Repressionen und Gewalt in Gambia: Der Wunsch nach Gerechtigkeit

Während der Herrschaft Yahya Jammehs wurden Tausende willkürlich verhaftet und gefoltert. Dem Land steht eine schwierige Aufarbeitung bevor.

Gambias Ex-Präsident Yahya Jammeh 2016 beim Gipfel der Afrikanischen Union

22 Jahre hat Ex-Präsident Yahya Jammeh Gambia regiert – jetzt lebt er im Exil Foto: dpa

Die Welt von Yusufa Mbaye ist nur wenige Quadratmeter groß und von Mauern umgeben. Egal, ob er im Haus seiner Eltern im Wohnzimmer oder auf der Terrasse sitzt: Der 34-jährige hagere Mann starrt auf hohe Wände und manchmal auch auf den Fernseher. Seit mehr als 17 Jahren sitzt Mbaye im Rollstuhl und kann das Eingangstor nur durchqueren, wenn seine Schwester oder die Mutter helfen. Schon im Haus machen ihm Bewegungen zu schaffen. Der Händedruck ist schlaff.

Im April 2000 traf eine Kugel Yusufa Mbaye in den Rücken. Seitdem ist querschnittsgelähmt, ständig auf Hilfe angewiesen und ohne eigenes Einkommen. Weder konnte er sein Studium beenden noch einen Job finden. Bis heute quält ihn aber noch etwas anderes: „Ich will wissen, wer damals auf mich geschossen hat.“

Die Schüsse auf die Studenten im April 2000 gehören zu Gambias nicht aufgearbeiteter Vergangenheit. Auslöser war der Tod eines Studenten im März gewesen. Nach einer Diskussion mit seinem Dozenten war er von Feuerwehrmännern aus dem Klassenzimmer geholt worden, die ihn anschließend zu Tode folterten.

In dieser Zeit wurde auch eine 13-jährige Schülerin vergewaltigt. „Wir wollten wissen, was wirklich passiert ist. Und wir wollten, dass jemand Verantwortung übernimmt“, erinnert sich Yusufa Mbaye und schaut dabei auf seine Hände. Doch die Proteste, zu denen die gambische Studenten-Union aufrief, endeten am 10. und 11. April mit 14 ermordeten Studenten. Mbaye überlebte und wurde zur Behandlung nach Ägypten geflogen.

Geschehen ist all das unter der 22-jährigen Herrschaft von Yahya Jammeh. Im Dezember 2016 verlor er überraschend die Wahl gegen den damals recht unbekannten Oppositionsführer Adama Barrow. Nach zähen Verhandlungen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas und der Präsenz ihrer Streitkräfte Ecomog, die bis heute im Land sind, ging Jammeh Ende Januar ins Exil nach Äquatorialguinea. Hinterlassen hat er neben leeren Kassen viel Misstrauen, unaufgearbeitete Menschenrechtsverletzungen und Täter, die nie für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen wurden.

„Wir wissen nicht, wie hoch die Zahl der Opfer ist“, gibt heute Justizminister Abubacarr Tambadou (44) zu, „Jammeh hat ja fast ein Vierteljahrhundert regiert.“ Unter den Opfern sind Menschen, die ganz offensichtlich von Sicherheitskräften verletzt wurden, aber auch jene, die heimlich in den Räumen von „Mile 2“, wie das bekannteste Gefängnis des Landes heißt, gefoltert wurden.

Abubacarr Tambadou, Minister

„Wir wissen nicht, wie hoch die Zahl der Opfer wirklich ist“

Anfang August machte eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters Schlagzeilen, in der es heißt, dass bis zu 52 Migranten aus dem Senegal erschossen und kurz hinter der Grenze verscharrt wurden. Jammeh, der 1994 durch einen Staatsstreich an die Macht kam, hatte offenbar große Angst vor einem Coup d’État. Oppositionelle berichten, dass zahlreiche Personen deshalb angeschuldigt und verhaftet wurden.

Tambadous ehrgeiziges Ziel ist es, all das aufzuarbeiten. Bürgerinnen und Bürger, die Opfer von Gewalt geworden sind, können sich an sein Ministerium, aber auch das gambische Zen­trum für Opfer von Menschenrechtsverletzungen wenden. Koordiniert wird das von der Wahrheits-, Versöhnungs- und Entschädigungskommission, die mit internationaler Unterstützung und knapp 1,2 Mil­lio­nen Euro gegründet werden konnte. „Wir müssen die Wahrheit kennen. Nur so kann der Heilungs- und Versöhnungsprozess beginnen“, sagt der Justizminister.

Yusufa Mbaye in seinem Rollstuhl

Yusufa Mbaye traf eine Kugel in den Rücken; seitdem ist er querschnittsgelähmt Foto: Katrin Gänsler

Die Schuldigen stehen noch nicht fest

Autokratie: 1994 putschte sich der 29-jährige Soldat Yahya Jammeh an die Macht und errichtete eine brutale Diktatur. Unter ihm wurde Gambia, eines der kleinsten Länder Afrikas mit 2 Millionen Einwohnern, eines der Hauptherkunftsländer afrikanischer Flüchtlinge in Europa.

Demokratie: Bei Wahlen am 1. Dezember 2016 gewann überraschend Oppositionschef Adama Barrow. Jammeh erkannte seine Niederlage erst an, dann doch nicht. Eine Militärintervention unter Führung Senegals erzwang am 20. Januar 2017 seinen Abgang. Er floh nach Äquatorialguinea. (D. J.)

Auf den Straßen Banjuls, aber auch in südlicher gelegenen Ferienorten herrscht eine offene, entspannte Stimmung. Vor allem junge Menschen sprechen schnell und bereitwillig über die Jahre unter Jammeh und vor allem die Aufbruchstimmung. Unter der Hand heißt es jedoch, dass nun die Diola um Macht und Einfluss fürchten. Dieser ethnischen Gruppe gehört auch der Expräsident an. Um eine Spaltung zu verhindern, habe man bei der Besetzung der Kommission darauf geachtet, dass sich alle Regionen und ethnischen Gruppen vertreten fühlen, so Justizminister Tambadou.

Ob das gelingt, ist jedoch noch völlig unklar. Bisher steht noch nicht einmal fest, wer für die Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden soll. Ist es die Riege um Jammeh, oder sind es auch Soldaten und Polizisten, die bei Gewalt nicht eingeschritten sind oder auch selbst gefoltert haben.

Yusufa Mbaye hat eine klare Antwort: Er fordert die Aufklärung aller Verbrechen. „Natürlich will ich wissen, wer damals auf mich geschossen hat“, wiederholt er. Seine Stimme klingt lauter und entschlossener als noch vor wenigen Minuten.

Gleichzeitig ernüchtern ihn die ganzen Diskussionen um die Kommission schon wieder. „Ich habe im Januar Präsident Barrow persönlich in Dakar getroffen“, erzählt er. Da sich Jammeh am 19. Januar noch weigerte, das Land zu verlassen, wurde sein Nachfolger kurzerhand im Senegal vereidigt. Seitdem hat der neue Staatschef aber nichts mehr von sich hören lassen, klagt Mbaye.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Damit verbunden ist noch etwas anderes: Die Regierung will die Opfer entschädigen, etwa durch Invalidenrenten und Stipendien für Kinder, deren Eltern ermordet wurden. Der 34-jährige Mbaye zuckt mit den Schultern: „Ob ich irgendwann einmal eine Entschädigung bekomme oder ob ich keine bekomme, ich weiß es nicht.“ Helfen könnte sie dennoch, ihm einen zweiten Wunsch zu erfüllen: „Ich würde gern Jura studieren, Anwalt werden und für Gerechtigkeit sorgen.“

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