Schulplatzklagen in Berlin: Die Einschulung ist kein Ponyhof

Immer mehr Eltern ziehen vor Gericht, um dem Nachwuchs einen Platz in der Wunschschule zu sichern. Der soziale Druck im Schulsystem wächst.

Hoffentlich ist es die „richtige“ Schule geworden: Erstklässlerinnen mit ihren Zuckertüten Foto: dpa

Bei der Wahl der Kita sind die meisten Eltern noch relaxt: Viele Kinder aus dem Kiez in der Kita-Gruppe, die unterein­ander mehr türkisch oder arabisch (oder eine andere Sprache) als deutsch sprechen? Gerne doch, schließlich ist es für die Entwicklung des Kindes nicht verkehrt, wenn es mit Vielfalt konfrontiert wird. Sobald es allerdings um die Grundschule geht, hört die Toleranz vieler Eltern bei diesem Thema schlagartig auf. Um den eigenen Nachwuchs auf der Wunschschule mit dem guten Ruf unterzubringen, ziehen immer mehr Berliner Eltern vor Gericht.

Das Verwaltungsgericht zählt mit insgesamt 292 Verfahren doppelt so viele Schulplatzklagen wie im vergangenen Jahr. 64 Schulen sind betroffen, im vergangenen Jahr waren es noch 29. Weil viele Schulämter auch in diesem Jahr die Einschulungsbescheide wieder relativ spät versandt haben, kann es sein, dass bis zum Schuljahresbeginn für die ErstklässlerInnen am 11. September noch einige Klagen eintrudeln.

Nun ist es verständlich, dass Eltern notfalls vor Gericht ziehen, wenn sie meinen, die Einzugsgrundschule – also die Schule, die eigentlich für das Kind zuständig ist – taugt nicht für den Nachwuchs. Denn natürlich geht es beim Thema Schule um mehr als beim Spielen in der Kita-Gruppe: Wenn man auf dem Spielplatz hört, dass das Kind auf Grundschule XY weniger lernt, weil die Mehrheit der Schüler nicht gut Deutsch spricht, dann mag das noch lange nicht so sein – aber legitim, die Schule aus Sorge um das eigene Kind abzulehnen, ist es allemal.

Was die gestiegenen Klagezahlen aber vor allem zeigen: Berlin wächst – und damit auch der Druck auf ein Schulsystem, in dem es in den Klassenräumen seit Jahren ohnehin immer enger wird und es noch zwei, drei Schuljahre dauern wird, bis die Turbos, mit denen der Senat schnell mehr Schulplätze schaffen will – mehr Geld, kürzere Planungszeiten – so richtig zünden.

Die Einschulungsbereiche der Grundschulen werden von den Schulämtern der Bezirke festgelegt. Es gilt das sogenannte Wegeprinzip: In der Regel ist die zuständige Grundschule die nächstgelegene für das Kind.

Eltern können aber einen Wechselantrag stellen. Gibt es dann tatsächlich noch freie Plätze an der Wunschschule, entscheiden drei Kriterien: Das wichtigste Argument ist die Schule der Geschwisterkinder. Außerdem können Eltern mit dem bestimmten pädagogischen Ansatz oder dem Fremdsprachenangebot einer Schule argumentieren. Schließlich kann man versuchen zu begründen, dass die Wunschschule wegen günstiger Arbeitswege die Betreuung des Kindes „wesentlich erleichtern“ würde.

Eine Schule gilt laut Grundschulverordnung als voll, wenn alle Klassenräume mit maximal 25 Kindern belegt sind. Zwar könnten die bezirklichen Schulämter als Schulträger theoretisch sagen: Diese Schule braucht ­ihren Ruheraum, wir machen keine weitere Klasse auf. Praktisch hat aber der gesetzliche Auftrag Vorrang, allen Kindern Schulraum zur Verfügung zu stellen. (akl)

Derweil wird der Kampf um die guten Schulen – beziehungsweise die mit einem guten Ruf unter Eltern, was nicht immer dasselbe sein muss – härter.

Viele Klagen in Pankow und Neukölln

Eine kleine Abfrage in den Bezirken mit vielen Gerichtsverfahren – Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg, ­Neukölln, Tempelhof-Schöneberg – ergibt: Meistens klagen Eltern, weil sie eine andere Schule für ihr Kind wollen als die eigentlich zuständige Grundschule. „Die Klageverfahren betreffen bis auf eine Ausnahme die Ablehnungen von Wunschschulen“, lässt etwa Pankows Schulstadtrat Torsten Kühne mitteilen. Sein Kollege Andy Hehmke (SPD) in Friedrichshain-Kreuzberg zählt 30 Verfahren, alle von Eltern, deren Wechselantrag an eine Wunschschule nicht stattgegeben wurde.

Dass in diesem Jahr in einigen Bezirken manche Grundschulen nicht mehr alle Kinder aus ihrem Einschulungsbereich aufnehmen konnten, spielt dagegen kaum eine Rolle bei der Anzahl von Klagen. In Pankow zum Beispiel waren die Thomas-Mann-Grundschule, die Grundschule am Weißen See, die Platanen-Grundschule und die Arnold-Zweig-Grundschule übervoll. Insgesamt 52 Kinder mussten laut Schulstadtrat Torsten Kühne (CDU) „umgelenkt“ werden – nur einer klagte, allerdings nicht gegen die Umlenkung, sondern weil es mit dem Wechselantrag auf die Wunschschule nicht klappte.

Es sind also vor allem die bildungsbewussten Eltern, die klagen. Mitte hatte vor einigen Jahren mal versucht, mit der sogenannten Sprengellösung Eltern aus Alt-Mitte zu motivieren, ihre Kinder im Wedding einschulen zu lassen. Das Prinzip der kiezübergreifenden Einschulung wurde inzwischen wieder weitgehend beerdigt: Eltern hatten zuhauf geklagt – und mit der ­Argumentation von unzumutbar langen Schulwegen gewonnen.

Neuköllns Schulstadtrat Jan-Christopher Rämer (SPD) hatte bereits angekündigt, zum Schuljahr 2018/19 die Einschulungsbereiche in seinem Bezirk neu zuschneiden zu wollen. Gerade im Norden des Bezirks habe es viele Wechselwünsche gegeben, sagt der Stadtrat – und entsprechend viele Klagen, denn auch in Neukölln sind die Klassen mit einer Frequenz von durchschnittlich 23 Schülern so ausgelastet, dass nicht mehr viel Platz für Sonderwünsche bleibt.

In Bezirken wie etwa Kreuzberg und Neukölln einerseits eine soziale Mischung an den Schulen aufrechtzuerhalten und andererseits wehrhafte Eltern vom Klagen abzuhalten, an denen niemand ein Interesse hat, weil es Planungsunsicherheit für alle Beteiligten – die Schulen, die Bezirke, die Familien – bedeutet: Das wird nicht nur für Stadtrat Rämer in den nächsten Jahren keine leichte Aufgabe sein.

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