Das Ding, das kommt
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Die Audiokassette ist zurück und immer mehr Labels springen auf den Zug auf. Aber um das nächste Kult-Ding zu werden, nerven die Dinger einfach zu viel Foto: Thegreenj/Wikimedia

Leiernder Plastikmüll

Neulich: Aufräumtag. Spinnweben beseitigt, Mäuseköttel gekehrt und Staub gesaugt. Endlich konnten auch mal wieder die entlegensten Winkel unterm CD-Regal gefahrlos entrümpelt werden. Zum Vorschein kam ein Kistchen, gefüllt mit Kistchen: Eric Claptons Golden Hits, Obskures von den Rolling Stones – und etliche selbst bespielte Kassetten.

Richtig: dieser rechteckige Plastikmüll mit innen liegendem Magnetband, das Raubkopierer zur Vervielfältigung von Madonna-Alben nutzten, bevor Modems erschwinglich wurden – ein vollkommen zu Recht untergegangenes Medium. Die leidliche Nerd-Diskussion über bessere Klang-Qualität mal außen vor gelassen, haben Vinyl-Scheiben ästhetischen Wert und CDs praktischen. Kassetten haben Bandsalat und leiern, wenn man sie im Hochsommer im Handschuhfach liegen lässt. Und wer Claptons Gegniedel auf „Layla“ nicht ausstehen kann, muss endlos vorspulen, nur um dann den Beginn von „I Shot The Sherriff“ zu verpassen.

Und nun berichtet das Magazin Billboard, dass der Verkauf von Musikkassetten im Jahr 2016 um 74 Prozent (!) gestiegen sei. Sind die Hipster schuld, die das Ding zum neuen Trendobjekt auserkoren haben? Offenbar ist die Sache komplexer: Nicht nur legt die Kette Urban Outfitters neuerdings eine Kassetten-Compilation neben ihre Skinny Jeans, auch gute junge Musiker*innen wie Ilgen-Nur und Die Nerven bringen ihre Musik neben dem Download- im Rechteck-Format heraus. Und es gibt Labels wie die Kalifornier von Burger Records, die Alben ausschließlich auf Kassette veröffentlichen.

Ich assoziiere die Dinger aber nicht mit lässigem Indie-Rock, sondern mit Roxette und Bryan Adams. Wäre wenigstens mein abgenudeltes Exemplar von Roxettes „Tourism“ im Kistchen gewesen! Ehrlicher Neunziger-Rock, wie ihn 17-Jährige heute wieder auf Trash-Partys hören. Auch das heißgeliebte „Car Tape“ mit Siebzigerjahre-Zeugs: unauffindbar.

Dabei empfiehlt etwa die BZ, Kassetten regelmäßig zu bewegen und abzuspielen. Denn: „Die Weichmacher aus den Bändern dünsten über die Jahre aus und verkleben.“ Damit niemand in meinem Haushalt auf die Idee kommt, sich an Weichmacher-Dünsten zu berauschen, werde ich mir wohl wieder ein Abspielgerät zulegen müssen. „Kasendreher“ nannten wir das anno 1993. Oder verkauft mir jemand sein Auto gleichen Baujahres? Jan Paersch

„Burger Records“-Label-Abend unter anderem mit King Khan & The Shrines, L.A. Witch und The Murlocs: Sa, 9. 9., 15 Uhr, Molotow, Hamburg