Werk und Person gleichermaßen gerecht wird – und sich wie alle guten Biografien nicht auf die Porträtierte beschränkt.

Die Gespräche mit Freundinnen und Partnerinnen vor allem aus Vargas’ Phase in Mexiko wecken das Interesse an den feministischen Untertöten mexikanischer Populärkultur ebenso wie an den aktuellen feministischen Kämpfen in Mexiko. Und vielleicht ist der Film ja für einige auch die erste Begegnung mit der Musik von Chavela Vargas. Wie so viele große Sängerinnen der Musikgeschichte sind es ihre Songs mehr als wert, regelmäßig wiederentdeckt zu werden.

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