„Keinen blassen Schimmer“

VERMITTLUNG Eine arbeitslose Wissenschaftlerin wollte sich nicht von der Arbeitsagentur vorladen lassen. Die kürzte ihre Leistungen. Jetzt muss das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entscheiden

Die Arbeitsagentur – eine Behörde des Zwangs und der Entmündigung? Foto: Bert Bostelman/Wirtschaftwoche

von Christian Rath

BERLIN taz | Müssen hoch spe­zia­lisierte Akademiker ins Jobcenter kommen, wenn sie dazu aufgefordert werden? Oder können sie solche Briefe ignorieren, weil ihnen dort ohnehin nicht geholfen werden kann? Das will die Orientwissenschaftlerin Inge Meier (Name und Fach geändert) jetzt vom Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg klären lassen.

Das berufliche Ziel von Inge Meier ist eine Professur oder zumindest eine unbefristete Stelle. Doch in ihrem Fach wird pro Jahr nur eine adäquate Position ausgeschrieben. Deshalb gehört sie noch zum akademischen Mittelbau und hangelt sich von Projekt zu Projekt. Sie hat schon in drei Erdteilen geforscht und gelehrt, aber nicht jede befristete Stelle schließt sich nahtlos an die nächste an. Deshalb muss sie sich auch mal arbeitslos melden, wie etwa im September 2013.

Der Brief der Arbeitsagentur kam nach zwei Wochen: „Sehr geehrte Frau Dr. Meier, ich möchte mit Ihnen Ihre aktuelle berufliche Situation besprechen.“ Meier antwortete ausführlich, warum sie nicht erscheinen wird: „Die Agentur für Arbeit hat nicht das Recht, Leistungsempfänger routinemäßig oder ‚nach Lust und Laune‘ zur Meldung aufzufordern.“ Meier schilderte ihre Situation und bat die Behörde, von weiteren Meldeaufforderungen abzusehen.

Der Termin verstrich. Es folgten weitere Meldeaufforderungen. Meier ging wieder nicht hin. Sie erhielt deshalb fünf Sperrzeiten. Pro verpassten Meldetermin wurde ihr eine Woche lang das Arbeitslosengeld I gestrichen. Schließlich wurde die Bewilligung des Arbeitslosengelds ganz zurückgenommen, da Meier den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung stehe.

Meier klagte in drei Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin. Zweimal verlor sie, einmal gewann sie aus formalen Gründen. Nun sind zwei Verfahren in der Berufung beim Landesso­zial­gericht anhängig. Es geht um einige Tausend Euro – und die Klärung der Rechtslage.

Meier bestreitet, dass die Aufforderung zu einem Gespräch über ihre „berufliche Situation“ den gesetzlichen Anforderungen genügt. Denn es werde kein konkreter Zweck des Gesprächs genannt und außerdem habe die Behörde von ihrem „Auswahlermessen“ erkennbar keinen Gebrauch gemacht. Meier hat inzwischen beachtliche Kenntnisse im Verfahrensrecht. Dagegen benutzt die Arbeitsagentur ein angreifbares Standardschreiben.

Doch Meier geht es nicht nur um eine bessere Begründung; sie will den Aufforderungen der Arbeitsagentur generell keine Folge leisten, solange diese „keinen blassen Schimmer hat, ob sie irgendetwas Sinnvolles zur Vermittlung in Arbeit beitragen kann“. Auf den Hinweis der Agentur, man habe mit ihr eine „zielführende Vermittlungsstrategie aufbauen“ wollen, antwortete Meier, dass sie schon seit 2003 eine Strategie habe, die sie konsequent und durchaus erfolgreich verfolge.

Die Forscherin weiß natürlich, dass die Arbeitsagentur ihr auch andere Stellen jenseits ihres Fachs vorschlagen kann. Doch das findet sie „volkswirtschaftlich und wissenschaftspolitisch bedenklich“. Schließlich habe sie „international anerkannte Forschungsleistungen erbracht“ und es sei „nicht auszuschließen“, dass sie dies auch in Zukunft tun werde.

Inzwischen ist Inge Meier längst nicht mehr arbeitslos. Eine Professur hat sie zwar immer noch nicht, aber neue Forschungsprojekte. Und die Hoffnung, mit ihrem Rechtsstreit etwas zur Reform der Arbeitsvermittlung beizutragen: „Statt Zwang und Entmündigung“, so Meier, „sollten Freiwilligkeit und Respekt maßgeblich sein.“