Salzburger Festspiele: Rhetorik der Einschüchterung

Die Schauspieler sind gut. Trotzdem gelingt den Regisseurinnen Andrea Breth und Karin Henkel in Salzburg nicht der große Coup.

Rose Bernd steht vorne an der Bühne, hinter ihr ein Mann.

Lina Beckmann und Markus John in „Rose Bernd“ Foto: Monika Rittershaus

Die Aussicht aus Bettina Herings Büro ist phänomenal: Hoch über dem Toscanini-Hof, hineingehauen in den Fels des Mönchsbergs, liegt der neuen Schauspielchefin der Salzburger Festspiele die barocke Stadt zu Füssen. Hering war zuvor Intendantin am Landestheater St. Pölten und hat für ihre erste Spielzeit viele Regisseurinnen eingeladen. Neben Andrea Breth und Karin Henkel hat sie die Filmemacherin Athina Rachel Tsangari und das auf partizipative Theaterprojekte spezialisierte Duo 600 Highwaymen mit Abigail Browde und Michael Silverstone engagiert.

In den Medien liest man jetzt häufig das Wort „Frauenpow­er“, wenn es um die Salzburger Schauspielsparte geht. Das hört Hering nicht gerne: „Gerade mit dem Label Frauenpower kann ich nichts anfangen, das ist genauso ausgelatscht wie alles andere. Nein, die Quote ist es nicht. Es geht darum, die besten Regisseurinnen, Regisseure für die jeweiligen Produktionen zu finden und dass sich das halbwegs egalitär abbildet. Und es geht vor allem um eine Dramaturgie im Spannungsverhältnis zum Opernprogramm.“

Das Opernprogramm hat mit Peter Sellars’ kühn gedachter Dekonstruktion von Mozarts „La Clemenza di Tito“ einen fulminanten Auftakt vorgelegt. Die beiden Schauspielpremieren, die danach im 24-Stunden-Takt folgen, hinterlassen allerdings einen eher durchwachsenen Eindruck. Andrea Breth inszeniert Harold Pinters „Die Geburtstagsfeier“ und Karin Henkel Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd“.

Ein mysteriöser Auftrag

Beide Abende imponieren durch hohe handwerkliche Qualität, minutiöse Perfektion und brillante, hochvirtuose Darsteller. Aber beide Abende haben Probleme mit der Aktualität ihrer Stoffe. Und beide Regisseurinnen retten sich jeweils auf ihre Weise mit Überbietung: Breth zerdehnt Pinters Stück auf schwer erträgliche fast drei Stunden und lädt es schwer auf mit existenziellen Schein­abgründen, während Henkel aus dem naturalistischen Sozial­drama Hauptmanns ein artifiziell überhöhtes Lehrstück über gescheiterte Emanzipation macht.

Letzteres geht nicht ganz auf, aber Henkel fährt mit ihrer Verschiebung dennoch weitaus glücklicher als Breth mit ihrer Herangehensweise.

Andrea Breth lässt in Zeitlupe spielen, sie zelebriert den bei­läufigen Sprachwitz von Harold Pinter

Andrea Breth hat an Harold Pinter einen Narren gefressen. Der Nobelpreisträger wird heute eher selten gespielt, Breth jedoch inszenierte bereits 2014 „Der Hausmeister“ in München. Die Geschichte der „Geburtstagsfeier“ wirkt heute konstruiert: In die Scheinidylle einer englischen Strand-Pension brechen zwei Herren mit mysteriösem Auftrag herein. In einsamer Gesellschaft mit dem Inhaber-Ehepaar lungert dort seit einem Jahr Stammgast Stanley herum. Die Herren mieten sich ein, verhören Stanley, die für ihn inszenierte GeburtstagsParty eskaliert fatal, am Ende ist er verschwunden.

Hohepriesterin der Texttreue

Pinter meinte damals mit der Organisation, vor der Stanley auf der Flucht ist, offenbar die Kirche, doch die verklausulierte und sprachwitzige Einschüchterungs-Rhetorik der Anzugherren wirkt heute seltsam gestrig. Auch Pinters Frauenbild, das Herbergsmutter Meg (Nina Petri) eine verschwitzte erotische Neigung zu Stanley und Lulu (Andrea Wenzel) sexuelle Haltlosigkeit verpasst, hätte eine Konterkarierung durch die Regie gut vertragen.

Aber Andrea Breth, die als Hohepriesterin der Texttreue gilt, bleibt auch hier eisern am Text, und das auch noch mit heiligem Ernst. Sie dehnt ihn durch Fragmentierung in kurze Szenen, die von mit dröhnendem Sound unterlegten Blacks unterbrochen werden, sie lässt in Zeitlupe spielen, sie zelebriert den beiläufigen Sprachwitz.

Die grandiosen Schauspieler liefern Breths Millimeterarbeit mit frappierender Präzision ab, allen voran Roland Koch als ­latent aggressiver Wortartist Goldberg und Oliver Stokowski als hessisch babbelnder McCann. Am Schluss verhallt Megs letzter Satz, ohne dass das Unbehagen latenter Bedrohung unter die Haut kriecht.

Die Taube rupfen

Karin Henkels „Rose Bernd“ berührt dagegen unmittelbarer. Das Sozialdrama von Rose, die vom Gutsbesitzer schwanger wird, auf Wunsch des frömmelnden Vaters den kränklichen August heiraten soll, von einem gewissen Streckmann erpresst wird und schließlich ihr neu­geborenes Kind tötet, erzählt Henkel als Drama einer starken Frau, die am Druck der an sie gerichteten männlichen Erwartungen in der Enge einer restriktiven Moral zerbricht.

Am Anfang steht Rose mit bunter Schminke und Lametta­­-Perücke auf der Bühne wie eine exotische Fruchtbarkeitsgöttin, dann greift sie in einen Käfig mit Tauben, bricht einem Vogel kurzerhand das Genick und rupft ihn.

Volker Hintermeier hat einen dunklen, tunnelartigen Albtraum-Raum auf die Bühne gestellt, Henkel setzt auf starke Stilisierung und Überhöhung, wozu auch der schlesische Kunstdialekt nicht wenig beiträgt, in dem Hauptmann das Stück verfasste. Vor der Pause leidet der Abend an Längen und aufdringlicher Überdeutlichkeit von Bildern und Verweisen. Im zweiten Teil inszeniert Henkel schnörkelloser, konzentrierter, vertraut der Kraft des Textes und den großartigen Schauspielern. Dann stellt sich doch noch eine starke Dringlichkeit ein. Großer Jubel, insbesondere für die grandiose Lina Beckmann in der Titelrolle.

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